Die Guillotine unter dem Seziermesser - Wie konnte eine "einfache Mechanik" zum Sinnbild der radikalen Phase der Französischen Revolution werden? Woher kommen Schrecken und Faszination der Guillotine, die noch in unserer Zeit wirksam sind? Die Französische Revolution hat eine radikale und totale Neudefinition der Gesellschaft angestrebt, eine restlose Umwälzung des Bestehenden. Im systematischen Kampf gegen die Repräsentationsformen des ancien regime spielt die Guillotine natürlich eine vorrangige Rolle. Innerhalb der neuen symbolischen Handlungen und Rituale, die von einem starken Verlangen nach dem Abschneiden der Vergangenheit getrieben waren, verkörpert sie die symbolische und technische Effektivität gleichermaßen. Zwei Jahrhunderte später unternimmt Daniel Arasse in seinem Buch "Die Guillotine"1 das Wagnis, die Komplexität des Tötens mittels einer einfachen Mechanik zu untersuchen. Er tut dies mit dem angemessenen Feingefühl. Wenn es stimmt, dass ein gewisser Guillotin im Jahre 1789 der Nationalversammlung eine schnell funktionierende Hinrichtungsmaschine vorschlug, so war dieser jedenfalls nur auf taube Ohren gestoßen. Und erst im März 1792 kam Docteur Louis, ein einflussreiches Mitglied der Academie de chirurgie aufgrund einer polizeilichen Anfrage auf dieses Modell zurück, und fand seinen Vorschlag angenommen. Von hier ausgehend entwirft Arasse ein genaues Bild der damaligen Epoche. Das Strafen geschieht dort mit erlesener Grausamkeit. Das Verfahren der Todesstrafe wird als Zeitraum der Martern begriffen. In diesem Rahmen betrachtet, zeugt die Guillotine (dieser Nullpunkt der Marter, wie Michel Foucault2 sagt) bereits von einem gesteigerten Maß an egalitärem Empfinden, da mit der Anwendung der Guillotine auf jedermann eine Hinrichtungsart allgemeine Verbreitung findet, die bisher ein aristokratisches Privileg darstellte. Was dieser plötzliche, maschinelle Tod durch die Guillotine abschafft, ist nichts Geringeres als die hora mortis, diese Zeit der Marter, die Gelegenheit bot zur Tilgung der Sünden durch das Leiden. Durch die Plötzlichkeit ihres Tötungsverfahrens gibt die Guillotine sehr präzise das Unsichtbare des Todes preis, jenen intimsten Augenblick im Leben jeden Individuums: den Augenblick des eigenen Todes. Die besondere Schönheit des Buches rührt daher, dass es diesen Augenblick des Sterbens sozusagen aufhält, selbst den Blick auf diese Spanne zwischen Leben und Tod richtet. Es gelingt ihm allein dadurch die vielfältigen symbolischen Implikationen eines so einfachen Apparates zu rekonstruieren. Bild 1: "Anschauungsmaterial für die gekrönten Schwindler" Die Studie von Daniel Arasse umkreist nun einzelne Metaphern der Epoche. Die Hinrichtung des Königs bildet augenscheinlich das Zentrum des damaligen Metaphernnetzes. In dem unversehrbaren Leib des Königs, der in vollendetem Maß die Nation verkörpert, verdichtet sich der Sozialkörper von dem sich der König zugleich getrennt sieht. Und diese Trennung ist es, die am 21. Jänner 1793 auf der Place de la Revolution noch einmal vollzogen und zugleich abgeschafft wird. Durch diese maschinelle Tötungsoperation wird gleichzeitig symbolisch die Sakralität des Königs auf die Maschine übertragen - und damit auf die gesamte Revolution. Hier wird der fundamentale Widerspruch sichtbar, der einen gesellschaftlichen Transformationsprozess zu allererst auslöst: Der Wille des Volkes richtet sich gegen das Individualinteresse. Jede abweichende Lebensform muss beseitigt werden, um einen gesunden Volkskörper zu gebären. Das Töten durch die Guillotine unterstreicht sehr deutlich die Negation des Einzelnen durch das Gesetz der Serie. Im Ritual des Tötens hat der Terror der Schreckensherrschaft sein Verlangen nach Säuberung und nach einem neuen Aufbau bekundet: Zur einzigartigen Missgeburt erklärt, musste der Körper des Königs der Fiktion eines riesigen gesunden Volkskörpers weichen. Dieses Schauspiel hatte jedoch nicht mehr das Geringste mit den Ideen der Aufklärung zu tun. Wie schon gesagt, führte die Guillotine den Tod in Sekundenschnelle herbei. Selbst die Exekution einer Person königlichen Blutes reduzierte sich auf eine lächerlich kurze Zeitspanne, die in keinem Verhältnis stand zu der Propaganda für die neue Staatsform, die sie darstellen sollte. Daniel Arasse tut daher recht daran, den politischen Einsatz der Guillotine mit dem Vokabular des Volkstheaters zu beschreiben. Diesem Schauspiel ist der dritte Teil des Buches gewidmet. Arasse führt uns minutiös die einzelnen Szenen vor Augen. Die außerordentliche Geschwindigkeit des zentralen Geschehens der Enthauptung, das Moment der Plötzlichkeit, wird durch ein äußerst langwieriges Ritualisieren des Davor und des Danach ergänzt. Daniel Arasse beschließt seinen Bericht mit der Betrachtung einiger Bilder, einiger Porträts. Das Porträt wird hier zu einer Art Symptom verdichtet, zum Zeugen nicht nur für "Es hat stattgefunden" (Roland Barthes)3, sondern auch für "So ist es gewesen". Eine Nutzbarmachung derartiger Porträts in größerem Rahmen wird eine umfassende Sichtung dieser Epoche ermöglichen. Dies wird von Neuem die Einzigartigkeit und Souveränität des Individuums negieren und es im Allgemeinen auflösen. In der statistischen Zahl und im Begriff der Gattung wird die Person des Einzelnen erneut vernichtet werden. Das Buch von Arasse beleuchtet entscheidende Passagen unserer Geschichte - ihre Hoffnungen und Wahnbildungen, Rückschläge und Antriebe. Es konfrontiert mit dem Tod, seinen theatralischen und seinen symbolischen Effekten: Das Mysterium des Todes reduziert sich auf die simple Frage der Arbeitsleistung einer Maschine. Daniel Arasse legt die Gestalt der Guillotine sozusagen unter das Seziermesser. Seine Diagnose? Mit der Guillotine verbindet sich die Imagination des Schreckens. Die Guillotine ist unmenschlich oder nur allzu menschlich? An dieser Stelle ist es Zeit, dem Autor diese letzte Frage abzuschneiden und sie dem Leser zu überlassen. 1 Daniel Arasse: Die Guillotine, Rowohlt TB; Reinbek bei Hamburg, 1989. 2 Michel Foucault: Überwachen und Strafen, STW, Frankfurt am Main, 1976. 3 Roland Barthes: Die helle Kammer, Suhrcamp, Frankfurt am Main, 1985.
200 Jahre Französische Revolution