Respekt als zentrale Dimension eines menschenwürdigen Polizeianhaltewesens Ausgewählte Ergebnisse einer Umfrage unter Verwaltungsstraf- und Schubhäftlingen Walter Fuchs / Veronika Hofinger / Hannah Reiter 1. Polizeianhaltezentren: eine wenig erforschte Form des Freiheitsentzugs Über das Polizeianhaltewesen in Ö ist wenig bekannt. Anders als über die Haft in Justizanstalten gibt es über die Form von Freiheitsentzug, die in Polizeianhaltezentren (PAZ) vollzogen wird, keine regelmäßige Berichterstattung. Wie viele Menschen davon wie oft und wie lange betroffen sind, aufgrund welcher Festnahmegründe welche Personengruppen angehalten und weshalb sie entlassen werden – diese und andere Fragen werden zwar vereinzelt in parlamentarischen Anfragen beantwortet, nicht aber in periodischen Statistiken veröffentlicht. Dabei ist der Bereich der „administrativen“ Haft quantitativ gesehen von erstaunlich großer Bedeutung: Gemessen an der Zahl der Neuzugänge pro Jahr gab es 2017 in den österr PAZ fast so viele Haftepisoden (rund 32.000) wie Zugänge zu Justizanstalten (ca 11.000) und unfreiwillige Aufnahmen in psychiatrische Krankenhäuser nach dem Unterbringungsgesetz (etwa 25.000) zusammen. Während letztere mit den unterschiedlichen Formen von Verwaltungshaft ihren relativ kurzen Zeitraum gemeinsam haben, dauert justizielle Haft idR ungleich länger. Dennoch zeigen diese Zahlen, dass PAZ praktisch wichtige Institutionen hinsichtlich des alltäglichen Vollzugs von Eingriffen in die persönliche Freiheit sind. Der nahezu abwesenden öffentlichen Berichterstattung korrespondiert ein Mangel an wissenschaftlich-rechtstatsächlichen Befunden über die Polizeihaft. Vor diesem Hintergrund war das Ziel eines iRd Sicherheitsforschungsprogramms „KIRAS“1 durchgeführten Projekts des Instituts für Rechts- und Kriminalsoziologie, der WU Wien und des Sozialforschungsbüros „queraum“, die gesundheitliche und soziale Situation von in Schubund Verwaltungsstrafhaft (VwStrH) Angehaltenen sowie Perspektiven der Häftlinge und des Personals zu untersuchen. Es sollten wissenschaftliche Grundlagen und konkrete Instrumente für ein zeitgemäßes, die Grundrechte und Unversehrtheit der Häftlinge gewährleistendes Haftmanagement bereitgestellt werden. Mit Methoden der empirischen 1 Das Projekt wurde im Sicherheitsforschungs-Förderprogramm KIRAS vom Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie (BMVIT) finanziert. Als Bedarfsträger war das Bundesministerium für Inneres eingebunden.464 Fuchs / Hofinger / Reiter, Respekt als zentrale Dimension eines Polizeianhaltewesens © Verlag Österreich 2019 Sozialforschung wurde in ausgewählten PAZ analysiert, welche Probleme für Gesundheit, Sicherheit und Lebenslage der Häftlinge sich derzeit stellen und dazu ua eine quantitative Umfrage unter Angehaltenen durchgeführt, aus deren Ergebnissen dieser Artikel zentrale Befunde vorstellt. 2. Theoretischer Hintergrund, Untersuchungsdesign und Methode Die Fragestellung nach der gesundheitlich-sozialen Situation der Angehaltenen legte es nahe, belastende Faktoren einerseits und Schutzfaktoren andererseits in den Blick zu nehmen. In diesem Zusammenhang verwendeten wir das Konzept der healthy prisons, das auf das Health Promoting Prisons (HPP) Project der WHO zurückgeht.2 Die Idee eines „gesunden Gefängnisses“ mag als ein Widerspruch in sich erscheinen3 – tatsächlich stellt jegliche Freiheitsentziehung selbst ein erhebliches Gesundheitsrisiko dar. In Anlehnung an ähnliche Projekte der WHO („Healthy Schools“, „Healthy Hospitals“) lässt sich der Ausdruck healthy prisons indessen als ein Schlagwort mit Signalwirkung verstehen: In dieser Funktion zielt es auf die „Umsetzung und strukturelle Verankerung des Konzeptes ‚Gesundheitsförderung’ für alle im Gefängnis lebenden und arbeitenden Menschen – und möglichst mit ihnen“4 ab. Das Verwenden dieses Begriffs vermag somit den administrativen, wissenschaftlichen und politischen Fokus auf Umstände zu richten, die der Sicherheit und Gesundheit von Angehaltenen wie Personal entweder förderlich oder abträglich sind. Festgehaltene Personen werden dabei nicht nur als zu verwahrende Insass/innen, sondern als Menschen mit körperlichen, geistigen und seelischen Bedürfnissen gesehen.5 Dies kann dazu beitragen, bestimmte Standards für ein menschenwürdiges Leben in Haft zu etablieren. In Konkretisierung des healthy prisons-Ansatzes sind vier grundlegende Kriterien entwickelt worden, anhand derer etwa Haftanstalten in England und Wales regelmäßig kontrolliert werden, nämlich safety („Sicherheit“), respect („Respekt“), purposeful activity („sinnvolle Beschäftigung“) und resettlement („Wiedereingliederung“).6 Die vier Grundeigenschaften möglichst wenig gesundheitsschädlicher Haftumgebungen dienen jedoch nicht nur dazu, freiheitsentziehende Institutionen zu beaufsichtigen: In international vgl empirischen Forschungsarbeiten wurde das healthy-prisons-Konzept auch dazu verwendet, mittels Umfragestudien das soziale Klima in Gefängnissen zu messen. Dabei ist es gelungen, sozialwissenschaftlich reliable und valide Indikatoren für die Befragung von Angehaltenen zu entwickeln.7 Bei der Konstruktion des Erhebungsinstruments konnten wir uns an diese Forschungstradition anlehnen. Dabei waren neben inhaltlich-wissen- 2 Vgl Smith (2000) 339. 3 Vgl McCallum (1995). 4 Stöver (2008) 237. 5 Vgl Ross (2013). 6 Vgl HM Inspectorate of Prisons (2015). 7 Vgl Liebling & Arnold (2004); Ross et al (2008); Liebling et al (2011); Tonkin (2016).recht & gesellschaft 465 © Verlag Österreich 2019 juridikum 4/2019 schaftlichen Gesichtspunkten allerdings auch pragmatische Kriterien der Durchführbarkeit maßgebend. Ein Ziel der Umfrage unter Angehaltenen war es, die theoretischen Dimensionen des healthy prisons-Konzepts mit Blöcken von Aussagen („Itembatterien“) abzubilden, die von den befragten Personen unterschiedlich stark abgelehnt oder bejaht werden konnten, und zwar auf einer Skala von eins („stimmt gar nicht“) bis fünf („stimmt völlig“). Aus inhaltlich verwandten einzelnen Statements mit empirisch ähnlichem Antwortverhalten lassen sich durch Addition fein skalierte Summenindizes gewinnen, die die Komplexität einer Vielzahl von abgefragten Variablen auf einzelne Größen reduzieren und va für Gruppenvergleiche und Zusammenhangsanalysen relevant sind. Das fertige Erhebungsinstrument wurde von professionellen Übersetzer/innen in die von den Angehaltenen am meisten gesprochenen Fremdsprachen übertragen. Im Einzelnen waren dies: Englisch, Kroatisch und Türkisch (VwStrH) sowie Englisch, Französisch, Arabisch, Urdu, Paschtu und Farsi (Schubhaft – SchubH). Die Fragebögen für die Schubund VwStrH sind zu weiten Teilen ident. Es ist nicht auszuschließen, dass unterschiedliche Übersetzungsstile und sprachlich-kulturell bedingte Unterschiede im Frageverständnis die Antworten beeinflusst haben. Nach bewusstseinsbildender Diskussion im Projektteam wurde diese Quelle der Unschärfe bewusst in Kauf genommen – hätte man doch ansonsten die Befragung in einer Form, die Vergleiche zwischen den Haftarten ermöglicht, nicht durchführen können. Die Umfrage fand schließlich in den Monaten April bis August 2017 an drei ausgewählten Standorten statt, und zwar in den PAZ Wien Roßauer Lände (überwiegend VwStrH sowie weibliche Schubhäftlinge), Wien Hernalser Gürtel und Vordernberg (jeweils SchubH). Bei der Auswahl mussten Kompromisse mit der organisatorischen Handhabbarkeit eingegangen werden – nicht zuletzt deshalb, da es sich bei PAZ um stark gesicherte Bereiche handelt, für die jeder außeralltägliche Zugang von außen sehr genau vorab geplant werden muss. Mit dem 2014 eröffneten Standort Vordernberg konnte immerhin eine architektonisch zeitgemäße Haftanstalt berücksichtigt werden, die von vornherein nicht – wie etwa das PAZ Wien Hernalser Gürtel – als Gefängnis geplant wurde. Das Ausfüllen der Fragebögen fand unter strikter Wahrung der Anonymität der Befragten und mit freundlicher Unterstützung der jeweiligen Betreuungsvereine statt. Die Zahl der pro Standort teilnehmenden Häftlinge kann Tabelle 1 entnommen werden. Nicht auszuschließen ist, dass in den Teilstichproben jeweils systematisch Angehaltene unterrepräsentiert sind, die Schwierigkeiten mit der schriftlichen Kommunikation über Fragebögen hatten, sodass diese entweder nicht verwertbar waren oder die betreffenden Häftlinge die Teilnahme überhaupt verweigert haben. Dieser für Umfragen unter Insass/ innen von Haftanstalten typische Bias musste in Kauf genommen werden. Alle Fragebögen wurden vorab auf grundsätzliche Verwertbarkeit überprüft. Leere Fragebögen oder solche mit offensichtlich falschen Angaben, zB „geometrischen“ Ankreuzmustern, wurden aus der weiteren Analyse entfernt. Setzt man die Mengen der verwertbaren Fragebögen in Relation zu den Gesamtzahlen der Angehaltenen, die zur Teilnahme an der Umfrage gebeten wurden (das waren alle Häftlinge während des Befragungszeitraums),466 Fuchs / Hofinger / Reiter, Respekt als zentrale Dimension eines Polizeianhaltewesens © Verlag Österreich 2019 so lassen sich für Wien Rücklaufquoten von 81 % (VwStrH) bzw 63 % (SchubH) berechnen. Das sind Werte, die im Lichte der int Fachliteratur zu Umfragen in Haftanstalten als sehr gut bezeichnet werden können.8 In Vordernberg stieß die Befragung hingegen auf etwas weniger Interesse, was sich auch an dem relativ hohen Anteil an nicht verwertbaren Fragebögen ablesen lässt. Die Zahl der Verweigernden wurde hier nicht aufgezeichnet, sodass eine exakte Rücklaufquote nicht bestimmt werden kann. Da während der Befragungszeiträume jeweils alle Angehaltenen die Möglichkeit zum Teilnehmen an der Umfrage bekamen, kann die Stichprobe grundsätzlich wie eine Zufallsstichprobe behandelt werden, sodass gängige statistische Testverfahren anwendbar sind. Eine bes Gewichtung der Fälle – um etwa den geringeren Rücklauf in Vordernberg rechnerisch auszugleichen – wurde aufgrund der ohnehin ständig schwankenden Belagszahlen nicht vorgenommen. Die Ergebnisse sind daher nicht für die Verteilung von Häftlingen über die unterschiedlichen Standorte repräsentativ. Aufgrund der gleichen Chance der Angehaltenen zur Teilnahme können jedoch die Merkmalsausprägungen innerhalb der jeweiligen Teilstichproben durchaus auf die Population der Häftlinge in den betreffenden PAZ (bzw bis zu einem gewissen Grad auch auf Häftlinge in österr PAZ insgesamt9) verallgemeinert werden. Tabelle 1: Teilnehmende an der Umfrage nach Befragungsstandort und Sprache Sprache Fragebogen Verwertbare Fragebögen Ausgeschiedene Fragebögen Gesamt Verweigernde Bestand 1.6.2017 Deutsch Arabisch Englisch/ Sonstige Wien VwStrH 176 0 6 182 19 201 24 147 Wien SchubH 5 80 60 145 35 180 49 137 Vordernberg 2 2 32 36 18 54 134 Gesamt 183 82 98 363 72 435 418 3. Indikatoren Respekt, Stress und Gesundheitssorge Im Folgenden werden ausgewählte Ergebnisse der Umfrage vorgestellt. Zu Vergleichszwecken ziehen wir als Gruppenmerkmal die Sprache der Fragebögen heran. In der Analyse haben sich zT große Unterschiede innerhalb der Schubhäftlinge gezeigt, die mit Dimensionen der Herkunft einhergehen. Sie lassen sich grob an Differenzen der Antworten zwischen den arabisch- sowie den englischsprachigen und sonstigen Fragebögen für die SchubH festmachen. Die deutschsprachigen Fragebögen kamen demgegenüber nahezu 8 Baier & Bergmann (2013) berichten etwa für eine groß angelegte Umfrage im dt Strafvolluzg von einer Rücklaufquote von 50 %. 9 Dabei muss unterstellt werden, dass die Zusammensetzung der Angehaltenen außerhalb der Standorte und des Zeitraums der Befragung nicht systematisch von den erfassten Merkmalen der Stichprobe abweicht.recht & gesellschaft 467 © Verlag Österreich 2019 juridikum 4/2019 ausschließlich im Bereich der VwStrH zum Einsatz, sodass die Sprachunterschiede im Wesentlichen auch eine Unterscheidung nach der Haftform mitumfassen (s Tabelle 1). Damit wird freilich nicht behauptet, dass die Wahrnehmungen der Angehaltenen durch kulturelle Umstände hinreichend erklärbar sind. Das Merkmal „Sprache des Fragebogens“ hat pragmatisch gesehen den Vorteil, ohne fehlende Werte für alle Befragten vollständig vorzuliegen – dies unterscheidet es von den Angaben zu Nationalität und Muttersprache, die gerade von vielen Schubhäftlingen verweigert wurden. Für thematisch zusammengehörende Items wurden sog Skalenanalysen (Hauptkomponenten- und Reliabilitätsanalysen) durchgeführt. Mit diesen statistischen Verfahren lässt sich untersuchen, ob der inhaltlichen Verwandtschaft von Fragen auch tatsächliche Korrelationen des Antwortverhaltens entsprechen. Während durch Hauptkomponentenanalysen Zusammenhangsstrukturen in den Daten als empirisch vorhandene Dimensionen entdeckt werden können, überprüfen Reliabilitätsanalysen, wie stark bestimmte vorab – nach theoretischen Kriterien bzw nach Maßgabe von Ergebnissen vorangegangener Hauptkomponentenanalysen – ausgewählte Variablen untereinander korreliert sind und sich zur Konstruktion zusammenfassender Kenngrößen eignen. Aspekte der respektvollen Behandlung durch das Personal, der baulichen Ausstattung, des Essens, der Möglichkeit zur Körperpflege, der Ruhe sowie des ausreichenden Vorhandenseins von Frischluft und Licht werden im healthy prisons-Konzept unter dem Etikett „Respekt“ (iwS) zusammengefasst. Als Ergebnis der durchgeführten Skalenanalysen hat sich gezeigt, dass bestimmte Items der Fragengruppen „Respekt“ ieS eines grundlegend höflichen und akzeptierenden sozialen Umgangs bes deutlich untereinander zusammenhängen und sich somit gut zur Indexbildung eignen. Tabelle 3 zeigt das Ergebnis einer Reliabilitätsanalyse für zehn Items zum Thema „Respekt“. Tabelle 2: Reliabilitätsanalyse für den Summenindex „Respekt“ (Werte in Klammer beziehen sich auf die Ergebnisse nach Ersetzung fehlender Antworten) Trennschärfekoeffizient Alpha wenn Item entfernt Der Umgang zwischen Personal und Häftlingen in diesem Anhaltezentrum ist gut. 0,61 0,83 Es gibt hier Leute, denen ich vertrauen kann. 0,53 0,84 Das Personal behandelt uns Häftlinge herablassend. (umgedreht) 0,11 0,87 Die Stimmung unter uns Häftlingen ist angenehm. 0,51 0,84 Ich fühle mich hier wie ein Mensch behandelt. 0,71 0,82 Meine Rechte werden hier respektiert. 0,68 0,82 Ich komme mit den meisten Leuten hier gut aus. 0,64 0,83 Wenn ich etwas vom Personal brauche, bekomme ich es auch. 0,71 0,82 Ich bemühe mich, respektvoll mit dem Personal zu sprechen. 0,27 0,86 Im Großen und Ganzen werde ich vom Personal in diesem Anhaltezentrum fair behandelt. 0,74 0,82 Cronbachs Alpha = 0,84 (0,84); N = 305468 Fuchs / Hofinger / Reiter, Respekt als zentrale Dimension eines Polizeianhaltewesens © Verlag Österreich 2019 Die Brauchbarkeit einer Gruppe von Variablen zum Bilden eines Summenindex wird mit der Maßzahl „Cronbachs Alpha“ beurteilt, in der die durchschnittliche Korrelation der Items untereinander zum Ausdruck kommt. Dieser Koeffizient ist immer eine Zahl zwischen null und eins. Werte ab 0,7 gelten als „annehmbar“, ab 0,8 als „gut“ und ab 0,9 als „exzellent“.10 Eine rechnerisch hohe Reliabilität ist freilich nicht das einzige Kriterium der Indexbildung – Summenwerte sollten auch möglichst viele inhaltliche Facetten einer gemessenen Dimension abbilden. Mit einem Wert für Cronbachs Alpha von 0,84 kann die Reliabilität der Skala „Respekt“ als sehr gut bezeichnet werden. Der Index selbst wurde sodann durch Addition der Werte aller Variablen konstruiert, wobei dessen Spannweite nicht zwischen eins und fünf, sondern auf einer Skala von null bis hundert normiert wurde.11 Abbildung 1 zeigt die Verteilung des Index „Respekt“. In der linken Grafik wird deutlich, dass dieser Indikator annähernd normalverteilt ist – die Dichtekurve ähnelt einer (hier zusätzlich gestrichelt eingezeichneten) „Gaußschen Glockenkurve“, wobei es jedoch zwei „Gipfel“ zu geben scheint. Diese Spitzen der Verteilung deuten auf eine heterogene Stichprobe hin. In der Tat haben die Verteilungen, wie die rechte Abbildung veranschaulicht, je nach Sprache des Fragebogens sehr unterschiedliche Schwerpunkte. Arabisch 10 Der „Trennschärfekoeffizient“ drückt die Korrelation der betreffenden Variablen mit der Summe aller anderen Variablen des Index aus – je höher der Wert, desto höher der Zusammenhang. Die Spalte „Alpha wenn Item entfernt“ zeigt schließlich an, wie hoch Cronbachs Alpha ohne die betreffende Variable wäre. Die Trennschärfekoeffizienten verraten, dass die Items „Das Personal behandelt uns Häftlinge herablassend“ und „Ich bemühe mich, respektvoll mit dem Personal zu sprechen“ weniger stark mit den restlichen Variablen zusammenhängen. Da die beiden Items jedoch inhaltlich wichtige Aspekte der Dimension „Respekt“ verkörpern und ihr Entfernen die Reliabilität des Index nur geringfügig verbessert hätte, wurden sie beibehalten. 11 Fehlende Angaben für einzelne Fragen wurden mit dem Mittelwert der betreffenden Person für alle vorliegenden Werte der anderen Variablen ersetzt. Bedingung dafür war jedoch, dass nicht mehr als zwei Antworten fehlen durften. Auf diese Weise steigt die Fallzahl von 239 auf 305 Befragte; der Reliabilitätskoeffizient bleibt unverändert. Abbildung 1: Histogramm und Dichtekurven für den Index „Respekt“ (senkrechte Linien in Grafik rechts: Mittelwerte)recht & gesellschaft 469 © Verlag Österreich 20
Tabelle 4: Reliabilitätsanalyse für den Summenindex „Gesundheitssorge“ (Werte in Klammer beziehen sich auf die Ergebnisse nach Ersetzung fehlender Antworten) Trennschärfekoeffizient Alpha wenn Item entfernt Meistens kann ich hier ganz gut schlafen. 0,55 0,80 In diesem Anhaltezentrum kümmert man sich gut um Häftlinge mit gesundheitlichen Problemen. 0,64 0,77 Ich muss mir hier keine Sorgen um mein körperliches Wohlbefinden machen. 0,64 0,77 Es gibt hier Leute, die mir helfen, wenn es mir schlecht geht. 0,60 0,78 Ich vertraue dem medizinischen Personal in diesem Anhaltezentrum. 0,62 0,78 Cronbachs Alpha = 0,82 (0,82); N = 275 (309) Die unterschiedlichen Dichtekurven in Abbildung 1 legen nahe, dass sich die Mittelwerte für den Index „Respekt“ je nach Teilstichprobe unterscheiden. Das ist tatsächlich der Fall – und zwar nicht nur für die Dimension „Respekt“, sondern auch für die Indikatoren „Stress“ und „Gesundheitssorge“. Tabelle 5 zeigt die Mittelwerte, Standardabweichungen und Medianwerte für die gesamte Stichprobe sowie nach Sprache aufgeschlüsselt. Tabelle 5: Mittelwerte (M), 95 %-Konfidenzintervalle für die Mittelwerte (KI), Standardabweichungen (SD), Medianwerte (MD) und Stichprobengrößen (N) für den Indizes „Respekt“, „Stress“ und „Gesundheitssorge“ M (KI) SD MD N Respekt Gesamte Stichprobe 56,5 (53,9-59,1) 23,0 57,5 305 Deutsch 64,2 (61,4-67,1) 18,9 65,0 167 Arabisch 38,8 (33,3-44,3) 23,5 30,6 63 Englisch/Sonstige 54,1 (48,7-59,5) 21,9 52,5 75 Stress Gesamte Stichprobe 49,3 (46,9-51,7) 21,2 47,2 304 Deutsch 45,3 (42,5-48,2) 18,5 44,4 165 Arabisch 57,6 (52,2-63,0) 21,4 57,7 62 Englisch/Sonstige 51,2 (45,6-56,7) 24,4 44,4 77 Gesundheitssorge Gesamte Stichprobe 45,2 (41,9-48,6) 29,8 40,0 309 Deutsch 54,5 (50,7-58,3) 24,9 55,0 167 Arabisch 27,3 (21,3-33,2) 23,2 20,0 61 Englisch/Sonstige 39,7 (31,8-47,6) 35,8 40,0 81 Für die Mittelwerte sind zusätzlich 95-%-Konfidenzintervalle angegeben. Dies sind „Vertrauensbereiche“ mit einer Ober- und Untergrenze. Sie geben die Spannweite an, innerhalb derer der wahre Wert in der Grundgesamtheit, auf die eine tatsächlich gemessene Stichprobenkenngröße verallgemeinert wird, mit einer gewissen Sicherheit liegt. So berecht & gesellschaft 471 © Verlag Österreich 2019 juridikum 4/2019 trägt die Wahrscheinlichkeit, dass der Mittelwert des Indikators „Respekt“ bei Ziehung einer neuen Stichprobe aus derselben Population von Angehaltenen zwischen 53,9 und 59,1 liegen würde, mind 95 %.14 Die Mittelwertunterschiede zwischen den Sprachen sind für alle drei Indikatoren statistisch deutlich signifikant. Insgesamt zeigen sich große Unterschiede zwischen den verglichenen Gruppen: Angehaltene Personen, die den Fragebogen auf Deutsch ausgefüllt haben (größtenteils VwStr-Häftlinge) erleben ihre soziale Situation in Haft im Vgl mit Schubhäftlingen deutlich respektvoller, geben seltener an, mit Stressfaktoren belastet zu sein, machen sich weniger Sorgen um ihr Wohlbefinden und vertrauen eher der Gesundheitsversorgung im PAZ. Innerhalb der Gruppe der Schubhäftlinge wiederum schätzen Befragte, die die arabische Fassung des Erhebungsinstruments genutzt haben, ihre Lage schlechter ein als solche, die anderssprachige Fragebögen verwendet haben. Die Unterschiede zwischen den Sprachgruppen sind deutlich größer als die Differenzen zwischen Schubhäftlingen in Wien oder im PAZ Vordernberg.15 4. Ergebnisse: Gewalt- und Krisenerfahrungen Mit einer Reihe von Items wurden die Angehaltenen zu heiklen Gewalt- und Krisenerfahrungen befragt, wobei sie jeweils angeben konnten, ein entspr Vorkommnis erlebt zu haben oder nicht. Im Hinblick auf Gewaltvorfälle wurde zwischen Beobachtungen und direkten Erfahrungen unterschieden, von denen die Häftlinge selbst betroffen waren. Innerhalb letzterer wurde wiederum nach körperlichen, sexuellen oder aber bloß verbalen Übergriffen gefragt. Zudem wurde danach differenziert, ob die berichtete Gewalt von Mithäftlingen oder von Angehörigen des Personals ausging. Bei der Interpretation der Ergebnisse muss berücksichtigt werden, dass es sich um Auskünfte der Befragten, und nicht um „objektiv“ festgestellte Geschehnisse oder gar um gerichtlich überprüfte Sachverhalte handelt. Als Orientierung über die Häufigkeit von Vorfällen, die Angehaltene als zumindest konflikthaft erleben, sind die Daten dennoch aufschlussreich. Abbildung 2 zeigt die Prozentanteile der Befragten, die Gewalterfahrungen berichten, nach Sprache des Fragebogens aufgeschlüsselt. In der Grafik sind zusätzlich 95-%-Konfidenzintervalle eingezeichnet – das sind die schwarzen „Fehlerbalken“ auf den waagrechten Säulen. Anteilsunterschiede sind stets signifikant, wenn sich die Fehlerbalken nicht überlappen. Überlappt ein Fehlerbalken hingegen den Anteilswert der verglichenen 14 Im konkreten Fall ändert sich die Zusammensetzung der Grundgesamtheit laufend, sodass die Intervalle mehr Exaktheit suggerieren, als tatsächlich jemals erreicht werden kann. Ausgehend von der Unterstellung, dass die Ergebnisse einer neuen Befragung unter Häftlingen in PAZ mit demselben Instrumentarium wahrscheinlich nicht wesentlich anders ausfallen würden, geben die Intervalle jedoch wertvolle Hinweise darauf, mit welcher Vertrauenswürdigkeit von den gemessenen Werten auf Eigenschaften der Population geschlossen werden kann. Bes wichtig ist dies für Gruppenvergleiche: Liegen etwa die Mittelwerte zweier Teilstichproben nahe beieinander, so kann mit Hilfe der Vertrauensintervalle gefolgert werden, dass die Unterschiede mit einer nicht geringen Wahrscheinlichkeit rein zufällig zustandegekommen sind. 15 Aus Platzgründen verzichten wir hier auf eine Aufschlüsselung nach Standort.472 Fuchs / Hofinger / Reiter, Respekt als zentrale Dimension eines Polizeianhaltewesens © Verlag Österreich 2019 Gruppe, so ist die Differenz jedenfalls statistisch nicht signifikant – das heißt, dass sie mit einer nicht ganz geringen Wahrscheinlichkeit bloß zufällig zustande gekommen sein könnte. Es fällt auf, dass Befragte, die die arabische Fassung des Erhebungsinstruments verwendet haben, öfter konflikthafte Erlebnisse berichten. Insb trifft dies auf verbale und körperliche Übergriffe durch das Personal sowie auf das Beobachten von Gewalt (egal ob zwischen Häftlingen untereinander oder zwischen Häftlingen und dem Personal) zu. Dieses Ergebnis entspricht den bereits dargestellten Befunden, wonach die arabische Sprachgruppe ihre Situation in vielerlei Hinsicht deutlich ungünstiger als alle anderen Gruppen von Angehaltenen schildert. Im bes Fall könnten sich zusätzlich sprachlich-kulturell unterschiedliche Verständnisweisen von „Gewalt“ ausgewirkt haben. Man sollte sich freilich davor hüten, diese Unterschiede vorschnell „kulturalistisch“ zu deuten. Dahinter können auch andere Lebensumstände stecken, die die Befragten zu solchen Einschätzungen kommen lassen – sei es etwa das Vorliegen von Suchterkrankungen oder die Tatsache, dass die Betroffenen vor ihrer Inhaftierung mit bes schwierigen Lebensumständen (Illegalität, Eingliederung in Subkulturen etc) konfrontiert waren. Nicht zuletzt könnten auch sprachlich bedingte Kommunikationshürden zwischen den Häftlingen und dem Personal eine Rolle spielen. Neben beobachteten oder erlittenen Gewaltvorfällen wurde auch nach weiteren krisenhaften Erfahrungen gefragt, nämlich nach selbstschädigenden Verhaltensweisen oder Abbildung 2: Prozentanteile der Befragten, die Gewalterfahrungen berichten, aufgeschlüsselt nach Sprache des Fragebogens, mit 95 %-Konfidenzintervallenrecht & gesellschaft 473 © Verlag Österreich 2019 juridikum 4/2019 Gedanken (absichtliche Selbstverletzungen, Selbstmordgedanken, Essensverweigerung), nach selbst ausgeübter körperlicher Gewalt und danach, ob die Angehaltenen gegen ihren Willen in eine Einzelzelle gebracht worden waren. Wie auch bei den Gewalterfahrungen beziehen sich alle Vorfälle auf die Zeit des aktuellen Aufenthalts im Anhaltezentrum. Abbildung 3 zeigt die Anteile der Befragten, die solche Krisenerfahrungen berichten, und zwar wiederum aufgeschlüsselt nach der Sprache des Fragebogens. Es offenbaren sich erneut große Unterschiede zwischen den verglichenen Gruppen. Schubhäftlinge sind deutlich öfter belastet. Durchwegs hochsignifikante Anteilsdifferenzen zeigen sich zur arabischen Sprachgruppe. Indessen gilt es auch bei diesen Ergebnissen im Auge zu behalten, dass es sich um Selbstauskünfte handelt, die für sich genommen noch nicht mit medizinischen Diagnosen oder dokumentierten Vorfällen gleichgesetzt werden können. 5. Zusammenhangsanalysen Die verwendeten Summenindikatoren bieten die Chance, bestimmte Zusammenhänge in multivariaten Modellen zu überprüfen. Mit der Technik der binär-logistischen Regressionsanalyse lässt sich untersuchen, wie mehrere „unabhängige“ Variablen simultan auf eine „abhängige“ dichotome Größe wirken – ob etwa höhere Werte für „Respekt“ dazu führen, dass unter sonst gleichen Bedingungen seltener belastende Erfahrungen berichtet werden.16 Tabelle 6 enthält die Ergebnisse einer solchen Analyse für das Auftreten von 16 Es ist dabei davon auszugehen, dass der Zusammenhang zwischen Klimaindizes wie Respekt oder Stress und Gewaltbzw Krisenerfahrungen in beide Richtungen geht. Der Nachweis streng kausaler Effekte des Klimas auf Gewaltvorfälle bedarf wiederholter Messungen und kann mit einer einmaligen Querschnittserhebung nicht nachgewiesen werden; vgl Guéridon & Suhling (2018). Abbildung 3: Prozentanteile der Befragten, die bestimmte Krisenerfahrungen berichten, aufgeschlüsselt nach Sprache des Fragebogens, mit 95 %-Konfidenzintervallen474 Fuchs / Hofinger / Reiter, Respekt als zentrale Dimension eines Polizeianhaltewesens © Verlag Österreich 2019 Selbstmordgedanken, Essensverweigerung und Selbstverletzungen (hier vereinfacht als „autoaggressive Erlebnisse“ bezeichnet). Wenn mind eines dieser Vorkommnisse berichtet wurde, wurde eine befragte Person mit diesem Merkmal versehen (insg trifft dies auf 38,8 % der Angehaltenen zu, für die Informationen zu den im Modell verwendeten Variablen vollständig vorlagen). Um die Stärke der Effekte der unabhängigen Variablen auf die abhängige Variable zu beurteilen, stehen zwei Kennzahlen zur Verfügung: Die wiedergegebenen „Odds Ratio“-Koeffizienten (OR, auf Deutsch „Chancenverhältnis“) bezeichnen den Faktor, um den sich die Chance verändert, dass eine Person zur Gruppe der Befragten mit autoaggressiven Erlebnissen zählt – und zwar bei den kontinuierlichen Summenvariablen dann, wenn diese eine Standardabweichung höher ausfallen. So verringert ein um eine Standardabweichung höherer Wert für „Respekt“ – egal wie die anderen unabhängigen Variablen für die betreffende Person sonst ausgeprägt sind – die Chance auf das Berichten autoaggressiver Erlebnisse um den Faktor 0,49. Dieses Ergebnis ist, wie die Sterne anzeigen, statistisch hochsignifikant. Bei der Gruppenvariable „Sprache“ zeigen die Odds-Ratio-Koeffizienten den Faktor der Chancenveränderung im Verhältnis zur Referenzgruppe „Arabisch“ für die anderen Sprachgruppen. Für Befragte mit deutschem Fragebogen ist die Chance auf das Berichten autoaggressiver Geschehnisse drastisch reduziert. Es ist bemerkenswert, dass sich trotz dieses starken Gruppenunterschiedes jedoch auch ein Effekt der Variable „Respekt“ behaupten kann. Tabelle 6: Binär-logistische Regressionsmodelle für autoaggressive Erlebnisse und Gewalterfahrungen; *p<0,05; **p<0,01; ***p<0,001 Autoaggressive Erlebnisse Mind eine Gewalterfahrung OR AME OR AME Respekt (+1 SD) 0,49** -10,0 % 0,64* -7,6 % Stress (+1 SD) 1,29 3,6 % 1,81*** 10,0 % Gesundheitssorge (+1 SD) 0,79 -3,4 % 0,55** -10,2 % Sprache (Referenz: Arabisch) Deutsch 0,07** -50,0 % 0,31* -20,7 % Englisch 0,28* -23,5 % 0,25** -24,5 % Prävalenz 38,8 % 49,4 % N 240 261 Erklärte Varianz (Pseudo-R2) 48,7 % 42,9 % Eine andere Art des Darstellens der Effektstärke ist die Kennzahl Average Marginal Effect (AME, auf Deutsch „durchschnittlicher Marginaleffekt“). Als marginaler Effekt wird in der multivariaten Datenanalyse der Effekt bezeichnet, den eine unabhängige auf die abhängige Variable hat, wenn sie um eine Einheit verändert wird und die anderen unabhängigen Variablen konstant gehalten werden. Da es sich beim Verfahren der binär-logistischen Regression um ein nicht-lineares Modell handelt, sind diese Effekte nicht für alle Untersuchungseinheiten und Wertebereiche konstant, sondern können nur im Durchrecht & gesellschaft 475 © Verlag Österreich 2019 juridikum 4/2019 schnitt geschätzt werden. Die tatsächliche Größe des Effekts hängt nämlich stets davon ab, wie die anderen unabhängigen Variablen jeweils konkret ausgeprägt sind. Die hier verwendeten durchschnittlichen marginalen Effekte lassen sich indessen relativ leicht interpretieren: In ihnen kommt zum Ausdruck, wie stark die (in % ausgedrückte) Wahrscheinlichkeit, dass die Befragten eine bestimmte Gewalterfahrung oder Reaktionsform berichten, durchschnittlich steigt oder sinkt, wenn die betreffende unabhängige Variable um eine Einheit steigt. „Um eine Einheit steigen“ heißt bei den hier verwendeten kontinuierlichen Variablen wiederum „um eine Standardabweichung zunehmen“ bzw bei den Gruppenvariablen der Fragebogensprache, dass die jeweilige Ausprägung (Deutsch oder Englisch/Sonstige im Verhältnis zur Referenzgruppe Arabisch) zutrifft. Die Kennzahl der „erklärten Varianz“ zeigt indessen an, wie viel Variabilität der abhängigen Variablen auf die unabhängigen Variablen insgesamt zurückgeführt werden kann. Im Falle des Modells für autoaggressive Erlebnisse in Tabelle 6 sind dies nahezu 50 % – ein für sozialwissenschaftliche Modelle sehr guter Wert. Tabelle 6 und Tabelle 7 enthalten nach dem soeben geschilderten Muster weitere Modelle für das Berichten von Gewalterfahrungen. Die abhängigen Größen sind: mind eine Gewalterfahrung berichtet (das trifft auf knapp 50 % aller Befragten zu), mind eine direkte – und nicht nur beobachtete – Gewalterfahrung berichtet (das ist bei etwas über 40 % der Häftlinge der Fall) sowie mind eine direkte körperliche oder sexuelle – und nicht nur verbale – Gewalterfahrung berichtet (davon ist ein knappes Fünftel der angehaltenen Menschen betroffen). Tabelle 7: Binär-logistische Regressionsmodelle für Gewalterfahrungen; *p<0,05; **p<0,01; ***p < 0,001 Mind eine direkte Gewalterfahrung Mind eine direkte phys/ sex Gewalterfahrung OR AME OR AME Respekt (+1 SD) 0,56** -10,1 % 0,43** -9,0 % Stress (+1 SD) 1,77** 9,8 % 1,21 2,0 % Gesundheitssorge (+1 SD) 0,64* -7,7 % 0,79 -2,5 % Sprache (Referenz: Arabisch) Deutsch 0,46 -14,1 % 0,19** -20,1 % Englisch 0,43 -15,1 % 0,67 -6,2 % Prävalenz 41,7 % 17,8 % N 259 258 Erklärte Varianz (Pseudo-R2) 38,6 % 42,9 % Als ein bemerkenswertes Ergebnis der Zusammenhangsanalysen kann festgehalten werden, dass sich – unter sonst gleichen Bedingungen – in allen Modellen ein signifikanter Effekt des Indikators „Respekt“ zeigt. Eine respektvolle Behandlung der Angehaltenen macht also im Hinblick auf das Vorkommen von Gewalt und Selbstschädigungen immer noch einen Unterschied – mögen die Rahmenbedingungen gerade in der SchubH ansons476 Fuchs / Hofinger / Reiter, Respekt als zentrale Dimension eines Polizeianhaltewesens © Verlag Österreich 2019 ten auch noch so unterschiedlich und ungünstig sein. Die Indikatoren „Stress“ und „Gesundheitssorge“ korrelieren jeweils positiv bzw negativ mit Gewalterfahrungen, sofern es sich nicht um selbst erlittene körperliche oder sexuelle Übergriffe handelt. 6. Resümee Im Hinblick auf das Einschätzen eines respektvollen Umgangs im Haftalltag sowie belastender Stressfaktoren einerseits und entlastender Aspekte des Wohlbefindens und der wahrgenommenen Qualität der Gesundheitsversorgung andererseits zeigten sich deutliche Unterschiede zwischen den Haftformen und Sprachgruppen: Verwaltungsstrafhäftlinge schildern ihre Situation deutlich günstiger als Schubhäftlinge. Innerhalb der Schubhäftlinge zeigten Befragte in Vordernberg eine tendenziell etwas positivere Beurteilung ihrer Lage. Deutlich größer als diese Differenz ist jedoch der Unterschied zwischen den Befragten, die die arabische Fassung des Erhebungsinstruments nutzten und jenen, die die englische oder eine sonstige Version des Fragebogens verwendeten. Angehörige der arabischen Sprachgruppe schätzen ihre Haftumstände bes negativ ein. Dieser Unterschied zu den anderen Häftlingen kann nicht einfach nur „kulturalistisch“ gedeutet werden. Abgesehen von sprachlichen Kommunikationshürden könnte die tendenziell pessimistische Beurteilung der eigenen Lebenslage bis zu einem gewissen Grad auch mit einer höheren Prävalenz von Suchterkrankungen in dieser Gruppe zusammenhängen.17 Die Unterschiede lassen sich jedoch nicht auf diese Faktoren reduzieren. Insofern solche Merkmalsmuster beständig sind, besteht hier Bedarf an zukünftigen klärenden Forschungen. Gewalterfahrungen und krisenhafte Episoden (zB selbstschädigendes Verhalten), die im Rahmen unserer Umfrage als Selbstauskünfte (und nicht als behördlich dokumentierte, gerichtlich festgestellte oder ärztlich diagnostizierte Ereignisse) gemessen wurden, sind in beiden Haftformen keine Seltenheit. Deutlich öfter treten sie in der SchubH auf. In multivariaten Modellen zu Zusammenhängen mit den soeben genannten Erfahrungen zeigt sich ein bemerkenswert robuster und starker entlastender Effekt eines respektvollen Umgangs. Je besser ein solcher eingeschätzt wird, umso seltener berichten Häftlinge Gewalterfahrungen oder selbstschädigende Erlebnisse. Dieser hemmende Einfluss des Indikators „Respekt“ ist auch dann gegeben, wenn die diesbezüglich vorhandenen Unterschiede zwischen den Haft- bzw Sprachgruppen in Rechnung gestellt werden. Dr. Walter Fuchs, MA ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Rechts- und Kriminalsoziologie und Lektor am Institut für Soziologie, Universität Wien; walter.fuchs@irks.at Dr.in Veronika Hofinger ist wissenschaftliche Geschäftsführerin am Institut für Rechts- und Kriminalsoziologie, Wien; veronika.hofinger@irks.at Hannah Reiter, BA MSc ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Rechts- und Kriminalsoziologie, Wien; hannah.reiter@irks.at 17 Gesamte Stichprobe: 33,2 %; Deutsch: 24,8 %; Arabisch: 58,5 %; Englisch/Sonstige: 29,0 %.recht & gesellschaft 477 © Verlag Österreich 2019 juridikum 4/2019 Literaturverzeichnis Baier, Dirk & Bergmann, Marie Christine (2013) Gewalt im Strafvollzug – Ergebnisse einer Befragung in fünf Bundesländern, Forum Strafvollzug 2/2013, 76–83. Guéridon, Marcel & Suhling, Stefan (2018) Klima im Justizvollzug, in: Maelicke, Bernd & Suhling, Stefan (Hg): Das Gefängnis auf dem Prüfstand. Zustand und Zukunft des Strafvollzugs. 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