Artikel Abs l der Bundesverfassung lautet: "Alle Bundesbürger sind vor dem Gesetz gleich". Doch das Gesetz existiert nur allzu oft fernab der gesellschaftlichen Realität. Eine Anfragenserie der Grünen an alle Ministerien sowie die Präsidenten des Rechnungshofes und des Nationalrates ergab, dass der Dienstgeber Staat nicht gerade eine Vorreiterrolle in Sachen Gleichbehandlung von Frauen und Männern am Arbeitsmarkt einnimmt. Bei Einstellung, Verwendung und Beförderung gibt es enorme Unterschiede: Die Mehrzahl der vom Staat angestellten Männer arbeitet als Akademiker in Beamtenstellung, die meisten Frauen als Vertragsbedienstete in untergeordneten Funktionen ohne Pragmatisierung, Unkündbarkeit und anderer Vorteile, die sich aus dem Beamtenstatus ergeben. So beträgt zum Beispiel im Wirtschaftsministerium der Frauenanteil unter den BeamtInnen 29,78 Prozent, hingegen bei den Vertragsbediensteten 74,77 Prozent. Weiters fällt auf, dass der Frauenartteil umso geringer ist, je höher die Stufe in der BeamtInnenhierarchie ist: So finden sich auf der höchsten Ebene der SektionsleiterInnen neben 72 Männern nur 2 Frauen. Selbst im frauendominierten Lehrberuf wird die Luft für Frauen immer dünner, je höher die Sprosse der Karriereleiter ist. So hat es gemäß einer Statistik des Unterrichtsministeriums über Frauen in Lehrberufen in den letzten acht Jahren zwar ein erhebliches Anwachsen der Zahl der Lehrerinnen gegeben, aber keinen wesentlichen Anstieg der Anzahl der Direktorinnen und Inspektorinnen: Der Frauenanteil unter den PflichtschullehrerInnen beträgt 70 Prozent, demgegenüber stehen 33 Prozent Frauen unter den DirektorInnen, 7 Prozent unter den BezirksschulinspektorInnen und nur 6 Prozent unter den LandesschulinspektorInnen. In den AHS sind 53 Prozent aller Lehrkräfte, 16 Prozent der DirektorInnen und 12,5 Prozent der InspektorInnen Frauen. An den Pädagogischen Akademien werden 82 Prozent Frauen von nur 30 Prozent weiblichem Lehrpersonal ausgebildet und es hat seit zwanzig Jahren des Bestehens der Pädagogischen Akademien noch niemals eine Direktorin gegeben. Vorschlag der Grünen Um der Unterrepräsentanz von Frauen im öffentlichen Dienst, vor allem der in höheren Positionen, zu entgegnen, haben die Grünen in ihrem Antidiskriminierungsgesetzeine Ergänzung des Beamten-Dienstrechtsgesetzes und des Vertragsbedienstetengesetzes vorgesehen, die lautet: "Liegen mehrere Bewerbungen für eine Planstelle vor, so ist sie bei gleicher Qualifikation mit einer Person jenes Geschlechtes zu besetzen, das in der betreffenden Verwendungsgruppe im Ressortbereich schwächer vertreten ist." Diese Bestimmung, sollte sie Gesetz werden, hätte einerseits den Vorteil, dass in höheren Positionen Frauen bevorzugt, andererseits aber den Nachteil, dass in Berufen mit bereits hohem Anteil von weiblichen Beamten und Vertragsbediensteten, wie zum Beispiel im Lehrberuf, die Frauen wieder verdrängt werden. Ein anderer Weg wurde in der BRD beschritten: In Nordrhein-Westfalen wird zurzeit im Landtag ein Frauenförderungsgesetz diskutiert, das eine Quotenregelung zugunsten von Frauen im öffentlichen Dienst vorsieht. Die Entwicklung in der BRD Diese eindeutige Bevorzugung ist unter den VerfassungsrechtlerInnen nicht unumstritten, was nicht wundert, wird damit doch juristisches Neuland betreten. In der Anhörung im Nordrhein-Westfalen Landtag wurde dieser Entwurf von drei der fünf GutachterInnen befürwortet. Die Verabschiedung dieses Gesetzes wird noch für diesen Herbst in Aussicht genommen. Die Frage von Kompensationsnormen für Frauen wird auch in der bundesdeutschen feministischen Rechtstheorie zur Zeit diskutiert: In der feministischen Rechtszeitschrift "STREIT" (1/89) versucht Bettina Sokol, wissenschaftliche Mitarbeiterin im Fachbereich Rechtswissenschaften der Universität Bremen eine Antwort auf die Frage, ob und wie gesetzliche Regelungen überhaupt zur Beseitigung von tatsächlichen und rechtlichen Diskriminierungen eingesetzt werden können, zu finden. In ihrem Beitrag "Feministische Rechtspolitik - Rechtliche Diskriminierung und Gleichberechtigungskonzepte" nimmt Sokol eine Strukturierung von aktuellen politischen Konzepten weiblicher Gleichberechtigung vor. Das erste Konzept "Gleichberechtigung als Gleichbehandlung" postuliert die Angleichung der Stellung der Frau an die des Mannes. Diese Angleichung wird im Wesentlichen durch geschlechtsneutral formulierte Bestimmungen verwirklicht, die den Großteil des Normenbestandes ausmachen und die aber dadurch, dass sie die soziale Realität unberücksichtigt lassen, die Ungleichheiten festschreiben beziehungsweise verstärken. Das zweite Konzept "Gleichberechtigung als gleichwertige Andersartigkeit" hat die Verschiedenheit der Geschlechter zur Grundlage. Dies trägt allerdings, so Sokol, die Gefahr einer Fixierung der Geschlechtsdifferenz im Recht in sich: Die Existenz von besonderen Rechtsvorschriften für Frauen außerhalb der allgemeinen rechtlichen Regeln könnte die Ausgrenzung bzw. Marginalisierung von Frauen bewirken, durch die sich das zum Vorteil gedachte Sonderrecht wieder gegen diese wenden würde. Das dritte Konzept geht ebenfalls, von der Ungleichheit der Geschlechter als soziale Kategorie aus, enthält aber als zentrales Ziel das der rechtlichen und vor allem faktischen Gleichheit. Unter Einbeziehung der weiblichen Bevölkerungshälfte und ihrer Lebensbedingungen ins Recht soll eine qualitative Änderung des Männerrechts erfolgen. Dieses Prinzip fordert einen neuen Maßstab außergeschlechtlicher Art, der die Lebensbedingungen von Frauen wie die der Männer gleichermaßen berücksichtigt und soll einen Umbau des gesamten Rechts bewirken. Als Beispiel für solche Normen nennt sie Quotierungen im Erwerbsleben: Solange der Maßstab von Qualifikation sich an traditionell männlichen Lebenszusammenhängen orientiert, kann die Diskriminierung von Frauen im Berufsleben nur durch Quoten wirksam bekämpft werden. Erst die geschlechtsunabhängige Neubestimmung des Qualifikationsbegriffes kann zu einer wirklichen Chancengleichheit führen, die darin Quotierungen hinfällig machen kann. Die Frage, ob im österreichischen Rechtssystem für kompensatorische Regelungen Raum ist, wird in der einschlägigen juristischen Literatur lediglich in einem Beitrag in der Europäischen Grundrechtszeitung 1983 von Maria Berger, damals Universitätsassistentin an der rechtswissenschaftlichen Universität in Innsbruck behandelt. Sie Schlägt eine analoge Anwendung der kompensatorischen Regelungen des Minderheitenschutzrechtes zur Lösung des Gleichheitsproblems zwischen Mann und Frau vor. Diese Idee blieb allerdings bis heute unbeachtet und unbeantwortet, obwohl dieser Gedanke nicht neu ist: In den USA wurden "affirmative actions" bereits in den sechziger Jahren als Antidiskriminierungsmaßnahmen für Schwarze eingeführt und in der Folge auch für Frauen. Diese Kompensationsnormen werden allerdings jetzt nach und nach von den konservativen Höchstrichtern der Reaganschen Ära wieder abgebaut. Der VfGH Die österreichische Verfassungslage verbietet nicht grundsätzlich unterschiedliche Regelungen für Männer und Frauen. Diese sind dann zulässig, unter Umständen sogar geboten, wenn einer Ungleichbehandlung im Gesetz auch eine Ungleichheit im tatsächlichen Leben entspricht. Diese ließe sich mit gutem Willen sogar in sehr vielen Bereichen finden. Dass die VertreterInnen der Parlamentsparteien dennoch gesetzliche Kompensationsnormen so zögernd einfordern, mag zum Teil auch an der "herrschenden" Auslegung des Gleichheitsgrundsatzes der Bundesverfassung durch den Verfassungsgerichtshof (dem übrigens bis heute keine Frau angehört) liegen. So hat sich der VfGH aus gleichheitsrechtlichen Überlegungen veranlasst gefühlt, den Anspruch auf Witwenpension aufzuheben. Die Regelung des unterschiedlichen Pensionsalters für Frauen und Männer steht derzeit in Prüfung und das noch ausstehende Erkenntnis wird zeigen, ob der VfGH seine formaljuristische, an geschlechtsneutralen Regelungen orientierte Tendenz weiterverfolgt. Dass in Österreich Gedanken nach rechtlichem Umbau kein Echo finden, liegt unter anderem am Mangel der Kultur einer kritischen Rechtswissenschaft im Allgemeinen und am Fehlen einer Betrachtung von Recht aus feministischer Sicht im Besonderen. Die neueren Entwicklungen in der BRD lassen hoffen, dass die Diskussion um die Einführung kompensatorischer Regelungen vielleicht auch einmal in die österreichische Rechtswissenschaft Eingang finden.
Kompensatorisches Recht