Im kommenden November werden die SchweizerInnen über die Abschaffung ihrer Armee abstimmen. Interessant ist daran nicht der Ausgang der Volksabstimmung, sondern die Reaktionen der Hüter der bewaffneten Neutralität auf das Referendum. Die "Gruppe Schweiz ohne Armee" konnte 111.300 Unterschriften (von 100.000 benötigten) aufbringen und damit eine Volksabstimmung (26.11.89) über die Abschaffung der Schweizer Armee erzwingen. Dem Initiator dieser Idee Andi Gross gefällt daran - "rein persönlich und emotional" - am allerbesten, "dass wir mit einem Heiligtum der Schweiz (Demokratie) ein anderes Heiligtum (Wehrhaftigkeit, Milizsystem) hinterfragen". Die Denkprozesse, die der Verfassungsvorschlag - "Die Schweiz hat keine Armee. Bund, Kantonen, Gemeinden und Privaten ist untersagt, militärische Streitkräfte auszubilden oder zuhalten" - in Gang gesetzt hat, sind auch das einzig interessante daran, denn über den Ausgang der Wahl wird wohl niemand im Zweifel sein. So beschlossen z.B. die Schweizer Sozialdemokraten die Stimmfreigabe zur Armeeabschaffungsfrage, wie wohl SPS Präsident Hubacher von einem "hirnverbrannten Volksbegehren" spricht, und es für "illusionär" hält, "dass das Schweizer Volk auf eines seiner Lieblingsspielzeuge verzichtet". Hubacher führt fort: "Die Armee ist ein großer eidgenössischer Turn- und Sportverein zur Förderung der Kondition und Kameradschaft". Er liegt damit fast auf der Linie des Künstlers und Armeebefürworters Jean Tinguely, der die Armee liebt, und es bloß bedauert, dass sie die Kavallerie abgeschafft hat". Oh Tinguely, wie recht du hast, eine Schweizer Kavallerie würde auch Touristen weniger schrecken als mit Sturmgewehren bewehrte Rad- und Mofafahrer, die in diesem wehrhaften Land allerorts zu sehen sind. Noch mehr gedacht scheint Verteidigungsminister Villinger zu haben, der - eingedenk der hohen volkswirtschaftlichen Kosten - noch rechtzeitig vor der Abstimmung das "Armee Konzept 95" vorstellt. Dieses sieht eine Rationalisierung des Heeres nach privatwirtschaftlichem Muster vor. Und gerne glauben wir Villinger, dass seine Reformpläne kein taktisches Manöver sind, das den Armeegegnern etwas Wind aus den Segeln nehmen soll. Bild 1: 20 frs. 150 frs. / 100 Vielmehr können wir bloß neidvoll über die Grenze blicken, denn eine Rationalisierung des österreichischen Heeres ließe sich durch keine 111.300 (oder auch mehr) Unterschriften lancieren. Die so vorbildhaften Schweizer können aber auch ganz anders, wie es uns z.B. ein von Blut- und Bodenklischees triefender Artikel eines Dr. Theodor Abt in der NZZ (Do. 22. Juni 89) beweist. Hier ist von "einseitigem Rationalismus" und von "innerer Nivellierung" durch "statistisches Denken" die Rede. Gegen diese zersetzenden Faktoren soll einzig die "Belebung von gemeinsamen Mythen helfen können, die obendrein symbolisch verstanden werden müssen, um sie so ''vor dem intellektuellen Zugriff (zu) bewahren". Dass all dies bloß die Geschichte von Wilhelm Tell zu leisten vermag, erscheint einsichtig. Der Scherz am Rande liegt allerdings in der Tatsache, dass dieser zentrale Schweizer Mythos eine von einem Deutschen erfundene Geschichte ist. Doch wer will sich daran stören, geht es doch darum, den Wehrwillen zu stärken, den Abt (so treffend) mit dem Immunsystem eines Organismus vergleicht.
Volksabstimmung im November