VERTRIEBEN, VERPRÜGELT, VERHAFTET UND OBENDREIN HINTERGANGEN:

Staatliche Großprojekte bedrohen die Nomadenstämme Ostafrikas. In dem seit 20 Jahren andauernden Landkonflikt zwischen den Barabaig und dem "Tanzania Canada Wheat Project" werden die Rechte der Nomaden untergraben. Die internationale Menschenrechtsorganisation für das Recht sich zu ernähren - FIAN (Food First Informations and Action Network) - befasst sich erst seit kurzer Zeit mit dem Fall der Barabaig-Nomaden in Tansania.
Seit mehr als 150 Jahren leben die Barabaig, ein Volk von etwa 30.000 Halbnomaden, rund um den Hanang-Berg im Norden Tansanias. Ihre Wirtschaft basiert auf extensiver Viehzucht. In den trockenen Savannengebieten im Hanang-Distrikt entwickelten sie ein komplexes System von das Jahr hindurch wechselnden Weideplätzen. Das erlaubt ihnen größtmögliche Nutzung der Vegetation.
In den letzten zwei Jahrzehnten änderte sich ihre Lage und Lebensweise. Landwirtschaftsprojekte beanspruchen die besten Weiden. Finanziert von der kanadischen Entwicklungshilfe - Canadian International Development Agency (CIDA) - wird das Tanzania Canada Wheat Project von der parastaatlichen National Agricultural and Food Corporation seit 1969 mit ausgedehnter technischer Unterstützung Kanadas durchgeführt.
Von Beginn an wurde traditionelles Barabaig-Land beansprucht. Der Wanderzyklus der Nomaden ist durchbrochen. Auf den vormals fruchtbaren Weiden wird High-Tech-Weizenanbau betrieben, obwohl das Land nicht dazu geeignet ist. Viele halten das Projekt für einen ökonomischen Fehlzug. CIDAs eigene Analysen zeigen, dass die Kosten bis zum Jahr 2000 nicht gedeckt sind und es billiger wäre, Weizen zu kaufen. Die Barabaig sind gezwungen, ihr Vieh häufiger auf kargeres Land zu führen, wodurch die Weiden schnell unbrauchbar werden. Durch die Kultivierung kommt es zu Bodenerosion, Überschwemmungen und Verschlammung der Wasserstellen. Oft sind Nomaden von Ackerland eingekreist, und die traditionellen Wege zu Quellen und Grabstätten sind versperrt. Gutachten zeigen, dass die Unterernährung in den Gebieten um die Weizenfarmen höher ist. Die Kindersterblichkeit ist auf 20% gestiegen. In letzter Zeit kommt es zu wiederholten Menschenrechtsverletzungen an den Nomaden. NAFCO-Arbeiter überfallen ihre Niederlassungen, stecken Hütten in Brand, schlagen und demütigen die Menschen. Da die Barabaig oft über Farmland ziehen müssen, um zu den Wasserstellen zu gelangen, sind sie Übergriffen durch Regierungsbeamte ausgesetzt. Diese beschlagnahmen das Vieh, verhaften die Hirten und verurteilen sie zu hohen Bußgeldern wegen illegalen Betretens. Privatbesitz ist in Tansania nicht möglich. Gemäß der Landverordnung von 1923 gibt es zwei Arten von Landtiteln. Der eine "Deemed Right of Occupancy" erwächst aus dem lokalen Gewohnheitsrecht der Benutzer. Der andere "Granted Right of Occupancy" kann vom Präsidenten für eine Zeitspanne von bis zu 99 Jahren vergeben werden. Es bedarf der Zustimmung des Präsidenten, okkupiertes Land zu veräußern. Gesetze von 1967 und 1973 geben ihm die Möglichkeit, solche Landtitel im öffentlichen Interesse (auch für staatliche Landwirtschaftsprojekte) zu enteignen, allerdings unter Gewährung von Entschädigung und Umsiedlung für die alten Besitzer. Es gibt einige Rechtswidrigkeiten beim Versuch der NAFCO, Land, welches die Barabaig aufgrund des Gewohnheitsrechtes beanspruchen, zu erwerben. Die Bedingungen, die das Landerwerbsgesetz (Land Acquisition Act) von 1967 vorschreibt, wurden großteils nicht erfüllt. Bei Enteignung von Land müssen zuerst "Offers of Rights of Occupancy" festgesetzt werden. Wenn die Konditionen akzeptiert werden, wird der neue Landtitel veröffentlicht (Certificate of Title). Die NAFCO bewirtschaftete das Gebiet jahrelang ohne dieses Zertifikat. Als der Landtitel dann veröffentlicht wurde, hatte man wichtige Vereinbarungen - Wegrecht zu den Wasserstellen und zu den Gräbern - einfach weggelassen. Außerdem betrug die Fläche um 30.000 Acres mehr als im Originalgesuch, das bei den verantwortlichen Behörden im Distrikt eingereicht worden war. Die NAFCO bewirtschaftet nun über 100.000 Acres (40.000 ha) und das Projekt dehnt sich jährlich um weitere 4.000 ha aus.
Die Barabaig reichten eine Klage auf Entschädigung ein und versuchten vor Gericht, das illegal beanspruchte Land zurückzugewinnen. Premierminister Joseph Warioba hob daraufhin das Gewohnheitsrecht der Nomaden auf und stellte das Land der NAFCO zur Verfügung, wozu nur der Präsident, aber nicht der Premier berechtigt ist. Das Legal Aid Committee, das die Nomaden im Kampf vor Gericht vertritt, wendet ein, dass die Maßnahmen des Premierministers verfassungswidrig sind, wenn er die Rechte der tansanischen Ureinwohner aufhebt, ohne die gesetzlichen Schritte zu beachten. Die Order widerspricht außerdem einigen Vorschriften der African Charter, die Tansania sehr früh unterschrieben hat.
Das Eingreifen der Regierung in den gerichtlichen Prozess läuft parallel zum Verhalten der NAFCO-Arbeiter und der örtlichen Polizei im Hanang-Distrikt. Die hohen Bußgelder, die als Strafe für illegales Betreten verhängt werden, sind eine Katastrophe für die Nomaden. Die Folge davon - und wahrscheinlich die Absicht - ist, dass die Barabaig in den Busch fliehen müssen, da sie nicht bezahlen können. Sie könnten ihre Stellung gegen die NAFCO nicht mehr halten. Der springende Punkt dabei ist, dass die Barabaig für unberechtigtes Betreten von Land verurteilt werden, das sie als ihr eigenes beanspruchen und über dessen tatsächlichen Landtitel noch verhandelt wird. Selbst wenn der NAFCO der Landtitel zugesprochen werden sollte, garantiert das Original der "Offers of Rights of Occupancy" das Wegrecht über NAFCO-Farmland. Die Situation der Barabaig ist Indikator für die Nomadenstämme Ostafrikas, die alle im schnellen Wechsel der Gesellschaft und Wirtschaft untergehen. Wegen ihrer Lebensweise werden Nomaden oft als primitives Volk angesehen und für unfähig gehalten, sich dem modernen Staat anzupassen. Tatsächlich aber ist die Antwort der Barabaig auf die Beschlagnahme ihres Landes wohlüberlegt. Sie versuchen, den Konflikt vor Gericht zu klären.
Im Gegensatz dazu ergreifen die Regierung und die NAFCO - die Modernen - ganz andere Mittel: Terror, Vertreibung, Schläge und Eingriff in den laufenden Prozess. Vieles in diesem Fall ist noch unklar. Auch bestehen zurzeit keine Kontakte zu den Gerichtsvertretern der Nomaden. Nach umfassender Research-Arbeit wird FIAN eine Briefkampagne starten, um internationalen Druck auf die tansanische Regierung auszuüben, damit diese zur Respektierung ihrer eigenen Gesetze angehalten wird.
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  • 1. BUKO Agrokoordination (Hg.): Wer Hunger pflanzt und Überschuss erntet, S.91; 2. Auflage, Hamburg 1988.
  • 2. ebenda, S.176.
  • 3. EG-Kommission 1975, zit. n. Hella Gerth-Wellmann: Die Lome-Politik der EG. Entstehungsbedingungen, Ergebnisse und Perspektiven. S.139; München/Köln/London 1984.