Ein europareifer Student wird nicht mehr daheim an die Scholle gebunden sein, sondern kreuz und quer durch Europa reisen. Geldprobleme wird er dank einer massiven Förderung durch die Wirtschaft nicht kennen. Auf diese Weise versuchen die EG-Protagonisten StudentInnen einen Beitritt schmackhaft zu machen. Über Traum und Wirklichkeit. Ganz Europa hat in den letzten Jahren massive studentische Protestbewegungen erlebt. In Frankreich (1986), Griechenland (1987), Spanien (1987), Österreich (1987) und der BRD (1988) formierte sich der Widerstand der StudentInnen gegen die herrschenden Zustände an den Universitäten. Der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte, war allgemein die finanzielle Misere an den Hochschulen. Eine auf Dauer untragbare Überlastung der Kapazitäten, kombiniert mit einer drastischen Verschlechterung der sozialen Situation schufen die Voraussetzungen für spektakuläre Massenaktionen. Aber die Gründe des Protestes reichen tiefer. Angesichts des sich immer weiter verschärfenden internationalen Konkurrenzdrucks durch die Wirtschaftsgiganten Nordamerikas und des Fernen Ostens waren die in Europa national zersplitterten Forschungs- und Bildungszentren und damit ihre Volkswirtschaften arg ins Hintertreffen geraten. Die logische Konsequenz daraus war die supranationale Koordinierung von Forschung und Bildung im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft. Bevor man/frau die Tendenzen in der europäischen Forschungs- und Technologiepolitik betrachtet, scheint es ratsam, sich die österreichische Hochschulsituation zu vergegenwärtigen: Im internationalen Vergleich weist Österreich ein geringes und rückständiges wissenschaftlich-technologisches Potential auf. Der AkademikerInnenanteil in Relation zur gesamten erwerbstätigen Bevölkerung verweist uns nach wie vor in das hintere Drittel der europäischen Industrieländer. 1,35% des Bruttosozialproduktes für Wissenschaft und Forschung sind einfach zu wenig, um auch nur den geringsten Anforderungen an eine moderne Universität zu entsprechen. Die von der österreichischen Rektorenkonferenz geforderten 20 Milliarden öS Soforthilfe sind unerlässlich für einen nur einigermaßen erträglichen Universitätsbetrieb. Hier liegt der Trugschluss nahe, "Europareife" durch einen EG-Beitritt zu erreichen. Wäre doch eine einseitige Anlehnung an die EG eine Gefährdung der traditionellen Beziehungen Österreichs zu allen nicht im Binnenmarkt vertretenen Staaten. Um weitere, weit gravierendere Nachteile eines EG-Beitritts erkennen zu können, empfiehlt es sich einige Aspekte der Forschungs- und Technologiepolitik (F&T -Politik) der EG näher zu betrachten. So zeigen die EG-weiten Stipendien- und Forschungsförderungsprogramme eindeutige Tendenzen in Richtung einer schärferen sozialen Auslese, einer unkontrollierbaren Einflussnahme der Großkonzerne auf die Hochschulen durch Drittmittelfinanzierung und einer Konzentration der High-Tech-Forschung in den wirtschaftlich potentesten EG-Staaten bei gleichzeitiger Provinzialisierung der Schwächeren. Beispiel ERASMUS Das Studienförderungsprogramm ERASMUS hat das Ziel den Austausch von Studierenden und Lehrpersonal und die Zusammenarbeit von Universitäten zu fördern. Was unter dem Titel "Dozenten-Studenten-Mobilitätsprogramme, gemeinsame Entwicklung neuer Studiengänge, Intensivprogramme" verkauft wird, ist in Wahrheit nichts anderes als ein Abschöpfen nationaler Eliten, zur Bildung des sogenannten europäischen Hochschulnetzes. Diese Eliten, deren Ausbildung vom Kindergarten bis zur Hochschulreife von den einzelnen Volkswirtschaften getragen wird, werden in EG-Forschungszentren (BRD, Frankreich, Großbritannien) konzentriert. So ist es zum Beispiel schon heute in Griechenland in vielen Studienrichtungen nicht mehr möglich, eine hochqualifizierte Ausbildung zu bekommen, da es für den griechischen Staat nicht mehr lohnt, in Sparten zu investieren, in denen er nicht mehr konkurrenzfähig ist. Ein Auslandsstudium wird aber für das Gros der griechischen Studierenden sowieso nur Wunschtraum bleiben, weil ERASMUS nur einen geringen Teil des Auslandsaufenthaltes finanziert - soziale Selektion par excelence. Massenuniversitäten für das zukünftige akademische Proletariat - Eliteunis für die oberen 10.000 andererseits. Weiters erfolgt eine fachspezifische Selektion. Die Schwerpunkte der ERASMUS-Stipendien sind ökonomisch leicht verwertbare Studien wie Sprachstudien (20%), Wirtschaftsstudien (17%), technische Studien (13%), Naturwissenschaften (8%). Drittmittelfinanzierung Die Forschungsförderungsprogramme der EG unterscheiden sich von den meisten nationalen Förderungsprogrammen dadurch, dass die Mehrzahl der Gelder in Form von Drittmitteln ("Direktfinanzierung durch die Wirtschaft") vergeben wird. Voraussetzung, um Drittmittel der EG zu erhalten, ist die Zusammenarbeit mit mindestens einem Partner in einem anderen EG-Land, das heißt in der Regel einem Unternehmen. Die EG trägt 50% der Projektkosten, der Rest muss von den beteiligten Unternehmen beziehungsweise Institutionen beigesteuert werden. Der dadurch entstandene Konkurrenzkampf zwischen den Universitäten um die Gunst der Geldgeber prägt logischerweise die Ausrichtung der Forschung und Lehre. Wohin diese Entwicklung läuft, kann man/frau an folgenden Daten sehen (siehe Tabelle): Die Forschungsbereiche, die die Förderung der industriellen Wettbewerbsfähigkeit zum Ziel haben, machen im EG-Forschungsbudget (1987 - 91) etwa 65% aus, die Energieforschung kommt auf ca. 22%, während für die Bereiche "Lebensqualität" und "Wissenschaft und Technik im Dienste der Entwicklung" nur mehr 7% bzw. 1.5% bleiben. Für die letztgenannten Bereiche wurde 1984 - 87 noch 10.3% bzw. 4% ausgegeben. Hier spielt vor allem das COMETT-Programm eine Rolle, das auf die Zusammenführung von Wirtschaft und Hochschule abzielt. Baccalaureatstudien Die Vereinheitlichungsbemühungen führen in Verbindung mit Massen- und Elitenausbildung zur Einführung meist unwissenschaftlicher Kurzstudien (Baccalaureat). Die Bemühungen der EG gehen dahin, eine einheitliche Richtlinie über (gegenseitige) Anerkennung der Diplome von Hochschulen oder ähnlichen Institutionen zu schaffen. Gelten sollen diese Richtlinien für alle dreijährigen Studien und für sogenannte reglementierte Berufe (Ausübung des Berufes nur mit Diplom möglich). Die Studienpläne und Lehrinhalte werden nicht harmonisiert, was dazu führt, dass die erheblichen Unterschiede in der Ausbildung durch Anpassungslehrgänge ausgeglichen werden. In Österreich hingegen wird nur eine mindestens vierjährige Universitätsausbildung mit Studienabschluss anerkannt. Wie die Einführung eines Versicherungslehrganges an der juridischen Fakultät in Graz zeigt, besteht auch bei uns die Gefahr, dass auf die Verwertungsbedürfnisse der Wirtschaft zugeschnittene Kurzstudien eingeführt werden. Auch hier zeichnet sich der Trend zu einer Trennung in Massen- und Elitenstudium ab. Auch was den freien Zugang zu den Universitäten im Europa nach 1992 betrifft, ist mit Verschärfungen - wie zum Beispiel dem bundesdeutschen Numerus clausus und/oder Studiengebühren nach französischem Muster - zu rechnen. Der rote Faden Seit 1963 zeichnet sich eine kontinuierliche bildungspolitische Linie ab, die sich vorrangig am Bedarf der Wirtschaft orientiert. In den "mittelfristigen Perspektiven" der EG aus1988 wird diese Bildungspolitik folgendermaßen umrissen: Die Bildungs- und Ausbildungssysteme müssen dazu beitragen, diese Ziele (Herstellung des Binnenmarktes 1992) zu erreichen und entsprechend die Bedingungen für den wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt innerhalb der Gemeinschaft zu schaffen. Bildung wird hier offensichtlich als bloße Investition ins Humankapital aufgefasst, der lernende Mensch zur Ware degradiert. Es sei hier der Verdacht geäußert, dass gerade diejenigen, die für einen raschen vorbehaltlosen EG-Beitritt plädieren, über kein Konzept für die Lösung der anstehenden Probleme verfügen. Die Vorstellung von einer Demokratisierung der Hochschulen, von mehr und echten Mitbestimmungs- und Entscheidungsrechten für die StudentInnen, würde im Falle eines EG-Beitrittes in unerreichbare Ferne rücken. Es gilt daher das Problembewusstsein zu wecken, dass das Aufgehen der österreichischen Souveränität in der EG unter anderem auch für die Bildungspolitik fatale Folgen hätte. Es wird Aufgabe der fortschrittlichen StudentInnenbewegung sein, die zu erwartenden Auswirkungen eines EG-Beitritts auf die Lage der Universitäten fächerübergreifend und allseitig auszuarbeiten, um sich damit in den gesamtgesellschaftlichen Diskussionsprozess einzuschalten. Besonderes Augenmerk ist daher auch dem vorauseilenden Gehorsam der großen Koalition zu widmen, der sich unter anderem in EG-konformen Gesetzen niederschlägt.
ERASMUS von Brüssel, ein junger europäischer Student