Während die österreichische Verfassung kein Sozialstaatsprinzip enthält und soziale Grundrechte nur rudimentär bestehen, zeigt die Rsp des VfGH sozialstaatliche Bezüge auf. Um die Breite und Vielfalt des österreichischen Sozialstaats zu verstehen, ist aber das Verwaltungsrecht näher in den Blick zu nehmen.
Verwaltungsrechtliche Perspektiven auf den österreichischen Sozialstaat
Regeln und Grenzen der Aufrechterhaltung der Erwerbstätigeneigenschaft und des Bezuges sozialer Leistungen von Unionsbürger:innen
In einigen Fällen wird die Erwerbstätigeneigenschaft von Unionsbürger:innen, die in anderen Mitgliedstaaten arbeiten, auch nach dem Ende bzw während einer Karenzierung eines Arbeitsverhältnisses aufrechterhalten. Das kann gravierende Auswirkungen auf die Möglichkeit des Bezuges sozialer Leistungen haben. Der VwGH hat die Frage, ob bzw wie lange Arbeitnehmer:innen, deren Arbeitsverhältnis aus Gründen der Elternschaft karenziert ist, noch in diesem Sinn ihre Erwerbstätigeneigenschaft aufrechterhalten, sehr restriktiv gelöst und ausgesprochen, dass dies nur während der Zeit des Mutterschutzes, nicht aber während der darauffolgenden Elternkarenz der Fall sei. Wie gezeigt wird, ist diese enge Sichtweise aufgrund der EuGH Judikatur verfehlt. Weiters wird im Beitrag erörtert, dass diese Aufrechterhaltung der Erwerbstätigeneigenschaft auch nach kurzem Arbeitsverhältnis eintritt, solange dieses nicht „völlig untergeordnet“ war. Zuletzt wird beleuchtet, wie der Begriff der „unfreiwilligen Arbeitslosigkeit“ in diesem Zusammenhang ausgelegt werden muss.
Vorwort der Gastherausgeber:innen
Die verschiedenen Formen der Migration fordern die österreichische Gesellschaft heraus und werden diese auch in Zukunft herausfordern. Für all diese Migrationsformen stellt sich die Frage, inwieweit zuwandernde Personen in den Arbeitsmarkt integriert werden und welche soziale Absicherung sie erfahren sollen. Aus dem Bedürfnis, den komplexen Schnittstellenbereich von Migration, Arbeit und Sozialem aus rechtswissenschaftlicher Perspektive besser zu verstehen und einige der vielen bestehenden Forschungslücken zu schließen, haben wir – Michaela Windisch-Graetz, Kevin Fredy Hinterberger und Johannes Peyrl – ein von der Arbeiterkammer Wien finanziertes Drittmittelprojekt am Institut für Arbeits- und Sozialrecht der Universität Wien ins Leben gerufen. Zwei Jahre haben wir unter Einbeziehung vieler Expert:innen Ringvorlesungen und Seminare zum Themenbereich Migration, Arbeitsmarkt und soziale Absicherung veranstaltet. Die im vorliegenden Schwerpunkt abgedruckten Beiträge sind ein Teil der Ergebnisse dieser erkenntnisreichen zwei Jahre. Im Zuge des Projekts wurde deutlich, dass Österreich mit Migrant:innen und deren Zugang zu sozialen Rechten ambivalent umgeht.
Diskriminierung beim Zugang zur oberösterreichischen Wohnbeihilfe
2018 wurde unter der schwarz-blauen Landesregierung in Oberösterreich der Zugang zur Wohnbeihilfe für Drittstaatsangehörige massiv eingeschränkt. Bereits bestehende zusätzliche Erfordernisse für den Bezug von Wohnbeihilfe wurden verschärft, zusätzlich wurde von langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen plötzlich ein formaler Nachweis von Deutschkenntnissen verlangt. Von diesen Verschärfungen waren rund 3.100 Haushalte betroffen, die für den Erhalt von angemessenem Wohnraum auf die Wohnbeihilfe angewiesen sind. Eine Musterklage des Klagsverbands führte zu einem Vorabentscheidungsersuchen des LG Linz an den EuGH in dieser Frage. Die Entscheidung des EuGH liegt nunmehr vor.