Vergessen und verdrängt

Die Heldin gibt es nicht, zumindest nicht in unseren Geschichtsbüchern. Dass nun ausgerechnet eine "Terroristin" einen wichtigen Abschnitt weiblicher Kampfgeschichte aufgearbeitet hat, macht dieses Buch nur noch interessanter, wenn man/frau bedenkt, dass hier erstmals auf die übliche Vogelperspektive verzichtet wurde. Hinter jeder großen Frau stand anno dazumal (wie heute) eine große Frau.

Wir erinnern uns: Am 20. 12. 1987 wurde Ingrid Strobl in Köln festgenommen. Als engagierte Feministin hat sie in der Emma-Redaktion mitgearbeitet und sich vor allem mit Themen wie "Sextourismus" und Flüchtlingspolitik beschäftigt. In dem gegen sie erlassenen Haftbefehl wird sie der Mitgliedschaft bei den "Revolutionären Zellen" verdächtigt. Weiters unterstellte man ihr, bei einem Anschlag auf die Lufthansaverwaltung im Oktober 86 beteiligt gewesen zu sein. Der Anschlag richtete sich gegen die aktive Rolle der Lufthansa bei der zwangsweisen Abschiebung von Asylbewerbern und beim Prostitutionstourismus. Ingrid Strobl wurde vorgeworfen, einen Wecker gekauft zu haben, der einem bei diesem Anschlag benutzten entsprochen haben soll. Von jener Ingrid Strobl ist im November 1989 im Fischer-Verlag ein wichtiges Buch erschienen.

Beendet hat Ingrid Strobl dieses Buch im Juni 1988 im Untersuchungsgefängnis München-Neudeck. Es liefert einen wichtigen Beitrag zur Aufarbeitung jüngster Vergangenheit und zur Erforschung weiblicher Geschichte. Sowohl an den Fronten des spanischen Bürgerkrieges als auch in den Ghettos Osteuropas kämpften Frauen an vorderster. Front gegen nationalsozialistischen und faschistischen Terror. Während nach Kriegsende ihre männlichen Kollegen als Helden gefeiert wurden, wurden die Taten der Kämpferinnen schlichtweg vergessen. Diese Frauen verstießen allzu radikal gegen das Männerbild des wehrlosen, friedfertigen Wesens. Strobl dokumentiert den Widerstand in Westeuropa, in Spanien, den Niederlanden, Frankreich und anhand der Tito-PartisanInnen. Sie zeigt weiters, dass bei den Ghetto-Aufständen zumeist Frauen die maßgeblichsten Rollen spielten, weil den NaziSchergen die Phantasie fehlte, sich eine Frau - noch dazu eine jüdische -als Kämpferin vorzustellen. Sie zeigt weiters auf, dass zwei Mythen, die sich seit Jahrzehnten hartnäckig halten, schlichtweg falsch sind. Der eine, dass Frauen zwar diverse Hilfsdienste im Widerstand geleistet hätten, aber nicht selbst bewaffnet gekämpft hätten, und der, dass die Juden wie die Lämmer zur Schlachtbank gegangen seien. Den Grund für dieses zum Teil aktive Verdrängen und Vergessen kann man teils darin suchen, dass ein wichtiger Teil des aktiven Widerstandes mit einem doppelten Stigma belastet war: er war jüdisch und er war kommunistisch. Man fürchtete nach Ende des Krieges den Einfluss dieser ungeliebten Heldinnen und Helden. Sie zeigt, dass zum Beispiel mit Mika Etchebéherès eine Frau "Hauptmann" einer Truppeneinheit im spanischen Bürgerkrieg wurde und eine eigene Kolonne befehligte. Mika hat tatsächlich durchgesetzt, dass die Weiberpflichten zwischen Männern und Frauen aufgeteilt wurden, was von ihren männlichen Mitkämpfern nicht ohne Murren aufgenommen wurde. Sie erzählt die Geschichte von Chico-Julia Manzanal und den besonderen Problemen, denen aktiv kämpfende Frauen an der Front ausgesetzt waren. "Julia schläft, wie alle anderen, angezogen auf einer Decke, oder, wenn es zur Abwechslung eine gibt, auf einer Matratze. Sie kann sich häufig den ganzen Tag nicht erleichtern, weil sie nicht weiß, wohin gehen. Sie beherrscht sich und schleicht abends, wenn es endlich dunkel wird, in irgendwelche Ecken, hinter Gebüsch oder einen Baum. Das größte Problem ist die Menstruation. Julia: "Ich konnte ja den ganzen Tag die Watte nicht wechseln, manchmal hatte ich richtige Wunden an den Oberschenkeln von dem getrockneten Blut." Doch nie ließ sie sich etwas anmerken, keiner der Männer ahnte auch nur, womit sich die Kameradin heimlich herumzuschlagen hatte." Besonders eindrucksvoll ist die Geschichte von Truus Menger und Hannie Schaft, die (17- und 20-jährig) als Pärchen verkleidet Anschläge auf oberste NS-Bonzen verübten. Als TerroristInnen waren sie meistgesucht. Hanni wird gefasst und im Amsterdamer Frauengefängnis in der Amstelveense Straat festgehalten. Nach tagelangen Folterungen, die ihr kein Wort entlocken können, wird sie in den Dünen von Bloemendáal erschossen. Strobl bringt noch viele Beispiele weiblichen Widerstands und versucht, die herkömmliche patriarchale Sichtweise zu relativieren. Für Juristinnen und Juristen, die sich mit einer einseitigen Sichtweise nicht begnügen können, ist dieses sehr gut ausrecherchierte Buch absolute Pflichtlektüre.