§129 A DES BUNDESDEUTSCHEN STRAFGESETZBUCHES

Der Paragraph 129a StGB der BRD, der ursprünglich propagandistisch auf die Mitglieder der RAF und ihre SympathisantInnen gemünzt war, eröffnet nach mehreren Erweiterungen ein einzigartiges Repressionsarsenal zur Ausforschung und Kriminalisierung politisch aktiver Personen und Gruppierungen. Der Tatbestand der "Bildung terroristischer Vereinigungen", der neben der Strafbarkeit der Mitglieder auch das "Unterstützen" und "Werben" für solche Vereinigungen kriminalisiert, kehrt im Zusammenhang mit an ihn anknüpfenden Sonderbefugnissen die traditionelle Rolle der Grund und Verfahrensrechte um: der/die BürgerIn wird nicht mehr gegen den Staat geschützt, sondern gilt als potentiell gefährlich für die innere Sicherheit des Staates, der sich deshalb durch Überwachung und Kriminalisierung absichern muss.
An die Wunderwaffe §129a knüpft sich das passende Vehikel von Ermächtigungsnormen für die Ermittlungsbehörden, um im "Anti-Terror-Kampf' sogenannte terroristische Umfelder großflächig auszuforschen: Überwachung des Telefon-und Postverkehrs, Großrazzien, Durchsuchung ganzer Häuserblocks, Einrichtung von Straßenkontrollstellen, Schleppnetzfahndungen, Identitätsfeststellungen selbst gegenüber Unverdächtigen, massenweise Datenspeicherung, Untersuchungshaft auch ohne Haftgründe. Häftlinge können in Isolationshaft gehalten werden, der Schriftverkehr mit den Verteidigern kann überwacht werden. Überdies ist anscheinend auch das "Recht auf den gesetzlichen Richter" dem Staatsschutz abträglich: Die Verhandlung und Aburteilung obliegt in Verfahren nach §129a den speziell "auserlesenen Richtern der Oberlandesgerichte", weiters kann der Generalbundesanwalt im Zweifel das Verfahren an sich ziehen und die jeweils genehmen Gerichte auswählen. Wie die Anwendung dieser Sonderbefugnisse in der Praxis aussieht, sei anhand einiger Ermittlungsfälle der letzten Zeit dokumentiert ("Konkret 1988/4"):
Nach den tödlichen "Startbahn"-schüssen auf zwei Polizisten im November 1987 wurde von den Behörden flugs eine "terroristische Vereinigung" mit mindestens zehn weiteren Mitgliedern rund um den Hauptbeschuldigten als Rädelsführer konstruiert, der man weitere strafbare Handlungen in die Schuhe schieben wollte. Durch eine Repressions-, Razzien-, Verhör und Verhaftungswelle mischten die Behörden zwar den autonomen Widerstand der Region auf, konnten aber im konkreten Verfahren wegen der Polizistenmorde keinerlei Ergebnisse erzielen. Dies trotz der durch § 129a gegebenen Möglichkeit der Beweisvereinfachung, die bei "terroristischen Vereinigungen" eine Strafbarkeit der Mitglieder für alle von der Vereinigung begangenen Taten vorsieht, egal, ob die Mitglieder im Einzelfall davon wussten.
Ein weiteres Beispiel, wo mit ungeheurem Aufwand an der offenen und geheimen Informationserhebung gearbeitet wurde, spielte sich Mitte der achtziger Jahre im Wendland ab; nachdem sich Sabotageakte gegen den Bau des geplanten Atommüllzwischenlagers gehäuft hatten. Diesmal bot §129 StGB (kriminelle Vereinigung)·die Grundlage für monatelange, systematische Datenanhäufung über die Bewohner des Landkreises, die wohl mehr der Spaltung der aufmüpfig gewordenen Bevölkerung durch Kriminalisierung und der Erfassung des Widerstandes diente, als der Aufklärung der konkreten Situation.
Im Fall Wackersdorf mussten zur öffentlichen Rechtfertigung der Anwendung des §129a Instrumentariums ominöse Verbindungslinien zwischen WAA-Gegnern und der RAF herhalten.
Hier wird einsichtig, dass im Zweifelsfall wilde Konstruktionen dazu benutzt werden, um an die großzügigen Ermittlungsbedingungen des § 129a heranzukommen, wenn sich die Opposition regt und Ansätze von Widerständen sichtbar werden.
Stehen der Konstruktion "terroristische Verbindung" die Fakten vollkommen im Wege, kommt es in der BRD manchmal zur organisatorischen Hilfestellung vom Staatsschutz: Beim Prozess gegen die beiden RAF-Verteidiger Müller und Newerla in Stuttgart-Stammheim Anfang der achtziger Jahre verschafften sich zwei verdeckte Polizeiagenten des Baden-Württembergischen Landeskriminalamts Zutritt zur sogenannten Sympathisantenszene. Der Kölner Theo P., Anti-AKW-Aktivist und Mitglied der "Schwarzen. Hilfe", wurde von den Polizeiagenten zum Aufbau einer "revolutionären Zelle" und zu Anschlägen auf Leitungsmasten von Atomkraftwerken angeregt. Als die beiden mit ihren Vorschlägen zu weit gingen und sich ihr Opfer zurückziehen wollte, wurde Theo P. wegen des Verdachts der "Bildung einer terroristischen Vereinigung" verhaftet. Auf diese Weise gelang es den Behörden, durch den tatprovozierenden Einsatz der Agenten über § 129a einen großen Teil der Kölner oppositionellen Szene umfassend auszukundschaften. Das Ermittlungsverfahren gegen Theo P. wurde, nachdem es seinen eigentlichen Zweck erfüllt hatte, eingestellt.
Auch die Kronzeugen, denen bei Zusammenarbeit mit den Ermittlern Straffreiheit oder Strafrabatt winkt, erfüllen den Behörden mitunter den Traum, großangelegte Ermittlungstätigkeiten nach § 129a durchführen zu dürfen. So zum Beispiel, als 1987 bundesweite Razzien durch die belastenden Aussagen des ehemaligen Strafgefangenen Dirk St., der sich als V-Mann in verschiedenen politischen Szenen eingeschlichen hatte, ausgelöst wurden. Obwohl Dirk St. nach Auffassung von Sicherheitsexperten als Aufschneider und Spinner anzusehen ist, basierten selbst Haftbefehle ausschließlich auf seinen Aussagen. Überdies führten sie zu Beschlagnahmen von Verteidigerakten und -post durch die Bundesanwaltschaft bei der Hamburger Rechtsanwältin Ute Brandt. Ihr wurde "Unterstützung einer terroristischen Vereinigung" und "Werbung für die RAF' vorgeworfen, da sie politische Gefangene vertritt und ihre MandantInnen öffentlich bei ihren Forderungen nach besseren Haftbedingungen unterstützt. Die Begehungsformen des "Unterstützens" und "Werbens" für terroristische Vereinigungen, die eindeutig den Bereich der freien Meinungsäußerung empfindlich einengen, erweisen sich als taugliches Mittel, um Veranstaltungen schlechtweg zu verbieten oder zum Zweck der Verdachtsgewinnung und -verdichtung bei Veranstaltungen ohne jeden Anfangsverdacht personenbezogene Daten aufzunehmen, monatelang zu speichern und zu verarbeiten.
Die Situation der BRD lässt also den Schluss zu, dass es den Ermittlungsbehörden keineswegs darauf ankommt, Entscheidungen in gerichtlichen Verfahren nach § 129a vorzubereiten. Vielmehr sind die Ermächtigungen, die sich an den "Verdacht der Bildung einer terroristischen Organisation" knüpfen, gesetzliche Grundlage für eine Art präventiver und repressiver Sozialkontrolle, die den eigentlichen Zweck der Ermittlungstätigkeit bildet. Dafür spricht auch, dass das dem § 129a vorangehende Verfahren in 94 Prozent der Fälle zu keiner Anklage führt oder eingestellt wird.
Durch die Überwachungstätigkeit der Behörden werden Kommunikationsprozesse geknackt und demokratische Prozesse, die möglicherweise im Widerstand gegen bestehende Verhältnisse gipfeln könnten, werden im Keim erstickt, um sich erst gar nicht mit Argumenten auseinandersetzen zu müssen. Grundrechtewie die "freie Meinungsäußerung" oder der "Schutz des Privat- und Familienlebens" bleiben auf der Strecke.
Diese Ausführungen sollen allerdings nicht zum Anlass genommen werden, die Praxis der Behörden in Österreich als wünschenswert erscheinen zu lassen. Auch hierzulande werden Daten gesammelt und gespeichert. Dass die erkennungsdienstliche Behandlung und die Tätigkeit der Staatspolizei zum größten Teil gesetzlich nicht geregelt ist beziehungsweise auf Ermächtigungen durch Generalklauseln basiert, ist eine subtilere Form des Überwachungsstaates, die sich jeder Kontrolle durch den/die BürgerIn entzieht. Man/frau hat keine Möglichkeit zu erfahren, welchen Inhalt die gespeicherten Daten haben, auf Anfragen erfährt man/frau die lapidare Antwort "es liegt nichts vor". Gegen dieses offen zur Schau gestellte Desinteresse der Staatspolizei sprechen aber Informationen, die durch undichte Stellennach außen dringen und sicher keine Einzelfälle darstellen.
Man/frau sieht, dass es in Österreich nicht notwendig ist, die durch den Terrorismus und nachfolgende Medienkampagnen erzeugten Bedrohungsphantasien auszunutzen, um überwachen zu können.