Gesehen (Rezension)

Das Pétain-Regime hat die Losungsworte der französischen Revolution ausgetauscht und statt "Freiheit - Brüderlichkeit - Gleichheit" die Worte "Familie - Heimat - Arbeit" auf die Münzen geprägt.
In diesem Klima spielt Claude Chabrols neuer Film "Eine Frauensache" mit Isabelle Huppert in der Hauptrolle. Der Film ist schon in verschiedenen Kritiken einhellig gelobt worden, für die exzellenten schauspielerischen Leistungen, die klare und eindringliche Sprache seiner Bilder. Diesen Kritiken soll keine neue hinzugefügt werden. Es geht mir darum zu zeigen, was diesen Film für Juristen interessant machen könnte.
Ende Juli 1943 wurde in Paris Marie-Louise Giraud hingerichtet, schuldig befunden, im Lauf der Jahre 27 Abtreibungen vorgenommen zu haben. Als "Mörderin des Vaterlandes" eine der letzten Französinnen unter der Guillotine. Ein spektakulärer Schauprozess vor dem Staatsgerichtshof ging dieser Exekution voran.
Dieser authentische Fall liegt Chabrols Film zugrunde. Und dem Regisseur wie seiner Darstellerin gelingt es, die Logik von Moral, Ressentiment und Staatsraison bloßzulegen, die zu dieser Hinrichtung führte. Es ist die Wut und der ohnmächtige Zorn der Männer, die einen Krieg verloren haben. Und es ist die Armut, die den Blick auf die ethische Dimension des Handelns verstellt.
Die Marie des Filmes entdeckt ihre Befähigung zur Engelmacherin, als sie einer Freundin hilft, die schwanger wird, während ihr Mann in Gefangenschaft ist. Der Versuch glückt und Marie erhält das Grammophon der Freundin als Dankesgabe; ein Geschenk von faszinierender Wirkung.
Marie sieht einen Weg aus dem Elend, sie dient sich und ihre Kunst an. Bald kommen Kundinnen und Marie betreibt ihr Geschäft als Unternehmerin. Sie kann jetzt für die Kinder sorgen, den halbinvaliden Mann ernähren, sich einen Geliebten leisten, zuletzt eine Bedienerin. Nur selten entstehen Situationen, in der ihr die moralischen Implikationen klar werden. Im Grunde aber ist für sie eine Abtreibung nicht mehr als "die Reparatur eines verstopften Waschbeckens". Zuletzt nimmt sie Gesangsstunden.
Ihr Mann denunziert sie. Das Marionettenregime der Nazis will Stärke demonstrieren und die Mär vom Vaterland wieder zu Ehren bringen. Die Bilder vom Hohen Gericht und seinem Staatsanwalt gehören mit zum denunzierendsten, was je in Filmen gezeigt wurde. Mit ihrem Blut reinigen sie sich von einer Schuld, die geschichtliche Dimensionen hat.
In der Zelle versucht sie in der Nacht zur Hinrichtung zu beten: "Gegrüßt seist du Maria voll der ... Scheiße!" Selbst ihr Anwalt getraut sich nicht, zu ihrer Hinrichtung zu erscheinen und schickt seinen Referendar.
"Eine Frauensache" Spielfilm, Farbe, Frankreich 1988, R.: Claude Chabrol