Die österreichische Asylpolitik, gemessen an einer neuen EG Richtlinie

1. Einleitung

Noch im Oktober 2002 hatte Innenminister Strasser die Kritik, dass die so genannten Richtlinien des Innenministeriums zur Bundesbetreuung in Hinblick auf künftiges Europarecht problematisch sein könnten, als „Unsinn“ abgetan. Die damals bereits prinzipiell akkordierte aber noch nicht formell verabschiedete Richtlinie zur Festlegung von Mindestnormen für die Aufnahme von Asylwerbern in den Mitgliedstaaten (RL)1 zeigt aber sehr wohl, dass diese Kritik berechtigt ist. Aber auch der am 24. Februar 2003 ergangene Beschluss des OGH (1 Ob 272/02k) lässt klar Anpassungsbedarf in der aktuellen n Verwaltungspraxis zur Bundesbetreuung erkennen.

Die am 27. Jänner 2003 nun auch formell verabschiedete RL des Rates basiert laut Präambel auf den Grundrechten und Grundsätzen, die mit der Charta der Grundrechte der Europäischen Union festgeschrieben wurden. Ziel dieser RL ist es, AsylwerberInnen durch das Festlegen von Mindestnormen ein Leben in den Aufnahmestaaten zu ermöglichen, das die uneingeschränkte Wahrung der Menschenwürde gewährleistet. Die Mitgliedstaaten haben die Richtlinie binnen 24 Monaten umzusetzen. Österreich hat somit bis einschließlich 6. Februar 2005 die erforderlichen Maßnahmen zu setzen, um seinen europarechtlichen Verpflichtungen nachzukommen. Der Geltungsbereich dieser RL umfasst alle Drittstaatsangehörigen und Staatenlosen, die an der Grenze oder im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates Asyl beantragen – und zwar solange, wie sie als AsylwerberInnen zum Aufenthalt berechtigt sind (Art. 3 leg. cit.). Diese Bestimmung ist zentral für die gesamte RL und wird – wie in der Folge ausgeführt – zu wesentlichen Veränderungen in der österreichischen Rechtsordnung führen müssen.

 

2. Zur Grundversorgung von AsylwerberInnen

Gemäß Art 13 der RL des Rates haben die Mitgliedstaaten dafür Sorge zu tragen, dass allen AsylwerberInnen ab Antragstellung materielle Aufnahmebedingungen gewährt werden. Diese Aufnahmebedingungen umfassen Unterkunft, Verpflegung und Kleidung in Form von Sach- und Geldleistungen oder Gutscheinen sowie Geldleistungen zur Deckung des täglichen Bedarfs. Die Aufnahmebedingungen haben dabei einem Lebensstandard zu entsprechen, der die Gesundheit und den Lebensunterhalt der AsylwerberInnen gewährleistet. Hier ist die Lage von bedürftigen oder in Gewahrsam befindlichen Personen besonders zu berücksichtigen. Die Mitgliedstaaten können die Gewährung von materiellen Aufnahmebedingungen von der Hilfsbedürftigkeit der AsylwerberInnen abhängig machen. Die Mitgliedstaaten haben weiters für die erforderliche medizinische Versorgung Sorge zu tragen, die zumindest die Notversorgung und die unbedingt erforderliche Behandlung von Krankheiten umfasst. Auch hier sind besondere Bedürfnisse von AsylwerberInnen zu berücksichtigen.

Materielle Aufnahmebedingungen können nur dann verweigert werden, wenn AsylwerberInnen keinen Nachweis dafür erbracht haben, dass der Asylantrag „so bald wie vernünftigerweise möglich“ nach der Ankunft gestellt wurde (Art. 16 (2) leg. cit.). Der Zugang zur medizinischen Notversorgung darf aber in keinem Fall verweigert werden. (Art. 16 (2) leg. cit.). Bereits gewährte Leistungen können nur dann eingeschränkt oder entzogen werden, wenn a) AsylwerberInnen ihren Aufenthaltsort ohne vorherige Mitteilung oder ohne Genehmigung verlassen (sofern eine solche notwendig ist), b) sie ihren Melde- und Auskunftspflichten, der Aufforderung zur Anhörung im Asylverfahren innerhalb einer innerstaatlich festgesetzten und angemessenen Frist nicht nachkommen, c) sie bereits einen Asylantrag in einem anderen Mitgliedstaat gestellt haben, d) sie verschwiegen haben, über Finanzmittel zu verfügen und dadurch zu Unrecht materielle Vorteile erlangt haben oder e) gewalttätiges Verhalten oder grobe Verstöße gegen die Hausordnung der Unterbringungszentren vorliegen.

Entscheidungen über die Einschränkung, den Entzug oder die Verweigerung der gewährten Vorteile oder Sanktionen sind jeweils für den Einzelfall objektiv sowie unparteiisch zu treffen und zu begründen. Die Entscheidungen sind aufgrund der besonders kritischen Situation für AsylwerberInnen unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsprinzips zu treffen. Materielle Vorteile im Rahmen der Aufnahmebedingungen dürfen nicht entzogen oder eingeschränkt werden, bevor eine abschlägige Entscheidung ergeht (A.rt 16 (4) und (5) leg. Cit.).

 

2.1. Rechtsanspruch

Betrachtet man die österreichische Rechtslage, so unterscheidet sich diese noch wesentlich von den inhaltlichen Erfordernissen der RL des Rates. Gemäß § 1 Abs 1 BundesbetreuungsG (BBetrG)3 übernimmt der Bund die Betreuung hilfsbedürftiger Fremder, die einen Asylantrag nach § 2 AsylG3 gestellt haben. Die Bundesbetreuung umfasst Unterbringung, Verpflegung und Krankenhilfe sowie sonstige notwendige Betreuungsmaßnahmen und entspricht somit vom Umfang her den materiellen Aufnahmebedingungen iSd RL des Rates.

Das BBetrG schließt dem Wortlaut nach jeden Rechtsanspruch von AsylwerberInnen auf Leistungen aus der Bundesbetreuung aus (§ 1 Abs. 3 BBetrG). In diesem Zusammenhang ist allerdings auf den richtungweisenden Beschluss des OGH vom 24. Februar 2003 zu verweisen (1 Ob 272/02k): Hierin stellt der OGH fest, dass für hilfsbedürftige AsylwerberInnen sehr wohl ein durchsetzbarer Anspruch auf Bundesbetreuung besteht.

Der OGH begründet dies damit, dass es sich beim BBetrG um ein Selbstbindungsgesetz des Bundes handelt, regelt es doch eine Sozialhilfematerie und somit eine Materie, deren Gestaltungsbereich in die Kompetenz der Länder fällt. Die Entwicklung der Rechtsprechung zeige nämlich, dass Regelungen in Selbstbindungsgesetzen, die Einzelnen ein subjektives Recht auf Leistung verwehren, nicht mehr als das nach der herrschenden Lehre gebotene „Feigenblatt“ sind, um eine Entblößung des jeweiligen Selbstbindungsgesetzes als Verletzung der Kompetenzartikel des B-VG zu vermeiden. Die Fiskalgeltung der Grundrechte im Privatrecht diene gerade der Begründung klagbarer Leistungsansprüche gegen den Staat. Das Gleichbehandlungsgebot sorge dafür, dass einem bestimmten Leistungswerber – bei im Kern gleichen Voraussetzungen – nicht etwas verweigert werden darf, was anderen gewährt wird. Der OGH erkennt weiters, dass der Staat die Betreuung von AsylwerberInnen nicht auf NGOs abschieben dürfe und spricht sich in solchen Fällen für einen Regressanspruch gegen den Bund aus.

Die österreichische Verwaltungspraxis wird also sowohl aufgrund europarechtlicher als auch aufgrund höchstgerichtlicher Vorgaben Änderungen erfahren müssen. Umso befremdlicher erscheint deshalb auch die Reaktion des BMI, „es werde an seiner Verwaltungspraxis, insbesondere auch an der Anwendung der sogenannten ,Richtlinien des Innenministeriums für die Bundesbetreuung hilfsbedürftiger Asylwerber einschließlich der Aufnahme in das Notquartier‘ idF vom 1. Dezember 2002 vorerst nichts ändern“ (Der Standard, 26. 4. 2003).

 

2.2. Die Richtlinien des BMI

Ist die rechtliche Qualität dieser Richtlinien des BMI4 und deren Anwendung auch heftig umstritten, spielen sie in der Verwaltungspraxis des BMI doch eine entscheidende Rolle. Die Richtlinien des BMI sind aber auch in Hinblick auf die Erfordernisse der RL des Rates höchst bedenklich: Mittels Differenzierungen aufgrund der Staatsbürgerschaft wird der Kreis von AsylwerberInnen, die potentiell Aufnahme in die Bundesbetreuung finden können, massiv eingeschränkt. Dies bringt weit reichende Konsequenzen für die humanitäre und menschenrechtliche Situation hilfsbedürftiger AsylwerberInnen mit sich: So wurden auf Grundlage der Richtlinien des BMI bereits Ende September 2002 über 130 AsylwerberInnen aus der Bundesbetreuung entlassen bzw. nicht mehr aufgenommen. Binnen einer Woche wurde die Zahl der betreuten AsylwerberInnen in Traiskirchen, der bundesweit größten Betreuungsstelle, von 2.000 auf 1.400 reduziert.5 Caritas und Diakonie beurteilen die Praxis der Gewährung bzw. Nicht-Gewährung von Bundesbetreuung als inhuman.6

Inhaltlich unterscheiden die Richtlinien des BMI zwischen absoluten und relativen Ausschlussgründen. Bei Vorliegen absoluter Ausschlussgründe können AsylwerberInnen nach Punkt 1.1. nur ausnahmsweise und vorübergehend in die Bundesbetreuung aufgenommen werden, wenn sie aufgrund ihres körperlichen Zustandes besonders hilfsbedürftig sind.7 AsylwerberInnen, bei denen ein relativer Ausschlussgrund vorliegt, sind ebenfalls von der Bundesbetreuung ausgeschlossen, es sei denn, die Aufnahme wäre aus besonderen Gründen für die Sicherung eines Asylverfahrens erforderlich oder wegen besonderer Schutzwürdigkeit der AsylwerberInnen geboten (Punkt 1.2.).

Ein relativer Ausschlussgrund liegt etwa immer dann vor, wenn nigerianische Staatsangehörige kein amtliches Identitätsdokument vorlegen können(!).8 Ebenso gilt die Staatsangehörigkeit zu einem Staat „bei dem die Asylgewährung ausgeschlossen scheint“ als relativer Ausschlussgrund von der Bundesbetreuung: Zu diesen Staaten, bei denen das Innenministerium implizit eine Pauschalprognose bezüglich des Ausgangs des Asylverfahrens abgibt, zählen Indien, Pakistan (ausgenommen Ahmadis), Bangladesch, Bosnien und Herzegowina, Mazedonien, Serbien und Montenegro (ausgenommen Angehörige von Minderheiten aus dem Kosovo), Albanien, Armenien, Georgien, Russland (ausgenommen AsylwerberInnen im Zusammenhang mit Tschetschenien) und die Türkei (ausgenommen sind KurdInnen). Dies auch dann, wenn glaubhaft ist, dass in dem betreffenden Staat, dessen Staatsangehörige von der Bundesbetreuung ausgeschlossen sind, politische Verfolgung signifikant vorkommt.8

Die Gewährung von Leistungen aus Bundesbetreuung darf aber nicht die Entscheidung im Asylverfahren vorwegnehmen; Ziel der Bundesbetreuung ist es vielmehr, die Durchführung des Asylverfahrens und somit das Abwarten auf das Ergebnis im Einzelfall zu sichern.10 So qualifiziert auch der Menschenrechtsbeirat Differenzierungen in der Gewährung von Bundesbetreuung nach der Wahrscheinlichkeit der Asylerteilung als sachlich nicht gerechtfertigt.10 Dahingehend äußert sich auch das BG Innere Stadt in einem Urteil vom 13. Februar 2003 (19 C 2080/02d): Weder im BBetrG noch in der BBetrVO werde gesetzlich determiniert, dass eine etwaige Aussichtslosigkeit des Asylverfahrens einen Entlassungsgrund aus der Bundesbetreuung darstellen würde. Die auf den Richtlinien des BMI basierende Entlassung wurde folglich als unzulässig qualifiziert.

Auch in der RL des Rates der Europäischen Union zur Aufnahme von AsylwerberInnen finden sich keinerlei Anhaltspunkte für einen nach der Staatsbürgerschaft der AsylwerberInnen oder nach der Prognose des Verfahrensausganges differenzierenden Zugang zu den materiellen Aufnahmebedingungen. Auch hier besteht also evident Anpassungsbedarf.

 

2.3. Dauer der Leistungen

Die Betreuung nach dem BBetrG endet spätestens mit dem rechtskräftigen Abschluss des Feststellungsverfahrens nach dem AsylG. Im Falle besonderer Hilfsbedürftigkeit kann die Bundesbetreuung ausnahmsweise auch nach rechtskräftigem Abschluss des Feststellungsverfahrens im unbedingt notwendigen Ausmaß, jedoch höchstens für eine Dauer von drei Monaten, weiter gewährt werden (§ 3 BBetrG).

Nach den Richtlinien des BMI können überdies während der Dauer eines Verfahrens vor den Höchstgerichten keine Leistungen aus der Bundesbetreuung bezogen werden, und zwar auch dann nicht, wenn dieses dem Fremden mit Beschluss die Stellung eines/r Asylwerbers/Asylwerberin zubilligt (Punkt 4.2.). Als absolute Ausschlussgründe iSd Richtlinien des BMI gelten außerdem eine russische, armenische, türkische, georgische, aserbaidschanische, mazedonische, jugoslawische oder nigerianische Staatsangehörigkeit, sobald der Asylantrag in erster Instanz zurückgewiesen worden ist. Davon ausgenommen sind Angehörige von Minderheiten aus dem Kosovo, für Asylwerber „im Zusammenhang mit Tschetschenien“ oder KurdInnen aus der Türkei (Punkt 2.3.).

In diesem Zusammenhang ist allerdings festzustellen, dass AsylwerberInnen für den Zeitraum ihres rechtmäßigen Aufenthalts im Staatsgebiet eines Mitgliedstaates nach der RL des Rates Anspruch auf die materiellen Aufnahmebedingungen haben müssen. Die zeitliche Beschränkung von Leistungen aus der Bundesbetreuung trotz einer Berechtigung zum Aufenthalt ist daher nicht in Einklang mit der RL des Rates. Das LG Linz äußerte sich in einer Rekursentscheidung vom 26. Februar 2003 (14 R 41/03 b) dahingehend, dass eine Entlassung aus der Bundesbetreuung wegen der Abweisung des Asylverfahrens in 1. Instanz mangels Vorliegens eines Entlassungsgrundes unzulässig sei.

Weiters stellen auch die Bestimmungen des geltenden innerstaatlichen Rechts keine zulässigen Gründe für Einschränkungen von materiellen Aufnahmebedingungen iSd RL des Rates dar, wonach der alleinige Verdacht der Begehung einer gerichtlich strafbaren, mit einer Freiheitsstrafe bedrohten Handlung zum Ausschluss von Leistungen aus der Bundesbetreuung führen kann (§ 9 BBetrVO12). Hier ist auch die Verurteilung von AsylwerberInnen zu einer Freiheitsstrafe in Österreich als Ausschlussgrund für den Bezug von Leistungen aus der Bundesbetreuung zu nennen (Punkt 2.4.). Weiters ist auch die Bestimmung, wonach das Ausüben von Schwarzarbeit bzw. das „wiederholte Bereithalten“ zu einer solchen zur Entlassung aus der Bundesbetreuung führt, nicht richtlinienkonform (Punkt 4.4. und 4.4.1).

Schließlich bestimmen das BBetrG und die Richtlinien des BMI, dass AsylwerberInnen, deren Identität ungenügend geklärt ist, bei mangelnder Mitwirkung zur Feststellung der Identität von Leistungen der Bundesbetreuung ausgeschlossen werden können (Punkt 3.1. sowie § 2 Abs. 2 BBetrG). Auch wenn die mangelnde Mitwirkung als Verletzung einer Auskunftspflicht gemäß Art. 16 (1) lit a der RL des Rates und somit als zulässiger Fall einer Einschränkung von materiellen Aufnahmebedingungen qualifiziert werden könnte, bedürfte es nach dem Wortlaut der RL des Rates der Festlegung einer Frist im nationalen Recht – erst deren Nichteinhaltung kann im konkreten Fall eine Verletzung begründen.

 

2.4. Rechtsmittel

Gegen abschlägige Entscheidungen über materielle Aufnahmebedingungen, die einen/eine AsylwerberIn betreffen, müssen nach Art. 21 der RL des Rates Rechtsmittel zur Verfügung stehen. Durch die Möglichkeit einer gerichtlichen Überprüfung von Entscheidungen zur Einschränkung oder Aberkennung von Aufnahmebedingungen, soll ein effektiver Rechtsschutz der Betroffenen sichergestellt werden. Schließlich kann sich jedwede Einschränkung in diesem Bereich massiv auf den Lebensstandard der AsylwerberInnen auswirken. In Österreich besteht bis dato nur die Möglichkeit, Entscheidungen im Bereich der Bundesbetreuung von Zivilgerichten überprüfen zu lassen, was im Verhältnis zum Verwaltungsrechtsweg ein erhöhtes Kostenrisiko in sich birgt.

 

3. Der Zugang zum Arbeitsmarkt

Gemäß Art. 11 der RL des Rates müssen die Mitgliedstaaten einen Zeitraum beginnend mit der Asylantragstellung bestimmen, in dem der Zugang zum Arbeitsmarkt noch nicht gewährt wird. Diese Beschränkung darf jedoch die Dauer von einem Jahr während des erstinstanzlichen Verfahrens nicht überschreiten, außer die Verzögerung kann der/dem AntragstellerIn zugerechnet werden. Die Kommission betont in ihrer Begründung, dass die spezifischen Gründe für die Verfahrensdauer – außer die, welche „nicht unmittelbar eine bestimmte Absicht des Asylwerbers“ erkennen lassen – irrelevant sind.

Dies stellt eine essentielle Änderung der bisherigen Situation dar. Die RL des Rates trägt damit der existenzgefährdenden überlangen Verfahrensdauer von Asylverfahren Rechnung und setzt eine „Höchstwartephase“ fest. Dass es einen Zugang zum Arbeitsmarkt für AsylwerberInnen nach einem Jahr geben muss, ist somit klar.

Eine weitere wichtige Klarstellung trifft Art. 11 (3) leg. cit.: Der Arbeitsmarktzugang darf während eines Berufungsverfahrens mit aufschiebender Wirkung nicht aufgehoben werden. Erst die negative Entscheidung zweiter Instanz lässt dies zu. Das sollte neben menschenrechtlichen Erwägungen auch im Interesse der Mitgliedstaaten liegen, da eine Unterbrechung des Arbeitsmarktzuganges in die Mittellosigkeit oder illegale Erwerbstätigkeit führen kann.

Die Art und Weise, wie dieser Zugang erfolgt, liegt jedoch im Gestaltungsspielraum der Mitgliedstaaten. Dies bedeutet konkret, dass die Mitgliedstaaten letztendlich darüber entscheiden, welche Tätigkeiten in wie vielen Arbeitsstunden mit welchen Qualifikationserfordernissen für AsylwerberInnen offen stehen.

Mit dieser Regelung wurde nicht zuletzt auf die arbeitsmarktpolitischen Steuerungsinteressen der Mitgliedstaaten Rücksicht genommen. In diesem Sinne legt auch Art. 11 (4) leg. Cit. fest, dass StaatsbürgerInnen aus EU oder EFTA Staaten sowie Drittstaatsangehörigen mit rechtmäßigem Aufenthalt Vorrang eingeräumt werden kann.

Nach geltendem innerstaatlichem Recht genießen AsylwerberInnen gegenüber anderen AusländerInnen auf dem Arbeitsmarkt keine bevorzugte Behandlung; genauso wie auf andere AusländerInnen ist auf AsylwerberInnen das Ausländerbeschäftigungsgesetz (AuslBG) anzuwenden.13

Gemäß § 3 Abs. 1 AuslBG dürfen AusländerInnen nur beschäftigt werden, wenn ihre ArbeitgeberInnen eine Beschäftigungsbewilligung oder sie selbst eine Arbeitserlaubnis haben. Da AsylwerberInnen aber nur zu einem vorläufigen Aufenthalt (§ 19 AsylG)14 im Bundesgebiet berechtigt sind und daher eine legale Beschäftigung in der erforderlichen Zeitdauer nicht vorweisen können, ist ihnen der Zugang zum Arbeitsmarkt nur über eine Beschäftigungsbewilligung möglich.15 Allerdings ist auch der Weg über eine Beschäftigungsbewilligung steinig: Um eine legale Beschäftigung in Österreich aufnehmen zu können, muss der/die AsylwerberIn eine Firma finden, die bereit ist, einen Antrag beim Arbeitsmarktservice (AMS) zu stellen. Das AMS prüft dabei den Aufenthalt, den Wohnsitz und die Einhaltung der kollektivvertraglichen Bestimmungen. Gemäß § 4 Abs. 1 AuslBG wird die Beschäftigung eines/einer AusländerIn nur bewilligt, wenn die Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes die Beschäftigung zulässt und nicht wichtige öffentliche oder gesamtwirtschaftliche Interessen entgegenstehen.

Die Prüfung der Arbeitsmarktlage und -entwicklung erfolgt nach einer Art Präferenzsystem, das alle InländerInnen, EU-BürgerInnen und bestimmte Gruppen von AusländerInnen (alle aktiv vom AMS zu betreuenden AusländerInnen, sog. „aufenthaltsverfestigte“ AusländerInnen und jugendliche AusländerInnen der zweiten Generation) AsylwerberInnen vorzieht (§ 4 lit. b leg. cit.)16. Die Abstufung richtet sich also nach dem „Integrationsgrad“.17

Zusätzlich besteht eine sog „absolute Bundeshöchstzahl“, wonach der AusländerInnenanteil 8% des Gesamtarbeitskräftepotentials nicht übersteigen darf (§ 12a leg. cit.). Durch Verordnung kann der/die BundesministerIn Höchstzahlen18 für bestimmte Arbeitsbereiche oder Bundesländer festlegen. Ist die Höchstzahl überschritten, darf eine Beschäftigungsbewilligung nur in den sehr eng gefassten Ausnahmefällen des § 4 Abs. 6, 7 und 8 leg. cit. erteilt werden.

Diese Kombination aus Höchstzahlen und der Bevorzugung anderer Personengruppen macht den Zugang zum Arbeitsmarkt für AsylwerberInnen praktisch unmöglich.19 Bestenfalls wird eine Beschäftigung in der Landwirtschaft, im Gaststätten- und Hotelleriegewerbe, in Reinigungsberufen und im Rahmen eines Sonderkontingents der Wiener Magistratsabteilung 48 für Schneeräumungs- und Stadtreinigungsarbeiten zugelassen. Nach Angaben des AMS gibt es innerhalb eines Jahres also kaum Möglichkeiten für AsylwerberInnen, Zugang zum Arbeitsmarkt zu erhalten. Etwas besser wird die Situation erst ab einem Aufenthalt von fünf Jahren.20

Im Lichte der RL des Rates dürfen die Modalitäten des Zugangs zum Arbeitsmarkt diesen aber nicht derart erschweren, dass der Zugang nach einem Jahr noch immer nicht erfolgen kann. Wäre dies der Fall, so bliebe Art. 11 (2) der RL bedeutungslos. Beschränkungen des Arbeitsmarktzuganges dürfen also nicht zu einer faktischen Aushebelung der in Art 11 (2) leg. cit. festgelegten „Ein-Jahresgrenze“ führen. Betrachtet man die geltende innerstaatliche Rechtslage, so ist das aber bisher wohl der Fall: Denn auch wenn für AsylwerberInnen theoretisch ein Arbeitsmarktzugang besteht, so wird dieser durch ein System der Bevorzugung und Höchstzahlen für die meisten praktisch unmöglich gemacht. Dies kann wohl kaum iSd RL des Rates sein.

 

4. Zusammenfassung und Schlussfolgerungen

Österreich hat bis 6. Februar 2005 Zeit, die am 27. Jänner 2003 verabschiedete Richtlinie des Rates zur Festlegung von Mindestnormen für die Aufnahme von Asylwerbern in den Mitgliedstaaten umzusetzen. Aber schon zuvor bleibt einiges zu tun – so insbesondere in Hinblick auf den am 24. Februar 2003 ergangenen Beschluss des OGH. Mit dessen Umsetzung scheint es das BMI allerdings nicht eilig zu haben. Auch der Entwurf für eine AsylG-Novelle 2003 wurde (noch?) nicht zum Anlass genommen, den Bereich der Bundesbetreuung in einer Art und Weise neu zu regeln, der den Vorgaben der RL des Rates oder der Judikatur des OGH entsprechen würde. Will man außerdem Art. 11 (1) der RL des Rates nicht von vornherein seiner Bedeutung berauben, so wären Maßnahmen zur faktischen Erleichterung des Arbeitsmarktzuganges für AsylwerberInnen geboten, auch wenn den Mitgliedstaaten hier vergleichsweise mehr Spielraum zugestanden wird als bei der Gewährung von materiellen Aufnahmebedingungen. Bleibt zu wünschen, dass die erforderlichen Änderungen nicht unnötig auf sich warten lassen. Denn eine menschliche, europarechts- und menschenrechtskonforme Herangehensweise im Asylbereich ist dringend gefordert.

 

Maga. Louise Sperl und Maga. Karin Lukas sind Juristinnen und wissenschaftliche Mitarbeiterinnen am Ludwig Boltzmann Institut für Menschenrechte (BIM).

1

2 BBetrG 1991 BGBl 1991/405.

3 AsylG 1997 BGBl I 1997/76.

4 In: Menschenrechtsbeirat, Stellungnahme des Menschenrechtsbeirates zu den Richtlinien des BMI für die Bundesbetreuung hilfsbedürftiger Asylwerber vom 28. Jänner 2003, Anhang I.

5 Der Standard 27. 9. 2002.

6 Menschenrechtsbeirat, Stellungnahme 17.

7 Dies ist etwa der Fall bei russischen (Ausnahme TschetschenInnen), armenischen, türkischen (Ausnahme KurdInnen), georgischen, aserbaidschanischen, mazedonischen, jugoslawischen (Ausnahme Minderheiten aus dem Kosovo) oder nigerianischen Staatsangehörigen, sobald deren Asylantrag in erster Instanz zurückgewiesen worden ist.

8 Punkt 3.1.2. der Richtlinien.

9 Siehe Muzak, Gutachten zur Rechtmäßigkeit der Richtlinien des BMI für die Bundesbetreuung hilfsbedürftiger Asylwerber vom 24. Oktober 2002, 3, in: Menschenrechtsbeirat, Stellungnahme Anhang V. Grundsätzlich ist weder dem BBetrG selbst noch den Materialien zum BBetrG irgendein Anhaltspunkt dafür zu entnehmen, dass der Gesetzgeber Unterscheidungen nach Staatsangehörigkeit oder Erfolgschancen zulassen wollte.

10 Menschenrechtsbeirat, Stellungnahme.

11 Siehe BVG betreffend das Verbot rassischer Diskriminierung BGBl 1973/390; vgl. dazu Menschenrechtsbeirat, Stellungnahme 20 f.

12 BBetrVO BGBl 1992/31.

13 Gemäß § 1 Abs. 2 lit a AuslBG, BGBl 1975/218, sind nur Flüchtlinge, deren Konventionsstatus rechtlich anerkannt wurde und die entweder eine dauernde Aufenthaltsgenehmigung besitzen oder mit einem/einer österreichischen StaatsbürgerIn verheiratet sind bzw. ein Kind österreichischer Staatsbürgerschaft haben, von den Bestimmungen des AuslBG ausgenommen.

14 Vorläufig heißt bis zum rechtskräftigen Abschluss des Asylverfahrens bzw. beim Fehlen eines Rechtsmittels mit aufschiebender Wirkung gegen die Entscheidung.

15 Schrammel, Rechtsfragen der Ausländerbeschäftigung (1995) 75.

16 Siehe auch Deutsch, Zur Situation der Ausländerbeschäftigung in Österreich (2000) 5.

17 Als „besonders integrierte Ausländer“ gelten etwa jene, die die sog. Integrationsvereinbarung“ erfüllt haben. Siehe § 4 Abs. 6 AuslBG idF BGBl I 2002/126.

18 Zum Höchstzahlensystem siehe Deutsch, Ausländerbeschäftigung 2.

19 Dies zeigt die geringe Zahl von Beschäftigungsbewilligungen: So wurden laut Auskunft des AMS im Jahr 2001 für AsylwerberInnen österreichweit nur 1.760 Beschäftigungsbewilligungen erteilt: 270 gingen an Frauen, 1490 an Männer; 149 davon waren saisonal. Im Jahr 2002 (Jänner bis Oktober) wurden 2.417 Beschäftigungsbewilligungen erteilt: 405 gingen an Frauen, 2.012 an Männer, davon waren 132 saisonal. Zum Vergleich beträgt die AusländerInnenbeschäftigung laut Statistik Austria insgesamt 319.394 (Zahlen von 1994–2000 als Durchschnittswert).

20 Gespräch von Karin Lukas mit dem AMS Wien, Jänner 2002.

  • 1. Richtlinie 2003/9/EG des Rates v 27. 1. 2003 über die Festlegung von Mindestnormen für die Aufnahme von Asylwerbern in den Mitgliedstaaten ABl 2003 L 31 S 18 ff.
  • 3. a. b. AsylG 1997 BGBl I 1997/76.
  • 4. In: Menschenrechtsbeirat, Stellungnahme des Menschenrechtsbeirates zu den Richtlinien des BMI für die Bundesbetreuung hilfsbedürftiger Asylwerber vom 28. Jänner 2003, Anhang I.
  • 5. Der Standard 27. 9. 2002.
  • 6. Menschenrechtsbeirat, Stellungnahme 17.
  • 7. Dies ist etwa der Fall bei russischen (Ausnahme TschetschenInnen), armenischen, türkischen (Ausnahme KurdInnen), georgischen, aserbaidschanischen, mazedonischen, jugoslawischen (Ausnahme Minderheiten aus dem Kosovo) oder nigerianischen Staatsangehörigen, sobald deren Asylantrag in erster Instanz zurückgewiesen worden ist..
  • 8. a. b. Punkt 3.1.2. der Richtlinien.
  • 10. a. b. Menschenrechtsbeirat, Stellungnahme.
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Maga. Louise Sperl und Maga. Karin Lukas sind Juristinnen und wissenschaftliche Mitarbeiterinnen am Ludwig Boltzmann Institut für Menschenrechte (BIM).