1920 wurde von Karl Renner die Wahlordnung für die konstituierende Nationalversammlung ausgearbeitet und von der provisorischen Nationalversammlung beschlossen. Vorgesehen waren starre Listen, Mandatsverteilung nach d'Hondt (mit der Möglichkeit von Listenkoppelung) auf Wahlkreisebene, die Wahlpflicht als Landessache. Bei den Wahlen gelangte in Wien ein Kandidat einer jüdischen Liste durch die Koppelung mit zwei anderen Gruppierungen ins Parlament. Bedingt dadurch, dass einige Gebiete von Österreich abgetrennt wurden, kam es nicht in allen geplanten Wahlkreisen auch zur Wahl.
1920 beschloss der Gesetzgeber eine neue Nationalratswahlordnung: die Listenkoppelung wurde abgeschafft (jüdische Liste?), die Anzahl der Nationalratsmandate wurde auf 183 erhöht. 168 davon wurden nach wie vor nach d'Hondt auf Wahlkreisebene vergeben, 15 bundesweit entsprechend der Anzahl der Reststimmen der Parteien, die in den Wahlkreisen Mandate erringen konnten - mit der Einschränkung, dass ihnen im Bundesverfahren nicht mehr Mandate zufallen dürften, als sie in den Wahlkreisen erreicht hatten.
1920 wurden auch in Artikel 26 der Bundesverfassung die wahlsystemischen Grundsätze festgelegt: Zuweisung der Mandate an die Wahlkreise nach der Bürgerzahl gemäß der jeweils letzten Volkszählung (in der unmittelbaren Nachkriegszeit waren die Mandate zu Ungunsten der Sozialdemokratie über den Daumen gepeilt auf die Wahlkreise verteilt worden), die Einrichtung von Wahlkreisen, die Landesgrenzen nicht schneiden und räumlich geschlossen sein müssen, das Verbot anderer (ständischer) Wahlkörper sowie am wichtigsten: das Prinzip der Verhältniswahl.
1923 kam die im Wesentlichen bis 1970 gültige Nationalratswahlrechtsordnung: die Zahl der Mandate wurde mit 165 festgelegt, die Zahl der Wahlkreise mit 25 (B, K, S, T, V je einer, NÖ und ST je vier, OÖ fünf, Wien sieben). Auf Wahlkreisebene wurden die Mandate nach Hagenbach-Bischoff vergeben, die Restmandate aufgrund der Reststimmensummen. In den Wahlkreisverbänden (WKVen) nach d'Hondt, wobei der Gewinn von Grundmandaten nach wie vor Voraussetzung für den von Restmandaten war. WKVen waren jeweils die Wiener und die niederösterreichischen Wahlkreise, weiters waren die steirischen Wahlkreise mit dem Burgenland und Kärnten zusammengefasst und die oberösterreichischen mit Salzburg, Tirol und Vorarlberg. Dies begünstigte die Christlichsozialen bzw. die ÖVP, nachdem die Mehrzahl der Wahlkreise als auch der Wahlkreisverbände eher agrarisch-ländlich ausgerichtet waren und sie dadurch, dass sie in mehr Wahlkreisen stärkste Gruppierung wurden, am stärksten vom Hagenbach-Bischoffschen Verzerrungseffekt profitierten, und zwar so sehr, dass die ÖVP 1953 und 1959, obwohl schwächer als die SPÖ, doch noch mit jeweils einem Mandat mehr über die Zielgerade kam.
1934 erließ die provisorische Regierung das Wahlgesetz: In den Wahlkreisen, die mit einem Bundesland identisch waren, wurden die Mandate nach d'Hondt vergeben, in den anderen Bundesländern wurden die Wahlkreise zu WKVen zusammengefasst.
1945 wurden die Bestimmungen der Nationalratswahlordnung von 1923 übernommen, das aktive Wahlalter wieder auf 20 Jahre gesenkt. Erstmals kam das Persönlichkeitselement ins Spiel: das in Juridikum No. 2/90 beschriebene System des Reihens und Streichens wurde von der ÖVP gegen die Stimmen von KPÖ und (ein für die damalige große Koalition spektakulärer Vorgang) SPÖ beschlossen.
1953 überholt die SPÖ bei den Wahlen die ÖVP deutlich an Stimmen, aber nicht an Mandaten, ist aber zuversichtlich, beim nächsten Mal überhaupt stärkste Gruppierung zu werden. Innerhalb der ÖVP machen sich wie auch 1956 zu kurz gekommene Kandidaten die Möglichkeit des Reihens und Streichens sowie den Umstand, dass es keinen amtlichen Stimmzettel gibt, zunutze und lassen von ihren Anhängern Stimmzettel verteilen, auf denen sie umgereiht sind. Solcherart kommen drei Kandidaten in den Nationalrat.
1958 wurde der amtliche Stimmzettel für die Nationalratswahlen eingeführt, nachdem die ÖVP, wie ich annehme, keine weiteren Umreihungen durch veränderte ÖVP-Stimmzettel mehr hinnehmen wollte. In der selben Sitzung wurde - wohl auch ein sehr seltener Vorgang - ein Entschließungsantrag der FPÖ, welcher auf mehr Gerechtigkeit in der Umsetzung von Stimmen in Mandate zielte, von den KPÖ-Abgeordneten unterstützt (die FPÖ hatte fünf Mandate, die KPÖ drei, für die Behandlung waren acht Mandatare erforderlich). Ein Koalitionsabgeordneter ließ sich zu einem Reim hinreißen: "Fünf und drei ist acht, ein Anfang ist gemacht", dann wurde niedergestimmt. Die KPÖ fliegt aus dem Nationalrat, die SPÖ verliert das Vertrauen in das Wahlsystem, nachdem sie abermals als stärkste Kraft ein Mandat weniger als die ÖVP kriegt. Die DFP erreichte in Wien über 7% der Stimmen, österreichweit über 3%, aufgrund der Unterteilung in kleine Wahlkreise allerdings kein Grundmandat: absolute Mehrheit der ÖVP.
1970 überflügelte die SPÖ mit Kreisky erstmals die ÖVP an Stimmen und Mandaten. Die FPÖ war mit der Anfechtung der Wahl in einem der Wiener Wahlkreise erfolgreich, in dem die NDP kandidierte, aber die Überprüfung der Unterstützungsunterschriften zu viele Ungültige erbrachte, die Sedisvakanz ist verfassungsmäßig koscher und die FPÖ gewann bei der Wiederholungswahl ein Mandat zu Lasten der ÖVP. Die SPÖ scheitert an dem Versuch, die ÖVP zu einer Änderung der Verfassung (pro 25.000 Stimmen ein Mandat) und der Nationalratswahlordnung zu bewegen. Daraufhin beschloss sie gemeinsam mit der FPÖ gegen heftiges Zeter, Mordio & Wehgeschrei der ÖVP die hinsichtlich der Anzahl der Wahlkreise verfassungsmäßig maximal mögliche "kleine Wahlrechtsreform", welche die Benachteiligung dieser beiden Parteien zugunsten der ÖVP aufhebt. Die Anzahl der Mandate wurde auf 183 aufgestockt, jedes Bundesland identisch mit einem Wahlkreis, die vier WKVen durch zwei ersetzt: Ost (W, NÖ, B), West (V, T, St, S, OÖ, K). Im ersten Ermittlungsverfahren wurde Hagenbach-Bischoff durch Hare ersetzt. Dadurch ergab sich in den 70er Jahren eine sehr genaue Umsetzung von Stimmen in Mandate (allerdings mit der Beeinträchtigung, dass die Mandate, die ohne Grundmandatshürde der KPÖ zugefallen wären, die SPÖ bekommt). Ebenfalls eingeführt wurde mit der NRWO 1971 das auch jetzt noch existierende Instrument der Vorzugsstimme.
1981 die SPÖ gewinnt erstmals die absolute Mehrheit, die ÖVP scheitert mit Verfassungsbeschwerde gegen die NRWO (argumentiert wurde mit dem Gleichheitsgrundsatz und dem größeren Unterschied in den Wahlkreisgrößen).
1982 der Stichtag für das Wahlalter wurde der Stichtag der Wahl, nicht der 1.1. des Jahres. Durch ungünstige Verteilung der Reststimmen und die beiden WKVen erhielt die ÖVP ein Mandat weniger, als ihr zugestanden wäre. Heinz Fischer gelingt es, durch Eintreten für ein Mischmodell nach deutschem Muster (90-110 Einerwahlkreise, Proportionalausgleich) in die Medien zu kommen.
1986 erhalten die nicht im Parlament vertretenen Parteien über 4% der Stimmen, die FPÖ verliert Grundmandate und fällt von 6.1 % auf 5%. Dadurch, dass die Kleinen (VGÖ, ALÖ, KPÖ) nicht reinkommen, ergeben sich für die selbe Anzahl von Restmandaten weniger Reststimmen: Restmandate werden billiger. Da die FPÖ durch ihre Stimmverluste mehr Reststimmen hat, wird der Loser zum Winner: sie steigert ihre Mandatszahl von 11 auf 12. Josef Cap, der sich durch kritische Fragen an Landesfürst Kery den letzten Platz der Wiener Kandidatenliste eingehandelt hat, wird durch über 60.000 Vorzugsstimmen ins Parlament gewählt.
1984 beginnt die Wahlrechtsdebatte, anknüpfend an die beiden herausragenden Ergebnisse der Wahl 1983. Und sie dauert an und dauert an und dauert an...
1986 erstmals seit 1959 zieht mit der Grünen Alternative eine vierte Kraft ins Parlament ein, bekommt aber durch ungünstige Verteilung der Reststimmen ein Mandat weniger, als ihr zustünde.
Der Fischervorschlag wird derjenige der Großen Koalition, aber (glücklicherweise, siehe Juridikum 3/90) nicht umgesetzt.
1990 das Auslandsösterreicherwahlrecht wird nach erfolgreicher Anfechtung des Wählerevidenzgesetzes beim VfGH eingeführt, allerdings sind Volksbegehren und Volksbefragungen ausgeschlossen. Am 7. Oktober wird wieder einmal gewählt. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sich aus der Entwicklung des Wahlrechtes zum Nationalrat zwei große Linien extrahieren lassen: zum einen wurde der Kreis der Wahlberechtigten beständig ausgeweitet (Senkung des aktiven und passiven Wahlalters, fliegende Wahlkommissionen, Wahlrecht auch für Personen, für welche ein Sachwalter eingesetzt wurde, Auslandsösterreicherwahlrecht) und kann noch sinnvoll ausgeweitet werden (Senkung des aktiven Wahlalters auf 16, was einer Forderung von Bundesjugendring, Flemming und Grünen entspricht, Wahlrecht für Inhaftierte). Zum anderen gibt es seit 1918 einen Zug dazu, Stimmanteil und Mandatsanteil stärker korrelieren zu lassen. Bisheriger Höhepunkt dieser Tendenz ist die NRWO 1971. Nach dieser Wahl wird man weitersehen, wie sich diese Entwicklungslinien weiterzeichnen.