Sie bespitzelt alles, was sich im Lande regt. Angeblich zum Schutz des Staates und seiner Gesetze. Selbst zieht sie es aber vor, im gesetzesfreien Raum zu operieren. Die Rede ist von Österreichs geheimer Staatspolizei.
Eine Demonstration. Tausende Menschen auf dem Ballhausplatz. Eifrig fangen Reporter mit ihren Fotoapparaten Stimmungsbilder ein. Doch nicht nur die Presse fotografiert. Ein transparent stellt klar: "Bitte lächeln – Stapo filmt".
Tatsächlich knipsen die Herren in den grauen Mänteln emsig mit dem Teleobjektiv Demonstrant für Demonstrant, Demonstrantin für Demonstrantin. Videokameras des Innenministeriums laufen. Die stationäre Videokamera, die die Tür der Präsidentschaftskanzlei beschauen sollte, ist umgeschwenkt worden und überblickt nun den ganzen Platz. Sämtliche "Verkehrsüberwachungskameras" sind ebenfalls dazu ausgerüstet, jederzeit das Blickfeld zu ändern, bei Demonstrationen einzelne TeilnehmerInnen heranzukommen.
Das alles zum Schutz der Staatssicherheit Akten werden angelegt über alle und jeden, die geheime Staatspolizei schnüffelt überall herum. Die 700 Beamten im staatspolizeilichen Dienst beobachten alles, was sich in Österreich bewegt oder bewegen könnte. Sie handeln dabei im gesetzesleeren Raum, "bestenfalls nach eigenen Gesetzen" (PROFIL 3/89). Die Staatspolizei - das ist die Gruppe II/C des Innenministeriums, die wiederum in drei Abteilungen gegliedert ist: Abt II/6, zu deren Aufgabenbereich zum Beispiel Vorfallenheitsberichte und Informationsdienst gehören; weiters die Abt II/7, die zum Beispiel staatsfeindliche Vorgänge wahrzunehmen hat und Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der staatlichen Sicherheit koordinieren und lenken soll; und schließlich die Abt II/15 (aus: "Prügelnde Polizisten").
Die gesetzliche Grundlage für die Existenz und Aktivität des staatspolizeilichen Dienstes geht auf die Monarchie, das Jahr 1852 (!!) zurück. Die "Kaiserliche Entschließung vom 25. April 1852" ordnet im §1 Leitung und Handhabung der Staats- und Sicherheitspolizei und ist bislang praktisch die einzige gesetzliche Vorschrift, die die Arbeit der Stapo halbwegs beschreibt. Für das Fotografieren, etwa bei Demonstrationen, Sammeln von Fingerabdrücken und sonstigen Informationen fehlt jede gesetzliche Grundlage. Ein behördeninterner Erlass des Innenministers regelt zwar die Speicherung erkennungsdienstlich erhobener Daten, vor allem - laut Erlass - Personen, die im Verdacht stehen, strafbare Handlungen begangen zu haben, gegen die ein fremdenpolizeiliches Verfahren läuft und Asylwerber (!!), eine Löschung dieser Daten, auch auf Antrag der Betroffenen, ist jedoch nicht vorgesehen.
Stapo ermittelt
Bei dieser Flut angesammelter Informationen, der Bespitzelung jeder politischen und grundlegend staatsbürgerlichen Aktivität stellt sich die Frage, wofür das Ganze und für wen. Bei der Tätigkeit der Stapo drängt sich der Verdacht auf, dass sie eine Art Gegenermittlung führt. Das bestätigt· sich spätestens seit dem, zumindest teilweise, öffentlich Werden staatspolizeilicher Aktionen in der Lucona-Affäre. Nicht Missstände werden verfolgt, sondern jene, die sie bemerkt und aufgezeigt haben. "Gegenermittlungen" gegen DemonstrantInnen, JournalistInnen, Leute, die Anzeigen erstatten und PolitikerInnen. Fälle, in denen die Stapo eingreifen sollte; wie bei Vergehen gegen das NS-Verbotsgesetz, lassen die Herren Geheimagenten eher kalt. Auch hier wird lieber die Gegenseite bespitzelt.
Die Arbeit der Staatspolizei unterliegt keiner Kontrolle. Munter betreiben sie ihr Tagewerk, sammeln, fotografieren, zapfen Telefone an - wer glaubt, dass Telefongespräche nur auf richterlichen Befehl abgehört werden, ist naiv. Natürlich leistet die Geheimpolizei ihre Arbeit im Dienst der Herrschenden, doch nicht immer im Dienst der Regierung. Die Stapo-Affäre der sechziger Jahre zeigte, dass selbst Spitzelakte über den Innenminister existierten. Die Arbeit der Stapo hat eine Art Eigendynamik: die Regierungen kommen und gehen, was bleibt ist die Staatspolizei. Und Regierungen gibt es in Österreichs Geschichte seit 1852 einige.
Im Dienst der Staatssicherheit
Was der Geheimpolizei alles als beobachtens- und notierenswert erscheint, zeigt anschaulich der Fall Dr. Alexander Schneider, der vom Wiener Rechtsanwalt Dr. Thomas Prader im Buch "Prügelnde Polizisten" der grünen Parlamentsklubs ausführlich geschildert wird. Alexander Schneider wurde 1950 geboren, studierte Philosophie, Kunstgeschichte und Volkskund und promovierte 1979 zum Dr.phil. Er war in der StudentInnenpolitik und im Widerstand gegen das AKW Zwentendorf aktiv. 1983bewarb sich Schneider beim Bundeskanzleramt als Mitarbeiter der Bibliothek - sein zukünftiger Vorgesetzter hielt ihn für geeignet. Das Bundeskanzleramt forderte einen staatspolizeilichen Bericht über Dr. Schneider an, worauf es diesen prompt zugesandt bekam (siehe Faksimile). Schneider bekam die Stelle nicht, laut BKA sei keine Planstelle mehr frei. Schneider wurde bei der Ausübung seiner staatsbürgerlichen Rechte bespitzelt und sein Privatleben wurde ausgiebigst beschnüffelt. Man/frau stelle sich vor er lebte sogar einige Zeit in einer Kommune - Grund genug, notiert zu werden. Dass Schneider als Teilnehmer einer Veranstaltung der AKW-Gegner in Zwentendorf registriert wurde, lässt angesichts des Ergebnisses der Volksabstimmung 1978, die Vermutung aufkommen, dass über die Hälfte der österreichischen Bevölkerung solche Stapoakte existieren müssten.
Welchen Parteien Schneider seit seiner Registrierung 1970 seine Stimme gab, wurde dem BKA von der Staatspolizei nicht übermittelt. 1988 ging Schneider der Bericht der Stapo mit seinem vom Bundeskanzleramt angelegten Personalakt anonym in die Hände; Schneider (sein Vertreter Dr. Prader) brachte daraufhin beim Verfassungsgerichtshof Beschwerde wegen Verletzung des Art. 8 MRK ein, der die Republik Österreich zur Achtung des Familien- und Privatlebens verpflichtet. Obwohl keine wirksame Beschwerdemöglichkeit gegen Überwachungsmaßnahmen der Stapo gegeben ist - kein Akt unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt - wurde die Staatspolizei zu einer Gegenschrift aufgefordert. In dieser Gegenschrift heißt es unter anderem, dass die Daten aus der staatspolizeilichen Evidenz stammen, "die die Bundespolizeidirektion Wien zur Vorsorge für den Schutz des Staates und seiner verfassungsmäßigen Einrichtungen führt". - Äußerst vorsorglich. Und weiter: Zu den einzelnen Vormerkungen in der genannten staatspolizeilichen Evidenz ist auszuführen, dass diese im Rahmen der vorbeugenden Aufklärungstätigkeit des staatspolizeilichen Büros der Bundespolizeidirektion Wien zum Schutz des Staates und seiner verfassungsmäßigen Einrichtungen verfasst wurden. Eine Überwachung des Beschwerdeführers wurde in keinem der angeführten Zeiträumen durchgeführt." Trotzdem das Wissen über die "Kommune".
Die Polizei ignoriert, dass auch das Sammeln und Aufbewahren der Daten, Gegenstand der Beschwerde war. Das Verfahren beim Verfassungsgerichtshof ist noch anhängig. Eine von Schneider angeforderte Auskunft über die über ihn vorliegenden Daten, war unvollständig. Niemand soll wissen, was der Staat beziehungsweise seine Geheimagenten, die Staatspolizisten, über ihn/sie wissen. Datenschutz vor sich selbst.
Die Stapo agiert im Dunkeln, um BürgerInnen besser durchleuchten zu können. Kontrolle ist nicht gefragt. Und über jene, die Kontrolle fordern, sind bereits Spitzelakte angelegt; zum Schutz des Staates und seiner Einrichtung: der Staatspolizei.
Der staatspolizeiliche Bericht "Schneider" an das Bundeskanzleramt:
Betreff: Schneider Dr. Alexander
Erhebung
Bericht
1970 Festnahme wegen unbefugten Plakatierens;
1975 Kundgebung in diversen Bezirken Wiens;
1976 Zusammenkünfte der KBÖ-AKW-Gruppen um radikale Maßnahmen zu planen;
1977 Teilnehmer einer Arbeitsbesprechung der AKW-Gegner;
1978 Teilnehmer der WOGA-Konferenz (Wr. Organisation gegen Atomkraftwerke);
Teilnehmer einer Veranstaltung der AKW-Gegner in Zwentendorf;
Unterzeichner der Unterstützungserklärung für den Kommunistischen Bund bei den Wr. Gemeinderatswahlen.
Im Strafregister der BPD-Wien scheint keine Verurteilung auf.