Der Beitrag untersucht die zwei jüngsten verfassungsgerichtlichen Entscheidungen zum Klimaschutz in Österreich und Deutschland. Die Gegenüberstellung hebt die materiellrechtlichen und prozessualen Unterschiede der Verfahren zum deutschen Klimaschutzgesetz sowie zur österreichischen Steuergesetzgebung im Bereich der Luftfahrt hervor. Beide Beschlüsse verfolgen entgegengesetzte Ansätze in der Frage, wie der Klimaschutz in der Verfassung zu verorten ist: Während das Bundesverfassungsgericht alle Beschwerdeführenden mit ihrem Vorbringen anhört, lehnt der Verfassungsgerichtshof bereits die Eröffnung der gerichtlichen Kontrolle ab. Angesichts der Ähnlichkeit des österreichischen und deutschen Rechtssystems fragt der Beitrag, ob das eine Gericht die jeweils andere Entscheidung hätte treffen können. Dabei wird ersichtlich, wie wichtig es ist, in die Erzählung über die Klimarechtsprechung vergleichend ermittelte Hintergründe einzubeziehen. Nur so können Gerichte weltweit in Bezug auf ähnliche Rechtsfragen angesichts der globalen Herausforderung des Klimawandels in Dialog treten.
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The Road Not Taken
Über die Zulässigkeit der Ausübung von Sexarbeit zeitgleich mit einem gesetzlich geregelten Gesundheitsberuf im psychosozialen Kontext
Sexarbeit galt lange gesellschaftlich als verpönt und anrüchig. Obwohl es in den letzten Jahren kein generelles gesetzliches Verbot gegen die Ausübung von Sexarbeit in Österreich gab, klassifizierte der OGH „Prostitution“ jahrelang als sittenwidrig. Durch die Änderung dieser Judikaturlinie ist nun zu prüfen, ob eine Nebenbeschäftigung im Bereich der Sexarbeit einen Einfluss auf die in den jeweiligen Berufsgesetzen erforderte Vertrauenswürdigkeit der gesetzlich geregelten Gesundheitsberufe der Ärzt*in, der Musiktherapeut*in, der Gesundheitspsycholog*in bzw Klinischen Psycholog*in oder Psychotherapeut*in hat.
Das Gnaden(un)wesen
Der Beitrag versucht das dem Begnadigungsrecht des_der Bundespräsidenten_in immanente Missbrauchspotential aufzuzeigen und untersucht im ersten Teil die formalen und inhaltlichen Anforderungen, die das B-VG an eine positive Gnadenentscheidung stellt. Der zweite Teil des Beitrags widmet sich der (gerichtlichen) Kontrolle von Gnadenakten und möglichen Sanktionen, die dem_der Bundespräsidenten_in bei missbräuchlicher Ausübung des Begnadigungsrechts drohen könnten. In materieller Hinsicht stellt der Gnadenerweis eine freie Ermessenentscheidung des_der Bundespräsidenten_in dar, die einer nachprüfenden Kontrolle entzogen ist. Die einzige Abhilfe für etwaige Missbräuche bei der Ausübung des Begnadigungsrechts ist in der Geltendmachung der politischen und unter Umständen der rechtlichen Verantwortlichkeit des_der Bundespräsidenten_in zu erblicken.
Vom Anstand, die Polizei nicht zu kritisieren
Ob das Zurschaustellen der Abkürzung „A.C.A.B“ eine Anstandsverletzung im Sinne der österreichischen Landespolizei- bzw Landessicherheitsgesetze darstellen könne, blieb lange Zeit unklar. Der VfGH stellte in einer Entscheidung 2019 aber klar, dass die Äußerung den Schutz der Meinungsäußerungsfreiheit iSd Art 10 EMRK genieße und daher nicht als Anstandsverletzung strafbar sei. Begründet wurde dies damit, dass im Anlassfall auf ein gespanntes Verhältnis zwischen Fußballfans und Polizei aufmerksam gemacht werden sollte und keine konkrete Beschimpfung bestimmter anderer Personen vorlag. Mit der spezifischen Rolle der Polizei und der Frage, ob und wie diese kritisiert werden dürfen soll, setzte sich der VfGH aber kaum auseinander, was zu unzutreffenden Ableitungen aus der Entscheidung führte. Es zeigt sich aber, dass die besondere Stellung der Polizei als exekutive Staatsgewalt, ihre besondere Exponiertheit wie ihre besonderen Privilegien gerade die entscheidenden Elemente sind, die zu einer Straflosigkeit von „A.C.A.B.“ führen müssen.
Wenn das Smartphone der Kontrolle dient
Mit dem Fremdenrechtsänderungsgesetz 2018 schuf der österreichische Gesetzgeber die Möglichkeit, im Zuge des Asylverfahrens Datenträger von Asylsuchenden zum Zweck der Identitätsfeststellung sowie zum Ausforschen der Reiseroute auszuwerten. Der vorliegende Beitrag stellt die gesetzlichen Grundlagen vor, diskutiert deren politischen Entstehungszusammenhang und beleuchtet die grundrechtlichen und praktischen Probleme, die eine potentielle Umsetzung bis heute begleiten. Außerdem werden Erkenntnisse aus Deutschland vergleichend herangezogen – dort wird die Auswertung von Datenträgern bereits seit 2017 systematisch praktiziert.
Sozialhilfe neu in Oberösterreich
Die Umsetzung der „Sozialhilfe neu“ in Oberösterreich hat für Menschen in Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe und nach dem Oö Chancengleichheitsgesetz eine drastische Leistungsreduktion zur Folge. Im Jahr 2022 beträgt der Einkommensverlust EUR 293,38 pro Monat. Durch die gemeinsame Nutzung der vorhandenen Infrastruktur in den Einrichtungen wie Küche, Bad und WC wird mit einer Kostenersparnis gegenüber getrennten Haushalten argumentiert, eine gemeinsame Wirtschaftsführung angenommen und somit der Richtsatz für in Haushaltsgemeinschaft lebende Personen herangezogen. Die Lebenssituation der Bewohner*innen in Einrichtungen unterscheidet sich jedoch stark von gewillkürten Lebensgemeinschaften und erfordert daher eine differenzierte Betrachtung sowie rechtliche Berücksichtigung. Das Grundsatzgesetz verweist in diesem Zusammenhang auf „besondere Umstände“, auf Grund deren eine gemeinsame Wirtschaftsführung ausgeschlossen werden kann. Eine landesrechtliche Konkretisierung der „besonderen Umstände“ ist jedoch notwendig – erfordert aber einen entsprechenden politischen Willen.
Gelöbnis an das standesgemäße Verhalten
Irina produziert unter ihrem Usernamen @toxischepommes seit Mitte 2020 gesellschaftspolitische Satire in Form von Kurzvideos auf den Social Media Plattformen Instagram und TikTok. Dabei kritisiert sie die österreichische Gesellschaft insbesondere dort, wo sie Rassismus, Sexismus, Klassismus und Homophobie in ihren Alltag inkorporiert. Im echten Leben ist Irina als Juristin tätig. Im folgenden Beitrag spricht sie über die schönen und weniger schönen Beobachtungen, die sie im Laufe ihrer juristischen Ausbildung und Berufslaufbahn gemacht hat und die sie gerne auch in ihren Kurzvideos verarbeitet, sowie über das Potenzial von Jurist*innen, wenn es um die Gestaltung unserer Gesellschaftsordnung geht. Dies diskutiert sie im Rahmen der Frage, ob und inwieweit Rechtswissenschaften und Satire überhaupt zusammenpassen.
„Klimaklagen liefern strukturell perfekte Fragen für Verfassungsgerichte“
Petra Sußner, Ida Westphal und Eva Pentz, Gastherausgeberinnen des juridikum-Schwer-punkts zu Klimagerechtigkeit (juridikum)*: Der österreichische Verfassungsgerichtshof (VfGH) und das deutsche Bundesverfassungsgericht (BVerfG) haben beide in jüngerer Vergangenheit vielbeachtete klimarelevante Entscheidungen erlassen – unter unterschied-lichen Vorzeichen, mit sehr verschiedenen Fragestellungen und auch mit unterschiedli-chen Ergebnissen. Karlsruhe hat Teile des deutschen Klimaschutzgesetzes für mit den Grundrechten unvereinbar erklärt,1 Wien hat die Individualanträge gegen Steuerbefreiun-gen für die Luftfahrt zurückgewiesen.2 Wo sehen Sie Unterschiede und Gemeinsamkei-ten? Gibt es so etwas wie eine österreichische und eine deutsche „Klimaschutzrechtskultur“?Verena Madner (VM): Die beiden Entscheidungen zeigen große Unterschiede, die ich aber nicht in einer unterschiedlichen Klimarechtskultur festmachen würde, sondern daran, dass die Rechtsgrundlagen im Klimabereich sehr unterschiedlich sind und es stark auf die Verfahren ankommt, die an ein Gericht herangetragen werden – diese Faktoren bestimmen wesentlich darüber, was ein Gericht mit seiner Rechtsprechung leisten kann. In Österreich hat der VfGH bisher noch keine materielle Entscheidung in einer Klimarechtsklage getroffen. Die von Ihnen erwähnte Entscheidung zur Kero-sinsteuer ist bereits an der Frage der Zulässigkeit gescheitert. Das ist rechtlich interes-sant und zeigt, dass der Zugang zum individuellen Rechtsschutz in Österreich in sol-chen Fragen traditionell eher eng ist. Allerdings wurde diese spezifi sche Klage in ihren Erfolgsaussichten auch in der rechtswissenschaftlichen Literatur von vornherein durch-gehend skeptisch beurteilt, weil die Darlegung der unmittelbaren Betroffenheit für die Kläger*innen schwierig war. Diese braucht es aber, um – bildlich gesprochen – die Pforten des Gerichtes zu durchschreiten und eine Entscheidung in der Sache zu errei-
Dürfen Medien Chatprotokolle von Politiker_innen veröffentlichen?
Entscheidungen des Presserats
Zu der im Titel gestellten aktuellen Frage gibt es zwei interessante medienethische Ent- scheidungen des Presserats, der Selbstkontrolleinrichtung für die österreichischen Printmedien. Die erste Entscheidung betrifft einen Artikel, in dem aus verschiedenen Chats und SMS von Mitgliedern der türkis-blauen Bundesregierung zitiert wurde. In den Chats kamen ua Absprachen zur Mindestpension und einem geplanten ORF-Gesetz vor.