Aus dem Vortrag vom 5. November 1988, gehalten im Kongresshaus Salzburg.
Juristisch sind vor allem zwei Dinge von Interesse: Österreichs seitdem Jahre 1955 bestehende sogenannte immerwährende Neutralität und die Frage, ob ein allfälliger EG-Beitritt eine Gesamtänderung der österreichischen Bundesverfassung wäre; einer solchen müsste nämlich gern. Art. 44 Abs. 3 B-VG eine Volksabstimmung vorangehen.
Ich gehe zunächst von der schmalsten Variante der Neutralität aus; das Wörtchen schmal bezieht sich hier auf den zeitlichen und inhaltlichen Umfang dessen, was als Neutralitätsfall zu gelten hat. Eine derartige schmale Neutralität verpflichtet Österreich, in allen künftigen Kriegen die völkerrechtliche Stellung eines neutralen Staates einzunehmen. Damit sind eine Reihe von völkerrechtlichen Verpflichtungen verbunden, die uns hier gar nicht weiter zu interessieren brauchen. Wichtiger aber sind jene Normen, die es den Neutralen verbieten, an der wirtschaftlichen Kriegsführung teilzunehmen bzw. gebieten, dem sogenannten "Gleichbehandlungsgrundsatz" zu entsprechen - d. h. dass immer alle Konfliktparteien in Umfang und Qualität gleich behandelt werden.
Manfred Rotter hat nun(in den SNv.1.10.1988) mit imponierender Prägnanz das Wesentliche zusammengefasst:
Für die Beantwortung der Frage, ob ein Beitritt Österreichs zur EG zulässig ist, ist vom Verteidigungsfall der NATO auszugehen; elf der zwölf EG-Mitgliedsstaaten wären dann in einen Krieg verwickelt. Die NATO würde - weil sie gar keine andere Wahl hat! - ihre wirtschaftlichen Lenkungsmaßnahmen über die bestehenden EG-Organe laufen lassen; Österreich wäre als dreizehntes Land gezwungen, den Wirtschaftskrieg der NATO mitzutragen.
Der Verlust der Außenhandelshoheit, die Verwirklichung des Binnenmarktkonzepts mit der dadurch verwirklichten Abschaffung der Grenzkontrollen, das in den EG-Organen geltende Mehrstimmigkeitsprinzip - das alles würde dazu führen, dass Österreich keine Möglichkeit mehr hätte, sich neutralitätskonform zu verhalten. Ein Beitritt Österreichs zur EG ist daher - der nunmehr seit über zwanzig Jahren in der österreichischen Rechtswissenschaft herrschenden Lehre gemäß - verboten.
Immer wieder wird auf die Neutralität Irlands hingewiesen; das ist unsinnig, weil Irlands Neutralität bestenfalls eine außenpolitische Maxime, aber nicht - wie das im Fall Österreichs ist - eine völkerrechtliche Verpflichtung darstellt.
Immer wieder wird darauf hingewiesen, dass es seit der sogenannten Luxemburger Vereinbarung im Jahre 1966 zu keiner mehrstimmigen Entscheidung gekommen sei, dass also das Mehrheitsprinzip durch die Einstimmigkeitsregel ersetzt worden sei. Dieser Einwand zieht nicht, weil die Luxemburger Vereinbarung niemals Bestandteil des Europarechts geworden ist und von ihr jederzeit - und zwar ohne rechtliches Verfahren - wieder abgegangen werden kann. Im Übrigen wurde zuletzt durch die Einheitliche Europäische Akte erneut das Mehrstimmigkeitsprinzip rechtlich verankert. Immer wieder wird darauf hingewiesen, dass es die Möglichkeit gebe einen sogenannten Neutralitätsvorbehalt einzubringen und so im Konfliktfall die Neutralität gewahrt werden könne. Das ist unsinnig, weil über die rechtliche Zulässigkeit der Berufung auf eine derartige Klausel gern. Art. 223, 224 EWG-Vertrag der Europäische Gerichtshof und nicht Österreich entscheiden würde.
Bezieht man jetzt noch die Diskussion um eine Europäische Union bzw. um die Europäische Sicherheitsgemeinschaft mit ein in die Überlegung, dann wird hinreichend klar, dass - wie Manfred Rotter das genannt hat - "ein Beitritt zur EG gegenwärtig den Einstieg in eine Entwicklung (bedeutet), an deren Ende in der EG kein Platz mehr für einen dauernd neutralen Staat sein wird."
Nur in Klammer sei angemerkt, dass ich persönlich zu der Auffassung neige, dass sich das Neutralitätsrecht in den letzten 33 Jahren durch die von Österreich selbst betriebene Praxis erheblich gewandelt hat: Galt damals noch der Grundsatz, dass "die immerwährende Neutralität ihrem Wesen nach Friedenserhaltung durch Nichteinmischung (ist)" - so wie Willibald Pahr noch im Jahre 1967 (Der Status der immerwährenden Neutralität …, Verhandlungen des dritten österreichischen Juristentages, Bd. II, 2. Teil, Wien 1969, 38) - , so gilt heute, dass sie diese Aufgabe durch aktive, engagierte und möglichst umfassende ''Dazwischenschaltung" zu lösen hat. Die moderne Neutralität kann sich nicht darauf beschränken, politische Unabhängigkeit und territoriale Integrität der Staaten zu verkünden und vielleicht Methoden der friedlichen Streitbeilegung vorzusehen - sie muss entschieden dazu dienen, Bedingungen zu schaffen, die die Entstehung von Streitfällen verhindern. Solche Bedingungen sind die Beseitigung der Ungleichheiten in den Beziehungen zwischen den Völkern und die Aufhebung derjenigen Regeln, die diese Ungleichheiten verkörpern. Die moderne Neutralität hat entschieden daran zu arbeiten, etwa neue Regeln zum Schutz weniger entwickelter Länder gegen die stärkeren Staaten aufzustellen. Alle diese Ziele wären im Rahmen der EG unmöglich weiter zu verfolgen. - Da befinde ich mich allerdings auf schwankendem juristischem Boden, und ich will nicht in den Fehler einer völlig unangebrachten instrumentellen Handhabung des "Rechts" verfallen, also versuchen, das, was die Rechte durch Ignoranz und Auflösung der Normativität zu erreichen sucht, nach dem Prinzip der Retorsion ebenfalls zu betreiben. Da muss noch genauer nachgedacht werden.
Bevor ich nun zum zweiten Punkt komme, noch eine kurze Anmerkung zu dem in der allgemeinen Diskussion übersehenen Art. 15 Abs. 2 Staatsvertrag von Wien 1955: Sollte nämlich in einem Lizenzvertrag bzw. einem Know-how-Vertrag vorgesehen sein, dass neben den erwähnten Plänen, Zeichnungen, EDV- Software und ähnlichem auch Schulungs- und Ausbildungskurse anzubieten seien – eine nicht unrealistische Vorstellung - , so hätte Österreich zu berücksichtigen, dass es "in der militärischen oder zivilen Luftfahrt oder bei Experimenten, Entwürfen, bei der Produktion oder Instandhaltung von Kriegsmaterial" keine Personen ausbilden darf, die nicht österreichische Staatsangehörige sind. Dies gilt, einer Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes nach, jedoch nur für eine derartige Ausbildung im Inland, wogegen eine solche Ausbildung im Ausland unbedenklich wäre. Ob sich diese Erkenntnis mit dem Völkerrecht in Übereinstimmung befindet, ist freilich eine andere Frage. Jedenfalls müsste gemäß Art. 15 Abs. 1 Staatsvertrag darauf Bedacht genommen werden, dass mit Unternehmen aus der BRD keinesfalls kooperiert werden darf.
Es ist leicht einzusehen, dass sich bei einem allfälligen EG-Beitritt, der einen letztlich vollkommenen Abbau der Grenz- und Warenkontrolle zur Folge hätte, der Einhalt dieser Bestimmung nicht mehr kontrollieren ließe. Aber dies nur am Rande.
Ich komme zum zweiten Punkt: Was ist nun eine "Gesamtänderung der Bundesverfassung"? Trotz möglicher Einwände gehe ich von der herrschenden Lehre aus. Diese geht davon aus, dass der Begriff "Gesamtänderung" nur inhaltlich gemeint sein kann, legt der Interpretation des Art. 44 Abs. 3 B-VG also ein materiales Verfassungsverständnis zugrunde. Demnach gibt es sogenannte "leitende Grundsätze der Verfassung", welche nur durch Volksabstimmung abgeändert werden dürfen: Anerkannt sind zumindest das demokratische, das rechtsstaatliche und das föderalistische Prinzip.
Art 1 B-VG sagt, Österreich sei eine "demokratische Republik". Was nun Demokratie ist, erfährt man aus der Bundesverfassung nicht. Gemeint ist wohl, dass - entsprechend bürgerlicher Tradition seit der Französischen Revolution, respektive dem, was die österreichische Verfassungslehre an Inhalten bewahrt hat - das Volk der Souverän im Staate sein soll; es also eine "ungefähre" Identität von Herrschern und Beherrschten geben soll. Damit das Ganze aber nicht gleichjakobinische Formen annimmt, hat der historische Gesetzgeber des Jahres 1920 das "demokratische Prinzip" im B-VG selbst schonweitgehend abgeschwächt: Verzieht aufs imperative Mandat bzw. "freier Abgeordneter" (Art 56), der Verfassungsgerichtshof als "negativer Gesetzgeber" (Art. 140), repräsentative Demokratie (Parlamentarismus) etc.
Was würde sich bei einem EG-Beitritt ändern? Zwei Argumentationslinien lassen sich verfolgen; eine "streng"-juristische und eine eher rechtspolitisch-essayistische:
Die erste Variante der Argumentation hat Theo Öhlinger vor zwanzig Jahren, aber immer noch gültig, in den Juristischen Blättern (1968, S. 175 ff.) begründet: Art. 1B-VG besage doch, dass jeder Rechtsakt auf dem Gebiet der Republik Österreich sich unmittelbar oder mittelbar auf einen Willensakt des österreichischen Volkes zurückführen lassen muss. Damit unvereinbar seien die EG-Richtlinien, - Verordnungen und Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes (EuGH): "Sie verpflichten den einzelnen Mitgliedstaat .....wie ein herkömmlicher Staatsvertrag auch, ohne aber nachdem in der innerstaatlichen Verfassung für den Abschluss von Staatsverträgen erforderlichen Verfahren zu ergehen." Darüber hinaus würde ein EG-Beitritt das österreichische System der Bindung der Verwaltung an das Gesetz in seinem Kern treffen: Funktionell komme nämlich ausschließlich dem Parlament bzw. den Landtagen kraft ihrer demokratischen Legitimation das Monopol der generellen Rechtsnutzung zu; die Verwaltung dürfe gemäß Art. 18 Abs. 2 B-VG nur die Anordnungen eines Gesetzes in dessen Sinne näher ausführen. Durch diese strenge Bindung an das - vom demokratisch legitimierten Gesetzgeber erlassene - Gesetz sollte die Verwaltung (zumindest der Intention Kelsens und den Idealwelten bürgerlicher Juristen nach) "demokratisch" sein. Nach einem EG-Beitritt würden in wesentlichen Bereichen die direkt wirkenden Verordnungen der EG (Art. 189 Abs. 2 EG-Vertrag) gelten - damit wäre de facto das Legalitätsprinzip des B-VG und damit auch das demokratische Prinzip zerstört.
Hiezu gehört auch der Umstand, dass die im Falle eines EG-Beitritts dem österreichischen Parlament zugeleiteten EG-Vorlagen dann in zuständigen Fachausschüssen behandelt würden; in den weitaus meisten Fällen würde man sich dort auf "Kenntnisnahme" beschränken. Mehr würde oft ohnehin nicht möglich sein, weil im Zeitpunkt der Befassung der Ministerrat der EG häufig schon abschließend entschieden hat.
Kostprobe einer BRD-Einschätzung: "Seit Juli 1980 sind dem Bundestag 2506 EG-Vorlagen zugegangen .... Das Plenum des Bundestages behandelte allerdings nur 256 mit einer Beschlussempfehlung des zuständigen Ausschusses, also ganze 10 Prozent, und von ihnen waren zum Zeitpunkt der Befassung 167 bereits im Amtsblatt der EG ausgedruckt, also verkündet und in Kraft getreten. Die Behandlung von EG-Vorlagen im Deutschen Bundestag ist nicht nur politisch irrelevant, sie verschleiert auch das wahre Ausmaß des Kompetenzverlustes eines nationalen Parlaments", so Klaus Hänsch, Mitglied des Europaparlaments (Europa-Archiv 1986, H. 7, S. 181 ff., hier S. 197).
Die zweite, gröbere Argumentation richtet ihr Augenmerk auf den Charakter der EG selbst: Das EG- Parlament ist eher eine Akklamationsstube denn die Verkörperung des Souveräns; versehen mit einigen Kontroll- und Initiativkompetenzen vermag es die rechtliche oder gar faktische Entwicklung der EG in keinster Weise zu beeinflussen. Die EG ist in summa eine exekutivistisch orientierte Ansammlung von Technokraten, Bürokraten und polyglotten Juristen aus den einzelnen EG-Ländern, die - im besten Falle - den politischen Willen des EG-Ministerrates exekutieren: eine gemeinsame Verwaltungseinrichtung zur Durchsetzung absatz-und profitfördernder Wirtschaftspolitik - auch wenn zwischenzeitig eine gewisse Tendenz zur Förderung und zum Schutz sogenannter "diffuser Interessen" (im Bereich Produkthaftung und -sicherheit, Konsumenten- und Umweltschutzpolitik etc.) sichtbar wird. Von Demokratie keine Spur.
Wenn nun schon Art. 1 und Art 18 B-VG zur Makulatur werden, ist es nicht weiter staunenswert, dass auch das sogenannte "Rechtsstaatsprinzip" nicht überleben würde.
Im B-VG steht nicht, was ein Rechtsstaat ist. Üblicherweise fasst sich die herrschende Verfassungslehre einige griffige Formeln aus dem rechtsphilosophischen Fundus und konstruiert sich den Rechtsstaat als Komposition aus Gewaltentrennung, Rechtssicherheit und Freiheitsverbürgung für den Einzelnen; es versteht sich, dass hier verschiedene Geschmacksrichtungen angeboten werden.
Wie auch immer: die EG kennt keine Gewaltentrennung; die sogenannte "öffentliche Gewalt" ist zwar auf verschiedene Organe verteilt, weist aber bestenfalls eine Gewaltenteilung im formellen Sinne auf, "nämlich eine Mehrheit letztentscheidender Instanzen"(Öhlinger). Weil sowohl der Ministerrat als auch die Kommission die nach der demokratisch-rechtsstaatlichen Doktrin notwendigen Eigenschaften nicht besitzen, widersprechen die erlassenen Verordnungen - die in den einzelnen Ländern gesetzesgleich wirken - jedenfalls dem Prinzip der Rechtsstaatlichkeit. In der Terminologie der österreichischen Verfassungslehre sind die EG-Verordnungen nämlich selbständige, gesetzesändernde bzw. -ergänzende Verordnungen, etwas ganz Unmögliches für das österreichische Verfassungsrecht. Ein EG-Beitritt würdeumfangreiche Rechtssetzungskompetenzen auf den Ministerrat übertragen und so den österreichischen Gesetzgeber (das Parlament bzw. die Landtage) zugunsten eines von Regierungen abhängigen Organs beschneiden. Zwar sieht das B-VG in Art. 9 Abs. 2 seit 1981 vor, dass durch Gesetz oder Staatsvertrag einzelne Hoheitsrechte des Bundes auf zwischenstaatliche Organe übertragen werden können - ein EG-Beitritt würde den dadurch erlaubten Kompetenzverlust jedoch bei weitem überschreiten. Die organisatorische Gewaltenteilung zwischen Parlament und Verwaltungsapparat (Art. 20 Abs. 1B-VG) sowie die funktionelle Trennung zwischen materieller Rechtssetzung und Vollziehung würden unterlaufen.
Das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit könnte man freilich auch dadurch verletzt sehen, dass nach einem EG-Beitritt nur noch die Créme der österreichischen Verwaltungsjuristen und Ministeriallegisten wüsste, was denn überhaupt aktuell geltendes Recht in Österreich sei; die Situation nach einem EG-Beitritt würde der nach 1945 ähneln, als es für Rechtspraktiker kaum mehr möglich war zu eruieren (für die Bevölkerung ohnedies nicht), ob österreichisches Recht von vor 1938, deutsches oder österreichisches Recht von nach 1945 galt.
Ein letzter Punkt betrifft das föderalistische Prinzip. Hier weißeigentlich kein Verfassungsrechtler genau was darunter zu verstehen sei. Bekannt ist lediglich, dass es in Österreich neun Bundesländer gibt; und weil es sie gibt, darf es sie nicht umsonst geben; es mussten ihnen deshalb Kompetenzen eingeräumt werden. Welcher Art und in welchem Umfang diese Kompetenzen zu sein haben, weiß niemand.
Sicher ist lediglich, dass der Bund "in äußeren Angelegenheiten" allein zuständig ist (Art. 10 Abs.1 B-VG). Dies ändert aber nichts an der innerstaatlichen, geltenden Kompetenzverteilung gemäß Art. 10 ff. B-VG. Der historische Gesetzgeber hat erwartet, dass daraus Konflikte zwischen Bund und Ländern erwachsen und hat mit Art. 16 B-VG eine Möglichkeit zur Bewältigung solcher Konflikte geschaffen: Dort ist normiert, dass die Länder verpflichtet sind, Maßnahmen zu treffen, die in ihrem selbständigen Wirkungsbereich zur Durchführung von Staatsverträgen erforderlich werden; kommt ein Land dieser Verpflichtung nicht rechtzeitig nach, so geht die Zuständigkeit zu solchen Maßnahmen insbesondere auch zur Erlassung der notwendigen Gesetze, auf den Bund über (Abs. 1); zusätzlich hat der Bund gemäß Abs. 2 auch ein "Überwachungsrecht" in den Angelegenheiten, die gemäß Art. 15 B-VG zum selbständigen Wirkungsbereich der Länder gehören. Dieser Art. 16 würde durch einen EG Beitritt eine vollkommen geänderte Bedeutung erhalten: Man soll nicht dramatisieren, aber die gesamte Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern würde durch einen EG-Beitritt destruiert werden. Keine Rede mehr vom Flaggschiff konservativer Bemühungen, vom "kooperativen Föderalismus".
Das Ergebnis ist eindeutig: Ein EG-Beitritt Österreichs ist jedenfalls eine Gesamtänderung der Bundesverfassung - eine Volksabstimmung ist deshalb notwendig. Das wissen die Herren Mock, Khol, Graf etc. ebenso gut, auch wenn sie ständig ventilieren, dass eine Volksabstimmung nicht notwendig sei (vergleiche dazu Wiener Zeitung vom 23.7.88, 4.6.88, 10.9.88). Es ist von eigenartiger Komik, dass ausgerechnet Jörg Haider jener konservative Politiker ist, der als scheinbar einziger die österreichische Bundesverfassung gelesen hat und deshalb eine Volksabstimmung verlangt (Wiener Zeitung vom 21.8.88).
Über die Auffassung der GRÜNEN - die eben falls eine Volksabstimmung für nötig erachten - will ich mich hier gar nicht weiter äußern, sondern nur folgendes anmerken: mir scheint, dass eine diffus - schwammige Demokratiemoral nicht das geeignete Argumentationsmittel in verfassungsrechtlichen Fragen sein kann. Ob eine Volksabstimmung politisch wünschenswert ist, ist aber überhaupt eine ganz andere Frage. Die österreichische Linke sollte freilich schon mal anfangen nachzudenken.
Erlauben Sie werte ZuhörerInnen, noch zwei Dinge anzumerken. Die historische Erfahrung der Arbeiterbewegung zeigt uns, dass es nicht ausreicht, den EG-Apologeten ein hilfloses" Ich will nicht!" entgegenzustellen. Thomas Mann hat in "Der Zauberberg" tiefsinnig gezeigt, dass das pure Nichtwollen, die "einfache Negation" nicht ausreicht, um einem fremden Willen auf Dauer standhalten zu können. Aufzuhalten ist dieser nur, wenn man diesem ein anderes Positivum, einen anderen Fortschrittsbegriff, also letztlich ein anderes Wertesystem entgegenstellt, dass sich glaubhaft vermitteln lässt.
Ein letzter Punkt betrifft Möglichkeiten und Grenzen von Demokratie und Kultur in Österreich. Ich bin der Auffassung, dass Österreich in einen Zustand derartiger politischer Kulturverkommenheit abgerutscht ist, dass Rettung nur noch in einer wirklich breiten Zusammenarbeit von Linken, Grünen, Frauen, Friedensbewegten und bürgerlichen Kräften, die noch einen Funken Anstand haben, zu finden ist.
Die Chancen, dass sich eine derartige Zusammenarbeit in Frontstellung zum EG- Beitritt konsolidiert bzw. überhaupt erst einmal ergibt, sind nicht schlecht.
Dieser Beitrag wurde leicht gekürzt aus den Mitteilungen der Österreichischen Vereinigung Demokratischer Juristen übernommen.