Uwe Wesel, der Romanist und Rechtsethnologe an der Freien Universität Berlin legte 1989 eine Sammlung von dreizehn Artikeln unter dem Titel "Recht und Gewalt" im Kursbuchverlag vor. Ein Teil dieser Artikel ist in den vergangenen Jahren bereits an anderen, weniger leicht zugänglichen, Stellen erschienen.
In seiner gewohnt witzigen, leicht verständlichen und packenden Art erklärt Wesel die Entstehung des staatlichen Gewaltmonopols, kommt auf die Gewalt als Tatbestandsmerkmal im Nötigungsparagraphen zu sprechen und diskutiert die Entscheidungen des Bundesgerichtshofs, in denen Demonstranten ob ihres passiven Widerstandes wegen Nötigung verurteilt wurden (Laepple-Urteil, Mutlangen)
Wenig später erzählt er uns, wie er mit seinen Freunden Angelika und Michael nach dem Kino bzw. im Caféhaus die Theorien über die Entstehung des Staates zu diskutieren pflegt Gründlich ist er, der Professor aus Berlin: Hobbes, Hegel, Morgen, Engels, Wittfogel und die Unterwerfungstheorie Ibn Chaldun's werden auf wenigen Seiten, quasi wie im Caféhaus, analysiert. Gleich darauf kommt er auf egalitäre Gesellschaften zu sprechen, wodurch er Kennerinnen und Kennern seines Buches "Frühformen des Rechts in vorstaatlichen Gesellschaften" (Suhrkamp 1985) das Vergnügen bereitet, Bekanntes nochmals lesen zu dürfen. Sich auf die Erkenntnisse Meillassoux ("Die wilden Früchte der Frau" stw 1985) stützend, wird Wesel konkret und zugleich utopisch:
"Viel eher lässt sich sagen, dass ... es eine mehr oder weniger starke institutionalisierte Macht von Männern über Frauen gibt, eine Herrschaft, die sich dann in vielen Fällen zu einer Herrschaft von Männern über Männer erweitert hat. Und vielleicht, könnte man diesen Gedanken in die Zukunft fortsetzen, kommen wir über die Beseitigung der Ungleichbehandlung von Frauen und Männern in unserer Gesellschaft zu einem Abbau von Herrschaft allgemein ..... (S 20).
In seinem nächsten Kapitel gibt er seiner Begeisterung für Christian Thomasius, "einem deutschen Gelehrten ohne Misere" (E. Bloch, Naturrecht und menschliche Würde, S 315ff, stw 1985), Ausdruck, und bedauert, dass man ihm in der Encyclopaedia Britannica nur dreizehn Zeilen (ohne Bild) zugesteht.
Mit seinen Ausführungen über Geschichte und Gegenwart des Berliner Kammergerichts, die um die Ausübung staatlicher Gewalt wider die Unabhängigkeit der Justiz zentriert sind, beweist uns Wesel, dass Rechtsgeschichte mehr ist als ein lästiges Anhängsel am Weg zum Mag. jur. So erzählt er uns z.B. von der Zivilcourage E.T.A. Hoffmanns, der als Richter des Kammergerichtes ein Verleumdungsverfahren gegen den Polizeichef Kamptz eingeleitet hatte. "Ja, wenn das Berliner Kammergericht nicht wäre." Da brauchte es schon die NS-Unrechtsherrschaft, um dieses so traditionsbewusste Gericht zu korrumpieren. Wird in Wien auch solch eine Rechtsgeschichte betrieben?
Im Folgenden erklärt uns der Berliner Rechtshistoriker die vielfachen Vernetzungen von Recht und Politik anhand des Bundesverfassungsgerichtshofs in Karlsruhe, dessen Gebäude er mit Ritter Sport vergleicht: "Quadratisch, praktisch, gut" (S 71). So kann eben nur der Herr Wesel über ein Gericht sprechen, das zu den höchsten Staatsorganen der BRD zählt, und das mit einer Machtvollkommenheit sondergleichen ausgestattet ist.
In der Folge geht es dann noch um friedliche und unfriedliche Hausbesetzungen (also Hausfriedensbruch und Landfriedensbruch), um die Grünen, um die Lebensgemeinschaften und deren Position im Familienrecht, um das Gefängnis und um das Umweltrecht. All das bewältigt Wesel auf atemberaubend wenigen Seiten, in witziger und couragierter Form, wobei er sich sowohl an den interessierten Laien als auch an den Juristen wendet. Auch so kann man Rechtsgeschichte betreiben.