Die Aufhebung des Totalverbots der sog „Unzucht wider die Natur“ im Jahr 1971 markierte einen der entscheidenden Wendepunkte für das österr Sexualstrafrecht, das die gleichgeschlechtliche Liebe über Jahrhunderte hinweg teils drakonischen Sanktionsdrohungen unterworfen hatte. Der vorliegende Beitrag unternimmt einen Streifzug durch die Geschichte der Pönalisierung der Homo- und Bisexualität von der Neuzeit bis in die frühe Nachkriegszeit und zeigt auf, wie die gegen Ende des 19. Jh einsetzende Pathologisierung im Kontext des jungen sexualwissenschaftlichen Diskurses diese Entwicklung – in Gestalt von Lehre und Rsp zu § 129 I lit b StG 1852 – noch weiter verschärfte. Neben Verfechter*innen (zB Jenull, Ehrenreich, Graßberger) und Gegner*innen der Strafbarkeit (zB von Liszt, Benndorf, Kraus) kommt daher auch die psychiatrische Wissenschaft zu Wort, deren Lehre von „echter“ und „unechter“ Homosexualität entscheidenden Einfluss auf die Dynamik der Rechtsentwicklung ausübte.
Zur Strafwürdigkeit der Sittlichkeitsdelikte
Im sittsamen Vorarlberg
Das Jahr 1945 hatte für unter dem NS-Regime verfolgte Homo- und Bisexuelle weder rechtliche noch soziale Rehabilitation mit sich gebracht: Sie waren weiterhin der Gefahr ausgesetzt, in die Fänge von Polizei und Justiz zu geraten und Opfer der Strafverfolgung auf Basis des seit 1852 in Kraft befindlichen § 129 I lit b StG („Unzucht wider die Natur“) zu werden. Ein anschauliches Beispiel für das Vorgehen der Nachkriegsjustiz konnte 1956 in Vorarlberg beobachtet werden, wo es der StA Feldkirch infolge akribischer Ermittlungen gelungen war, rund 140 Personen auszuforschen, anzuklagen und in 98 % der Fälle eine Verurteilung durch das LG Feldkirch zu erreichen. Aufbauend auf eine im Vorheft erschienene Abhandlung (juridikum 2022, 317) beleuchtet der vorliegende Beitrag die Hintergründe der als „Vorarlberger Sittlichkeitsskandal“ bezeichneten Causa und rückt dabei auch Schicksale einzelner Betroffener in den Fokus, die noch Jahre später mit den Folgen der Schuldsprüche zu kämpfen hatten.