Das Thema scheint vorauszusetzen, dass es eine richtige Seite gibt. Wer spricht darüber und was ist demgemäß „falsch“ und „richtig“? Versteht sich der Arbeitskreis Jus als eine Gruppe linker, alternativer, feministischer JuristInnen? Um kollektiv vom Stehen auf der falschen Seite zu sprechen, müssten wir wohl gemeinsame politische Ansprüche formulieren. Das setzte voraus, wir würden uns gemeinsam Begriffe wie links, alternativ, feministisch und die damit möglicherweise verbundenen Inhalte erarbeiten. Das war bisher jedoch nicht unsere Zielsetzung.
So kann eine Diskussion zum Thema folgerichtig nur ein Aufzeigen und Austauschen der individuellen Schwierigkeiten von jeder und jedem im persönlichen „auf der falschen Seite-Stehen“ sein. Gültigkeit hat auch unter diesem eingeschränkten Diskussionsmodus das Problemfeld der Möglichkeiten zur gesellschaftlichen Machtausübung, die der/dem JuristIn vorschwebt, hat sie/er erst endlich ihr/sein Studium „erfolgreich“ abgeschlossen. Ist doch der JuristInnenstand erstens gesellschaftlich anerkannt und werden zweitens an den Schaltstellen der staatlichen und wirtschaftlichen Macht und Einflussnahme durchaus regelmäßig JuristInnen gebraucht. Daraus könnte nun abgeleitet werden, dass JuristInnen durch ihre Berufswahl eben auch selbst Wege zur gesellschaftlichen Einflussnahme offenstehen. Und dann könnte die angeblich erworbene Macht in „unserem“ Sinne ausgeübt werden. Das ist ein Bild, welches m. E. aus Trugschlüssen über die Mechanismen unseres politischen Systems entsteht. Eine Quelle dafür ist die humanistische Idee, die Bedeutung von real existierender Demokratie dahingehend zu verstehen, dass jede/r Einflussnahme zugestanden wird. Und befindet sich frau/man durch ihr/sein Arbeitsfeld in Bereichen, wo gesellschaftliche Weichenstellungen vorgenommen werden, befinden sich manche von uns anscheinend in dem Glauben, man würde uns dort schon mitreden lassen. Damit werden die hierarchischen Strukturen unseres Sozialpartner- und Kammerstaates falsch eingeschätzt. Zwar lernt jede/r JuristIn im Laufe des Studiums alles Mögliche über Sozialpartner und Verfassungswirklichkeit, geht es aber um die eigenen Berufsvorstellungen und -erfahrungen, scheint das bezüglich der Macht Gelernte in Vergessenheit zu geraten. Und wo immer progressive JuristInnen bezahlterweise ihr Wissen nutzbar machen, sind sie VertreterInnen anderer als ihrer eigenen Interessen. Und sich die zu Vertretenden auszusuchen, steht uns nur beschränkt frei. Der Spielraum dafür ist entsprechend den verschiedenen Berufsfeldern unterschiedlich weit. Das ist, wie ich glaube, ein weiterer wesentlicher Konfliktpunkt, der sich auch auf einer individualisierten Ebene gut aufzeigen lässt. Frau/Man wird zum Ausführungsorgan von Interessen, die nicht immer die ihren/seinen sind. JuristInnen als HandlangerInnen derer, die uns bezahlen. Sei es der Staat und über ihn die Interessenvertretungen in den Ministerien; seien es bei den Kammern die jeweils sich durchsetzenden Lobbies; sei es als RechtsanwältIn eben die KlientIn, die/den wir uns ebenfalls nur im Idealfall aussuchen können ... Nicht zu vergessen ist zusätzlich, dass zu allen Positionen, je näher sie den wirklichen Entscheidungsträgern liegen, ein dementsprechend langer dorniger Weg nur führt, auf dem durch ungeheuren Anpassungsdruck so manche Utopie zerbricht bzw. die Energien schwinden, überhaupt noch irgendetwas zu wollen, was mit gesellschaftlicher Veränderung zu tun hat.
Darüber sollten wir uns klar sein, wenn es das Stehen auf der falschen Seite zu beklagen gilt. Sind wir uns dessen bewusst, wenn wir uns für Ministerien, Gericht, KonzipientInnendasein etc. entscheiden, können wir uns auch gleichzeitig darüber den „Kopf zerbrechen“, welche Kompromisse wir einzugehen bereit sind und wie große Abweichungen von eigenen Überzeugungen wir in Kauf nehmen können und wollen. Und dann scheint es natürlich notwendig, auch immer wieder unterwegs zu überprüfen, wo frau/man sich gerade befindet. Ich denke, genau dazu kann eine Gruppe kritischer JuristInnen gut sein (im Sinne der Seilschaft), das müsste sie leisten können: Auseinandersetzung und Feedback in Bezug auf eingeschlagene Wege; Orientierungsmöglichkeit durch Konfrontation mit Meinungen „Gleich“gesinnter. Nur das, glaube ich, aufrichtig verstanden, birgt nicht die Gefahr von Heuchelei in sich. Heuchelei in dem Sinne, dass ein bisschen lamentiert wird in einer Situation, in der frau/man sich's eigentlich ganz gemütlich eingerichtet hat. Ein anderes Thema ist, wie sinnvoll Kompromisse zur Erreichung gesellschaftlicher Ziele erscheinen. Das ist die alte Reformismus-Debatte; die Problematik vom „Gang durch die Institutionen“. Dass das Recht systemimmanent ist und seiner Funktion nach auch kaum anderes sein kann, dass also wir als AnwenderInnen fast zwangsläufig integriert sind, macht es auch nötig für die Identitätsfindung, über diese Fragestellungen nachzudenken. Das könnte schon auch ein spannender Abend im AK werden. Widerstand – Verweigerung versus Integration. Oder doch alles gleichzeitig?? 1 2
- 1. Arbeitskreis Jus: Arbeitskreis kritischer Jus-StudentInnen in Wien; Diskussions- und Vortragsabende zu aktuellen Rechtsentwicklungen mit vornehmlich informativem Charakter.
- 2. Diese Formulierung bezieht sich speziell auf eine Wortmeldung im AK, die genauer auszuführen, den Rahmen dieses Artikels sprengen würde.