Ein Nachspiel in mehreren Aufzügen

Der Bundesheereinsatz gegen Flüchtlinge (JURIDIKUM 4/90: "Bei Plundorf herrscht Krieg") war nur ein Schritt unter vielen auf dem Weg zum autoritären Staat. Wir konnten ihn nicht verhindern. Unser Widerstand war symbolisch; unsere Freiheits-Patrouillen waren ein Zeichen des Protests gegen das Unrecht, das sich breitmacht in diesem Land. Gegen den Fremdenhass, die Kriegshetze, die fortschreitende Militarisierung. Gegen die Festung Europa, deren Grenzzaun Österreich geworden ist.
#### Ohne selbst Soldat zu sein
Es gibt ein juristisches Nachspiel. Auf mehreren Ebenen. Die Staatsanwaltschaft Wien hat auf Antrag des Verteidigungsministeriums gegen mich die Voruntersuchung wegen §§ 15, 159 StGB eingeleitet: "Versuch der Verleitung zu militärisch strafbaren Handlungen, ohne selbst Soldat zu sein."
Wegen meines Aufrufs an die Soldaten, die gesetzwidrigen Befehle ihrer Vorgesetzten zu verweigern.
Ich weiß nicht, ob das billiger ist oder teurer, wenn man nicht selber Soldat ist. Der Strafrahmen soll bis zwei Jahre sein. Früher hat man dazu "Wehrkraftzersetzung" gesagt; damals stand darauf der Tod. Heute leben wir, sagt man, in einer Demokratie. Aber es gibt Kräfte in der Armee, in der Polizei und Justiz - die brechen die demokratischen Spielregeln. Die träumen von der "Festung Europa" - und schielen hinüber, und wollen, dass es bei uns so wird wie drüben, im wiedervereinigten "Reich" ...
Denen war das Flugblatt, das in den Truppenunterkünften von Hand zu Hand ging, sehr unangenehm. Ein Major, der sich bei der dritten Patrouille im Dreiländereck in unser Gespräch mit den Soldaten einmischte, hat mir mit dieser Anzeige gedroht. Mir ist es nur recht: Der Prozess wird Gelegenheit bieten, die menschenrechtswidrige Politik der Löschnaks und Lichals öffentlich anzuklagen.
Sie haben das Asylrecht tausendfach gebrochen. Sie haben die Wehrpflichtigen gezwungen, illegale Befehle auszuführen. Wäre Österreich ein Rechtsstaat, dann stünden sie selber vor Gericht.
#### Das inkriminierte Flugblatt
Soldaten! Sie schicken Euch an die Front. Gegen waffenlose, wehrlose Menschen auf der Flucht. Ihr sollt den Eisernen Vorhang wieder aufbauen, den die Menschen drüben niedergerissen haben. Die Herren Löschnak und Lichal spielen mit Euch Krieg.
Soldaten! Ihr werdet missbraucht. Wisst Ihr, wer die Menschen sind, die über die "Grüne Grenze" gehen?
... Iraner, die dem Terror der Mullahs entronnen sind. Auf der Flucht vor Folter und Tod. Junge Menschen, die in Freiheit leben wollen - wie Ihr.
... Türken und Kurden, auf der Flucht vor einer brutalen Militärdiktatur. Zehntausende wurden in türkischen Gefängnissen umgebracht. Seit Löschnak die Visumpflicht verhängte, ist den Flüchtlingen aus der Türkei der legale Weg versperrt. Sie müssen den schwierigen, gefährlichen Weg über die "Grüne Grenze" gehen.
... Rumänische Minderheiten - Deutsche, Ungarn, Zigeuner, die aus Furcht vor neuen Massakern und Pogromen fliehen.
Menschen, die Eure Hilfe brauchen. Euren Schutz. Schon bisher wurden Flüchtlinge an der Grenze gefasst und zurückgeschoben in die Folterländer. Keiner weiß ihre Zahl. Zurückgeschoben - von der österreichischen Polizei. Jetzt ruft man Euch zu Hilfe, weil dem Herrn Löschnak sein schmutziges Handwerk über den Kopf wächst. Und Herr Lichal den Krieg im Kopf hat - wie man an seinen braunen Plakaten sieht.
Ihr sollt an die Front, sagt man Euch, um die "innere Ordnung und Sicherheit" zu schützen. Das letzte Mal hat das Bundesheer das 1934 getan. Gegen die Arbeiter. Gegen das Volk.
Wisst Ihr, was man von Euch verlangt? Ihr sollt Flüchtlinge hindern, Asyl zu begehren. Aber im Asylgesetz steht, dass Asylwerber zum Aufenthalt im Bundesgebiet berechtigt sind, solange ihr Verfahren läuft (§ 5/1). Österreich hat sich verpflichtet, Asylwerber, deren Leben oder Freiheit bedroht war, auch für illegalen Grenzübertritt nicht zu bestrafen (Genfer Konvention, Art 31). Es ist streng verboten, Flüchtlinge in irgendeiner Form in ein Gebiet auszuweisen oder zurückzuschieben, wo ihr Leben oder ihre Freiheit aus Gründen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, ihrer Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe oder ihrer politischen Ansichten bedroht ist (Art 33 der Konvention; Asylgesetz § 8a).

Es ist auch strafbar, Flüchtlinge in "Drittländer" zu schicken (nach Ungarn, Jugoslawien ...), wenn die Gefahr droht, dass man sie von dort gleich weiterschiebt in das Verfolgerland. Soldaten! Wenn Ihr heute die Befehle Eurer Vorgesetzten befolgt, dann brecht Ihr das Gesetz. Ihr selber macht Euch strafbar. Niemand hat das Recht, Euch das zu befehlen.
Soldaten! Ihr habt nach § 17 MilStG das Recht und die Pflicht, Befehle zu verweigern, die die Menschenwürde verletzen, die von unzuständigen Vorgesetzten ausgehen oder die die Begehung strafbarer Handlungen anordnen. Flüchtlinge zurückzuschieben, ist strafbar und verletzt das Menschenrecht. Und Herr Löschnak, der Euch an die Front ruft, ist ein völlig unzuständiger Mann. Soldaten! Lasst Euch nicht missbrauchen! Verweigert den Befehl!

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#### Aktion SOS
Für den Inhalt verantwortlich: Michael Genner, 1110 Wien, Schneidergasse 15.
#### Zweites Nachspiel: Verfassungsbeschwerde gegen Gold
Gegen den Bezirkshauptmannstellvertreter von Neusiedl am See, Dr. Andreas Gold, habe ich die Verfassungsgerichtshofbeschwerde nach Art. 144 Abs. 1 B-VG wegen Art. 4 und 8 StGG 1867, §§ 4 und 5 Gesetz zum Schutz der persönlichen Freiheit und Art. 5 MRK eingebracht.

Gleichlautende Klagen erhoben die grün-alternative Abgeordnete zum Nationalrat Madeleine Petrovic, der Sekretär der Kommunistischen Jugend Andreas Breitenfellner und andere Betroffene.
Ihr erinnert Euch: Dr. Gold hatte uns alle aus dem Burgenland ausgewiesen, uns mit der Verhaftung gedroht und uns nach Wien eskortieren lassen (JURIDIKUM 4/90).
Aus der von meinem Rechtsanwalt Dr. Herbert Pochieser verfassten Beschwerdeschrift:
"Nach § 2 des Gesetzes zum Schutz der persönlichen Freiheit kann niemand zum Aufenthalt an einem bestimmten Ort oder Gebiet ohne rechtlich begründete Verpflichtung verhalten (interniert, konfiniert) werden. Ebenso darf niemand außer in den durch ein Gesetz bezeichneten Fällen aus einem bestimmten Ort oder Gebiet ausgewiesen werden."
"Durch meine zwangsweise Verbringung von der österreichisch-ungarischen Grenze bei Nickelsdorf bis Wien (...) ist ein Fall der Ausweisung (...) verwirklicht."
"Eine Verordnung nach Art II § 4 Abs 20G 1929 ist nur zum Schutze der körperlichen Sicherheit von Menschen oder des Eigentums zulässig. Tatsachen, welche eine derartige Verordnung zulässig erscheinen ließen, lagen nicht vor. Eine derartige Verordnung könnte durch die erstbelangte Behörde jedenfalls nur für den Wirkungsbereich des Bezirks Neusiedl am See und nicht für das gesamte Burgenland, Niederösterreich und das Bundesland Wien erlassen werden." (...)
"Nach Art. 4 StGG 1867 unterliegt die Freizügigkeit der Person und des Vermögens innerhalb des Staatsgebietes keiner Beschränkung. Art. 4 StGG schützt davor, durch die Staatsgewalt daran gehindert zu werden, sich nach einem bestimmten Ort oder in ein bestimmtes räumlich begrenztes Gebiet zu begeben. Durch die Vorgangsweise der belangten Behörden wurde verhindert, dass ich und meine Reisegefährten von der vorgegebenen Fahrtroute mit unserem Reisebus abweichen, auf der Fahrt stehenbleiben und nach unserem Willen aus dem Kfz aussteigen."
"Ich stelle sohin den Antrag, der Verfassungsgerichtshof möge (...) erkennen, dass ich durch die am 9. 9. 1990 von Beamten der belangten Behörde Festnahme und anschließende Anhaltung durch Eskortierung (...) in meinen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Freizügigkeit der Person innerhalb des Staatsgebietes und auf persönliche Freiheit verletzt worden bin; sowie der belangten Behörde den Ersatz der Kosten auftragen."
Dieses Verfahren kann lange dauern. Aber es ist notwendig. Um die Demokratie zu schützen, sind alle zweckdienlichen Mittel anzuwenden: Auf der Straße. Im Parlament. Vor Gericht ...

#### Schadwasser angezeigt

Und weil wir schon dabei sind: noch eine anhängige Sache
. Der Leiter der Asylpolizei in der Tannengasse, Dr. Schadwasser, ist ein berüchtigter Mann.
Er hat voriges Jahr im "Kriminalbeamten" einen Artikel geschrieben mit der Naziüberschrift: "Das Boot ist voll". Neuerdings fällt er dadurch auf, dass er Asylwerbern ihre Bescheinigung über die vorläufige Aufenthaltsberechtigung nach § 5 Abs. 1 Asylgesetz wegnehmen lässt, sobald ihr Asylantrag in erster Instanz abgelehnt worden ist. Obwohl diese Bescheinigung solange gilt, wie das Asylverfahren läuft. Ein Bescheid erster Instanz ist kein rechtskräftiger Abschluss. Diese Vorgangsweise ist daher illegal. Die Bescheinigung ist eine amtliche Urkunde, auf die der Asylwerber gesetzlichen Anspruch hat. Er braucht sie, wenn er aufs Arbeitsamt geht; er braucht sie, wenn ihn ein Polizist auf der Straße nach seinem Ausweis fragt ... Der Beamte Schadwasser bricht das Gesetz. Aber die meisten Flüchtlinge trauen sich nicht, ihn anzuzeigen. Aber jetzt, in einem bestimmten Fall, ist das anders. Wir haben den Beamten Schadwasser wegen Urkundenunterdrückung (§ 229 Abs. 1 StGB) angezeigt.
"Wer eine Urkunde (...) vernichtet, beschädigt oder unterdrückt, ist, wenn er mit dem Vorsatz handelt, zu verhindern, dass sie im Rechtsverkehr zum Beweis eines Rechtes (...) oder einer Tatsache gebraucht werde, mit einer Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr Gefängnis zu bestrafen."
Der Tatbestand liegt offenbar vor. Aus der Anzeigeschrift:
"Herr Dr. Schadwasser hat angeordnet, die Bescheinigung des Asylwerbers A. zu unterdrücken; er hat dies mit dem Vorsatz getan, zu verhindern, dass Herr A. sie zum Beweis seines Rechtes auf Aufenthalt im Bundesgebiet und zum Beweis der Tatsache, dass sein Asylverfahren nicht rechtskräftig abgeschlossen ist, gebrauche, (...) Herr Dr. Schadwasser und seine Mittäter werden daher im Sinne des Strafgesetzes wegen Urkundenunterdrückung zu bestrafen sein."
Auch dieses Verfahren ist durchzuziehen. Falls wir beweisen können, dass Schadwasser noch anderen Asylwerbern ihr Papier weggenommen hat, wird gegen ihn wegen Wiederholungsgefahr die Verhängung der Untersuchungshaft zu beantragen sein. Es ist nötig, Exempel zu statuieren. Zu viele Beamte brechen Recht und Gesetz. Es ist niemals gesäubert worden in diesem Staat...