"Meine große Idee ist die Lösung des sozialen Problems, d. h. um die vierzig Millionen Einwohner des Vereinigten Königreichs vor einem mörderischen Bürgerkrieg zu schützen, müssen wir Kolonialpolitiker neue Ländereien erschließen, um (...) neue Absatzgebiete (zu) schaffen ..." (Cecil Rhodes, 1895)
Als 1955/56 sieben europäische Staaten zur Schaffung eines einheitlichen europäischen Wirtschaftsraums antraten, war das "klassische" Kolonialsystem noch weitgehend aufrecht. Vor allem Frankreich mit Besitzungen in West- und Zentralafrika und mit mehreren Gebieten im pazifischen und karibischen Raum hatte Interesse, sich die historischen Einflussgebiete, auch angesichts zunehmender Unabhängigkeitsbestrebungen in diesen Ländern, zu sichern. Die französische (und nicht nur diese) Kolonialpolitik war seit jeher auf die Schaffung von Absatzmärkten und die Sicherung von Rohstoffquellen orientiert. Den Kolonien wurden Präferenzen eingeräumt, die sich jedoch nur auf bestimmte Produkte beschränkten. Gleichzeitig wurde ihnen auch der Handel mit Drittländern erschwert. Um den Handel in den Kolonien besser kontrollieren zu können, wurde der Franc zur Leitwährung erklärt, sämtlicher Handel hatte in der Mutterwährung stattzufinden ("Franc-Zone"). Durch die EWG-Assoziierungspolitik sollte nun dem Kolonialsystem ein neues Gewand verliehen werden. Die Einigung der EWG-Vertragsparteien über ihre Beziehungen zu den überseeischen Gebieten hat im vierten Teil des EWG-Vertrages (Art 131-136) Eingang gefunden. Ziel war es, „... die außereuropäischen Länder und Hoheitsgebiete, die mit Belgien, Frankreich, Italien und den Niederlanden besondere Beziehungen unterhalten, der Gemeinschaft zu assoziieren.“ (Art 131). In diesem Artikel, als auch in der Präambel stellten die Vertragsparteien fest, „... dass die Assoziierung in erster Linie den Interessen der Einwohner dieser Länder und Hoheitsgebiete dienen und ihren Wohlstand fördern sollte, um sie der von ihnen erstrebten wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Entwicklung entgegenzuführen.“
**Zum Beispiel Milch**
Wie nun wessen Interessen gefördert werden, soll am Beispiel der europäischen Milch- und Viehwirtschaftspolitik gezeigt werden: Obwohl bereits in den 50er Jahren Überschüsse an Milchprodukten vorhanden waren, wurden die europäischen Bauern durch Subventionen und Interventionen (Stützungskäufe) weiterhin zur Produktionssteigerung mittels Kraftfuttereinsatzes (vor allem Sojaschrot) ermuntert. Nachdem die USA ihren Export an Sojabohnen nach einer Missernte im Jahre 1973 einstellten, begannen die großen Handelshäuser wie Toepfer oder Dreyfuß Sojaschrot in großen Mengen aus Brasilien zu importieren. Brasilien, vor allem durch seine Verschuldung auf steigende Exporte angewiesen, erhöhte den Sojaschrotexport von 1968 um das 36fache auf rund acht Millionen Tonnen im Jahr 1985. Dies hatte natürlich tiefgreifende Strukturwandlungen zur Folge. Innerhalb von 15 Jahren wichen die bäuerlichen Strukturen den großen Haciendas. Es setzte eine gewaltige Landflucht ein. Wo vorher zehn Bauern Nahrungsmittel für sich und die Städte produzierten, ist heute ein Bauer mit dem Anbau von Sojabohnen für europäische Zuchtkühe beschäftigt. Dies führt wiederum zu drastischen Preiserhöhungen bei den traditionellen Nahrungsmitteln auf der einen Seite und zu sinkenden Preisen bei Sojaprodukten auf der anderen Seite. Gleichzeitig wird dadurch natürlich auch die Viehwirtschaft ruiniert, da die brasilianischen Kühe nicht mit den europäischen konkurrieren können. Das hat wiederum zur Folge, dass Milch- und Fleischprodukte importiert werden - aus der EG. „Berücksichtigt man auch die gewaltigen ökologischen Schäden (Waldrodung, Bodenerosion), dann kommt der Sojaanbau einem Ausverkauf des Landes gleich.“ 1
Im Endeffekt bedeutet also die Überschussproduktion der EG eine Katastrophe für Brasilien. Gewinner sind die großen Molkereikonzerne der EG-Staaten.
**NWWO und Verträge von Lomé**
In den 60er Jahren, als praktisch alle Kolonien die formale Selbstständigkeit erhielten, bildeten sich in diesen Gebieten auch zahlreiche Befreiungsbewegungen. Diese und die Ansprüche der USA und Japans auf neue Märkte in der Dritten Welt ließen die EG um ihre Einfluss-Sphären bangen. 1963 wurde mit dem Vertrag von Yaoundé (Kamerun) erstmals ein Abkommen der EWG mit den ehemaligen Kolonien geschlossen. Unter den 18 assoziierten afrikanischen Staaten und Madagaskar (AASM) befanden sich hauptsächlich frankophone Staaten. Das Ergebnis erinnerte fatal an ehemalige koloniale Beziehungen zwischen den "Partnern". „So wurden gegenseitige Zollpräferenzen gewährt, um die Handelsbeziehungen zu erleichtern - eine Politik, die schon während der Kolonialzeit von Frankreich verfolgt wurde -, und es wurde der mittlerweile gegründete Europäische Entwicklungsfonds mit 720 ERE (Europäische Rechnungseinheit) ausgerüstet. Der einzig ersichtliche Unterschied zur vorherigen Politik war die formelle Unabhängigkeit der AASM.“ 2
In diese Zeit fielen auch die Verhandlungen im Rahmen der 1. UNCTAD-Konferenz 1964 über eine Neue Weltwirtschaftsordnung (NWWO), die von einer breiten Einheitsfront der Entwicklungsländer getragen wurde. Der Prozess der politischen Befreiung war die eine Seite, die andere war ökonomische Stagnation: Vor allem die „Gruppe der 77“ erstellte weitreichende Forderungskataloge (die auch heute wieder zur Diskussion stehen), deren Verwirklichung zu einer Neuen Weltwirtschaftsordnung führen sollte. Im Wesentlichen stützten sie sich auf zwei Argumente:
- Die Industrieländer müssen Schäden ausgleichen, die sie durch Ausbeutung während der Kolonialzeit und ungerechte Handelsbedingungen danach angerichtet haben.
- Nicht nur die restriktiven Maßnahmen der Reichen zur Benachteiligung der Armen müssten beseitigt werden. Vielmehr sei es eine Verpflichtung der Reichen, den Armen zu ihrer Entwicklung reale Mittel zu übertragen.
Im Einzelnen standen Forderungen nach Stabilisierung der Exporterlöse bzw. die Erhöhung der Deviseneinnahmen über höhere und gerechtere Preise für die eigenen Exporte im Mittelpunkt. Das Integrierte Rohstoffprogramm (IRP) nimmt dabei - neben dem geforderten Recht auf Bildung von Rohstoffkartellen und Bindung der Rohstoffpreise an die Einfuhrpreise - eine zentrale Rolle ein. Um Angebots-, Nachfrage- und Produktionsschwankungen bei Rohstoffen abzuschwächen, sollten im Rahmen des IRP Ausgleichslager (Buffer Stocks) eingerichtet werden. Die aus dem IRP folgende administrative Preisbildung und -politik musste dann auch auf den Widerstand der kapitalistischen Industriestaaten stoßen. Weltmarktpreise, deren Hauptmerkmale darin bestehen, gerecht, fair, ausgeglichen zu sein, stellen das System der "freien Marktwirtschaft" in Frage. Diese Forderungen und die damals durch ihre Einigkeit doch relativ starke Position der Dritte-Welt-Länder dürfen natürlich nicht außer Acht gelassen werden, will man zu einer realistischen Einschätzung der im Folgenden zu besprechenden Lomé-Abkommen gelangen. Durch den EWG-Beitritt Großbritanniens ergab sich nun auch die Möglichkeit, mit weiteren 20 Staaten des Commonwealth assoziierende Verträge abzuschließen.
Die Europäischen Gemeinschaften erlebten in den 70er Jahren wiederum eine Konjunkturabschwächung, sodass Befürchtungen über Exporteinbußen ihre Interessen an Kooperationsabkommen steigerten. Die OPEC-Staaten hatten gerade die industrialisierten Länder mit ihrer Kartellpolitik in Angst und Schrecken versetzt und gezeigt, dass die Mächtigen dieser Welt auch nicht unverletzbar sind. So verwundert auch das neue Vokabular, mit dem das Lomé-Abkommen 1975 geschmückt ist, nicht mehr allzu sehr. Die Präambel von Lomé I spricht etwa von „dem Bestreben auf der Grundlage völliger Gleichberechtigung zwischen Partnern eine enge und ausdauernde Zusammenarbeit im Geiste internationaler Solidarität“ auszuhandeln. Fortan wurde dieses Abkommen mit 46 Staaten aus Afrika, der Karibik und dem Pazifik (AKP) von (fast) allen Seiten stürmisch gefeiert, sah man darin doch einen Weg, unter dem Motto „Hilfe durch Handel“ in aller Freundschaft zu kooperieren. Dass die Industriestaaten nur allzu leicht bereit sind, diese „Freundschaft“ kurzzeitig auszusetzen, um mit militärischen Mitteln für ihre Rohstoffversorgung Sorge zu tragen, sei dahingestellt.
Die Eigennützigkeit der EG beim Abschluss von Lomé I bringt eine diesbezügliche
Mitteilung der EG-Kommission an den Ministerrat mit aller Offenheit zum Ausdruck: „Die Gemeinschaft braucht breitgestreute, umfangreiche Investitionen in den einzelnen Wirtschaftsbereichen der Entwicklungsländer:
- zur Diversifizierung und Absicherung der Rohstoffversorgung,
- zur Schaffung einer dauerhaften Grundlage für den Ausbau der Wirtschaftsbeziehungen mit den Entwicklungsländern, und
- zur Erhaltung und Stärkung der Präsenz der europäischen Industrie und des europäischen Handels auf den Märkten der Entwicklungsländer gegenüber der internationalen Konkurrenz.“ 3
Welche Instrumente werden nun im Lomé-Abkommen zur Erreichung dieser Ziele geschaffen?
Im handelspolitischen Bereich werden den AKP-Staaten Vergünstigungen eingeräumt, etwa zollfreier Zugang zu den EG-Märkten für AKP-Exporte, wovon Produkte, die unter die Gemeinsame Agrarordnung der EG fallen, ausgenommen sind. Im Bereich der Industriegüter behält sich die EG durch Schutzklauseln die Aussetzung des freien Marktzuganges vor. Die noch im Yaoundé-Abkommen enthaltene Einräumung von Gegenpräferenzen seitens der AKP-Staaten unterbleibt zwar, im Gegenzug gewähren sie jedoch der EG eine Meistbegünstigung, nach der eine Benachteiligung der Europäer gegenüber Drittländern ausgeschlossen wird. Das Problem der fallenden Exporterlöse wird - oberflächlich betrachtet - durch das sogenannte System zur Stabilisierung der Exporterlöse (STABEX) in Angriff genommen. STABEX beruht auf einem Ausgleichsfond für Verluste aus dem Agrarrohstoffhandel. Der Fond schüttet erst Gelder aus, wenn die Einnahmen aus dem Export eines Produktes 7,5% der Gesamteinnahmen überschreiten (bei den am wenigsten entwickelten Ländern LLCD beträgt die Abhängigkeitsschwelle 2,5%) und es zu einem Erlösausfall von mindestens 7,5% (bei den LLCD 2,5%) kommt. Die STABEX-Mittel werden ohne Projektbindung (ab Lomé II teilweise gebunden) vergeben und sind in der Regel rückzahlungspflichtig (außer bei den LLCD). Durch Lomé II wird dieses System auf 45 Produkte ausgeweitet, die Abhängigkeits- und Auslöseschwelle geringfügig gesenkt (auf 6,5% bzw. 2% bei den LLCD). Im Bereich der Bergbauprodukte wird ein ähnliches System, genannt SYSMIN (System für Mineralien) aufgebaut. Für Entwicklungsprojekte in den Bereichen Landwirtschaft, Industrie und Infrastruktur wird durch Lomé I die Mittelvergabe in Form von Krediten dem Europäischen Entwicklungsfond und der Europäischen Investitionsbank übertragen. Höchstens auf den ersten Blick kommt das System von Lomé den Forderungen nach einer NWWO nach. Das STABEX-System nimmt jedoch keinerlei Einfluss auf Preisbildungsmechanismen, es reagiert nur nachträglich und ungenügend auf die für „Entwicklungsländer“ verheerenden Effekte des „freien Welthandels“, in dem das Machtgefälle wesentlich für unterschiedliche Gewinnverteilung zugunsten der Mächtigen ist. Wer diese Mächtigen sind, braucht wohl nicht weiter erläutert zu werden. Es verwundert auch nicht weiter, dass dieses System schließlich 1980 - als die Weltmarktpreise für Rohstoffe gewaltig ins Rutschen kamen - zusammenbrechen musste. In der Folgezeit konnten nur mehr etwa 50% der Ansprüche erstattet werden. Stellt man die zur Verfügung gestellten Finanzmittel in Relation zum gesamten Exportwert der AKP-Staaten, so sieht man, dass der Wert der durchschnittlichen Transfersumme aus dem STABEX-System pro Jahr (75 Mio. ERE) ... nicht mehr als 0,7% der Gesamtexporte der AKP-Staaten im Wert von 10,5 Milliarden ERE in die Europäische Gemeinschaft betrugen. Das System der Abhängigkeits- und Auslöseschwellen hat weiter zu einer Fixierung auf bestimmte Produktionszweige in den assoziierten Ländern geführt. Die Meistbegünstigungsklauseln behinderten die Entwicklung eines Süd-Süd-Handels. Das Problem der zunehmenden Verschuldung der Dritte-Welt-Länder wurde gänzlich außer Acht gelassen. Resümierend ist festzustellen, dass durch die Lomé-Verträge einerseits die Einheitsfront der Entwicklungsländer bei den UNCTAD-Verhandlungen zu einer NWWO gebrochen wurde. Andererseits aber - führt man sich die Auswirkungen der periodisch auftretenden Hungerkatastrophen vor Augen - eine Hebung der wirtschaftlichen Position der „Entwicklungsländer“ nicht erreicht wurde. Die Intentionen der EG-Staaten konnten verwirklicht werden.
- 1. a. b. BUKO Agrokoordination (Hg.): Wer Hunger pflanzt und Überschuss erntet, S.91; 2. Auflage, Hamburg 1988.
- 2. a. b. ebenda, S.176.
- 3. a. b. EG-Kommission 1975, zit. n. Hella Gerth-Wellmann: Die Lomé-Politik der EG. Entstehungsbedingungen, Ergebnisse und Perspektiven, S.139; München/Köln/London 1984.