Hip Hop

Die Beats des Hip-Hop haben inzwischen auch Österreich erwischt. Wer diesen Attacken noch entgehen konnte, muss sich spätestens jetzt stellen. Noch nie wurden so viele Hip-Hop Platten veröffentlicht wie 1989. Noch nie war schwarze Musik in diesem Ausmaß radikale Speerspitze.

Doch geht es um mehr als nur Pop oder Hardcore. Die Auseinandersetzung mit dem wieder erstarkten, politischen, schwarzen Radikalismus, an dem Public Enemy wesentlich beteiligt sind, ist nicht nur ein politischer Richtungsstreit über die Frage Revolution oder Reform, sondern sie geht über die Grenzen der Ghettos der amerikanischen Großstädte hinaus. Was gut, was böse, was richtig, was falsch ist, kann hier nicht gelöst werden. Aber zumindest sollte man ein mehr an Wissen haben.

"Man scratcht mit den fertigen Produkten, mit Platten, und nennt das Musik. Das finde ich revolutionär. Musik ist für mich der Ausdruck eines kurzen Augenblicks. Hip-Hop ist Musik, die im Augenblick entsteht und sofort auch explodiert." Das sagt der Journalist und Freund der zurzeit noch aufsehenerregendsten Hip-Hop Gruppe Public Enemy, Harry Allen. Rap steht mit beiden Füßen fest auf dem Fundament der schwarzen Musikgeschichte - der Umgang mit ihr ist allerdings radikal: Ein Hip-Hop-DJ seziert sie und baut sie wieder zusammen, ohne ein Flickwerk entstehen zu lassen. Nur die Reime der Rapper, der sogenannten Masters of Ceremony (MCs), entstanden als etwas wirklich Neues, vorher noch nie Dagewesenes.

Dennoch intendiert Hip-Hop weder eine musikalische Avantgarde, noch Underground im Sinne der britischen Independentszene. Vielmehr geht es um die Schaffung eines schwarzen, politischen Bewusstseins, um die Herstellung einer schwarzen community. "This isn't a pop trip - this is serious music. Black People have suffered a trauma. The healing process has just begun, so Public Enemy's music is a therapy for blacks, not some fucking circus for whites. Our music is looking for a cure and that period blacks will get angry and whites will get guilty." Chuck D. von Public Enemy.

Public Enemy verfolgen in erster Linie afroamerikanische Interessen, beginnen also die Politisierung über den entscheidenden und nächstliegenden Widerspruch, und das ist der Rassismus. Als treue Anhänger des Führers der Black Nation of Islam. Louis Farrakhan, geriet die Gruppe ins Kreuzfeuer westlicher Musikkritiker, die ihnen  Rassismus wie auch Faschismus vorwerfen. Diese Vorwürfe zum Knackpunkt einer generellen Verurteilung von Hip-Hop zu machen, trifft den Kern der Sache nicht Public Enemy sind zuerst einmal das Sprachrohr einer unterdrückten, schwarzen Ghettominderheit geworden, die erst seit ein paar Jahrzehnten pro forma emanzipiert ist. Das Entscheidende an ihrem Separatismus ist das verzweifelte Resultat langer und erfolgloser Kämpfe um Gleichberechtigung. Deswegen wollen Public Enemy nicht die Lieblingsband gelangweilter Journalisten und der Intelligenz werden. Gerade ihr Beharren auf dem politischen Standpunkt und der Versuch, ihren schwarzen Brüdern politische Realität zu vermitteln, macht sie zur. besten Rock'n Roll Band der Welt. Weil sie - obwohl musikalisch auf einem anderen Planeten - das verkörpern, was RnR schon immer wollte: die Codierung des Lebens der Opfer der Verbrechen des Kapitalismus geschieht eben durch harte Musik und dazugehörigen Style. Die Strategie ist, dem Spektakel mit einem Spektakel zu antworten, auf die Bilder im Fernsehen wirklich zu reagieren, sie wörtlich zu nennen. Ohne dieses Skandal-Spiel wird doch überhaupt nicht mehr ausgesprochen, dass es einen Gegensatz zwischen Macht und Wahrheit gibt, weil die Konstruktionen der Linken längst für weit Harmloseres und Einfacheres verschwendet wurden als dafür, zu erklären, was heute an den Rändern der ersten Welt passiert.

Als Weißer kommst Du natürlich niemals mit dem Leben im Ghetto in Verbindung, aber wenn deren kulturelle Reflektion via Hip-Hop in Konflikt mit dem Staat gerät, mit Zensur und Polizeiübergriffen, dann erreicht es unmittelbar die Sphäre, in der Du selber lebst. Im Gegensatz zur paramilitärischen Radikalität von Public Enemy sieht sich KRS-One von Boogie Down Productions mehr als Philosoph, der die Militanz eines MalcolmX mit dem Humanismus von Martin Luther King mischt. Der Titel ihrer 89er LP "Ghetto Music. The Blueprint of Hip-Hop" steht dafür symptomatisch. "Ghetto Music" drückt eine Verbundenheit mit anderen Ghettos aus und vollzieht diese Allianz auch musikalisch. KRS-Ones Aussagen sind übergreifend und gehen am weitesten in Richtung linkes Politik-Verständnis, wodurch Boogie Down Productions am ehesten unserem Musik/Kritikverständnis kompatibel erscheinen.

Die Jungle Brothers wiederum differenzieren das Hip-Hop-Terrain in einer anderen Richtung weiter aus. Mit ihrer Platte "Done By The Forces Of Nature" werden neue musikalische Tiefen erschlossen. Jazziger als je zuvor durchstreift eine Hip-Hop-Band ein imaginäres musikalisches Afrika. Wo KRS-One die Gesamtheit der Ghettomusik suchte, wählen die Jungle Brothers Afrika und Natur als Blaupause für Ideenvielfalt und treiben diese Endlosschleife zur musikalisch besten Hip-Hop-Platte empor. Hip-Hop ist also längst nicht mehr linear in seiner Entwicklung, Material der Old School wird aufgegriffen und weiterentwickelt, neue Verzweigungen und Bündnisse divergenter Strömungen entstehen. Reichte früher die Entscheidung für Hip-Hop allein schon als Mittel zur Differenzierung aus, so stellt er heute "dominant culture" dar, ein Terrain, in dem die facettenreiche Szene ihre Linien und Frontstellungen transformiert.
Bleibt zum Schluss für mich die Frage offen, ob diese schwarze Codierung von Befreiung, Emanzipation und Subversion in irgendeiner Form decodierbar und anwendbar ist für unsere Begriffe und Körper, oder ob nur die emotionale Verbundenheit über die physische Präsenz der Musik, über die Solidarität der Körper, als Medium des Zusammenschlusses bleibt.

Fotos & Illustrationen des Artikels: 
Bild 1: Jungle Brothers