Jeden Freitag wieder:

Alles begann ganz harmlos. Am 22. Juni veranstaltete die Grüne Alternative eine große Verkehrskundgebung mit Fahrrädern. Es ging vom Rathausplatz zum Gürtel, weiter bis zum Matzleinsdorfer Platz und zurück zum Rathaus. Das Erlebnis eines vorübergehend autofreien Gürtels zeigte nicht nur den 1.400 Teilnehmern, sondern auch den BewohnerInnen, wie menschengerechter Verkehr aussehen kann. Spontan wurde der Wunsch laut, am folgenden Freitag wieder zu fahren. Obwohl das von den OrganisatorInnen nicht geplant war und auch die personellen Kapazitäten fehlten, wurde für den 29. Juni eine weitere Kundgebung angemeldet. Zunächst wurde die angemeldete Route untersagt und Radfahren zum Schulschluss als Provokation bezeichnet. Erstmals zeigte sich, dass die Behörde das vielgepriesene umweltfreundliche, platzsparende, schnelle Fahrrad als Verkehrsmittel nicht ernst nimmt und zwei Arten von BürgerInnen unterscheidet: Diejenigen, die provokant mit dem Rad spazierenfahren, und diejenigen, die ordentlich mit dreiviertel vollen Autos spazierenfahren. Nach mehreren Telefonaten mit dem Polizeipräsidenten ging die Fahrt mit etwa 400 TeilnehmerInnen durch den 9. Bezirk bis zum Franz-Josephs-Bahnhof zurück zum Rathaus. Radfahren ist nicht nur Verkehrsteilnahme. Es ist gleichzeitig auch Freude an der Bewegung, an der Mobilität aus eigener Kraft. Dazu gehört auch eine gewisse Dauer der Fahrt. Diese war deutlich nicht gegeben, daher bildeten sich im Anschluss an die Kundgebung Gruppen, die gemeinsam weiterfuhren, wo sich kein/e RadfahrerIn allein wohlfühlen kann: Linke Wienzeile stadtauswärts, in den 10. Bezirk, über den Gürtel bis zum AKH. Radfahren ist (auch) Freizeit im Verkehr. Es hat keinen Platz neben Menschen, die im Auto zum Freizeitvergnügen und Konsumstress unterwegs sind. Es zeigte sich aber auch, dass Gruppen genauso gut ohne Polizei fahren können. Seither treffen sich jeden Freitag 80 bis 200 RadfahrerInnen zu einer gemeinsamen Fahrt. Das ursprüngliche Thema - OZON und massiver Protest gegen den täglichen, durch verantwortungslosen Automissbrauch verursachten Stau - wurde ergänzt durch verkehrspolitische Anliegen, wie Protest gegen die Demolierung der Oberleitung und später des Gleiskörpers der Linie 8, Forderung nach Vorrang im öffentlichen Verkehr oder Aspekte zur Verkehrssicherheit für RadfahrerInnen. Eine internationale Umweltschutz-Radgruppe wurde bei ihrer Ankunft in Wien begrüßt und über den ganzen Gürtel begleitet. Die ursprünglich von der Grünen Alternative getragene Aktion erweiterte sich zu einer Bewegung von Menschen verschiedener politischer Ansichten, die sich beim Thema Verkehr einig sind. Immer auffälliger wurde die Unduldsamkeit mancher AutofahrerInnen, zunehmend auch der Polizei. Wenn 130 Personen in Autos eine Fahrspur für 6 Minuten dichtmachen - und das tun sie bei Kapazitäten von etwa 1.000 KFZ! pro Stunde! - ist das ganz normal. Wenn aber 130 RadfahrerInnen eine Straße für 6 Minuten dichtmachen, ist das eine Provokation und Behinderung des Verkehrs. Immer mehr versuchte die Polizei, die RadfahrerInnen an den Rand zu drängen. Widersprüchliche Anordnungen wurden zur Norm. Anzeigen und Festnahmen folgten. Selbst unbeteiligte RadfahrerInnen, die zufällig in der Nähe waren, wurden zur Mitfahrt gezwungen. Strafverfügungen von über 2.000,- Euro und mehr wegen Bagatelldelikten folgten. Einem Radfahrer soll sogar der Führerschein entzogen werden! Grobe Gefährdungen durch Polizisten auf Motorrädern und primitivste Beschimpfungen der RadfahrerInnen eskalierten. Angestellte wurden als arbeitsscheues Gesindel bezeichnet, "Wichser", "Huren", "Journalistenschweine" wurden gängige Anreden. Mehrere Versuche, die Fahrten wieder als Kundgebungen anzumelden, scheiterten: Die Kundgebungen wurden untersagt. Das Grundrecht der Demonstrationsfreiheit wurde dem Grundrecht auf freies Stauen untergeordnet. Hundertschaften der Polizei erschienen, um die Untersagungen durchzusetzen. Wenn die RadfahrerInnen dann woanders fuhren, sorgte die Polizei für großflächige Verkehrsberuhigung - also genau das, womit die Untersagung begründet war. Fast jedes Mal gab es mehrere Festnahmen mit stundenlangen Aufenthalten im Arrest wegen geringfügiger Verkehrsübertretungen. Ein Gesprächstermin in der Bundespolizeidirektion wurde zwar von mehreren Beamten wahrgenommen, zeigte jedoch auffällige Differenzen zwischen der Auslegung der StVO durch Höchstgerichte und durch die Polizei. Vollends chaotisch endete die Fahrt vom 17. Oktober. Angemeldet als Bildungsfahrt zur Volkshochschule Hietzing mit dem Ziel, das Fahrtziel schnell zu erreichen, letztlich unangemeldet, da das Telefax angeblich nicht ankam, ging es ordnungsgemäß und diszipliniert bis auf den Grünen Berg. Dort schlug die Polizei zu wie vor 50 Jahren. Nicht gesprächsbereite Zivilisten(!) hielten die Gruppe auf, Beamte in Kampfanzügen begannen mit Fahrzeugkontrollen, stürzten sich zu sechst auf einen, der seinen Ausweis zurück haben wollte, und nahmen schließlich wortlos, aber gewaltsam zwei Frauen mit, die den Brutalitäten nicht zusehen wollten. Prof. Knoflacher war vor den "Terroristen" (1) gerettet: Wer doch noch in die VHS fuhr, hoffte gerade noch das Ende der Diskussion. Endgültig den Boden der Rechtsstaatlichkeit verließ schließlich der Untersagungsbescheid für die 20. Fahrt am 2. November: "So ist es auch verständlich, dass bei unzumutbaren Verkehrsbeeinträchtigungen Aggressionshandlungen der Beeinträchtigten geradezu heraufbeschworen werden. Diese können unter Umständen sogar als ein gewisser Indikator für die Unzumutbarkeit einer Beeinträchtigung angesehen werden." Was gemeinhin als Selbstjustiz gilt, ist also verständlich. Wenigstens für die Vereinsbehörde. Bei der 21. und 22. Fahrt kam es noch toller: Als verkehrspolitische Schwerpunkte standen Gehsteigradwege, "Schutz"wege und Fußgänger auf dem Programm. In Wien sind mehr als 50% der Verkehrstoten Fußgänger. Die Wahrscheinlichkeit als Fußgänger getötet zu werden, ist größer als die, einem Gewaltverbrechen zum Opfer zu fallen! Die Polizei sah das anders: Sie regelte den Verkehr autofreundlich, ließ auch unbeteiligte Fußgänger länger als 3 Minuten (!) stehen und zeigte krasse Mängel an Kenntnissen der StVO. Bekannt war lediglich, dass FußgängerInnen die Fahrbahn in angemessener Eile zu überqueren haben, nicht aber dass AutofahrerInnen ihnen das zu ermöglichen und, falls erforderlich, anzuhalten haben. Auch hier ist also noch viel Arbeit notwendig. Daher, auch wenn es kälter und früher dunkel wird: Treffpunkt jeden Freitag, 16 Uhr, auf dem Rathausplatz beim Ring.

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