1. Einleitung
Kampfflugzeug-Lobbyisten malen Terrorszenarien an die Wand, sollte es nicht demnächst einen Beschluss auf Ankauf von 24 Eurofightern der Marke Typhoon geben; militante Militärflugzeugs-Gegner werten hingegen bereits den Anflug einer Diskussion über Fragen der Landesverteidigung als aggressiven Akt. So unsicher der Ausgang des Entscheidungsprozesses über die Nachbeschaffung von Abfangjägern ist, eines ist sicher: Die Debatte darüber spaltet in Österreich derzeit die Gemüter – im Parlament genauso wie am Wirtshaustisch.
Die Argumente, die dabei ins Spiel gebracht werden, sind vielfältig:
- Österreich sei in der Bundesverfassung zur Luftraumüberwachung verpflichtet.
- Österreich könne nicht das einzige Land Europas sein, das seinen Luftraum nicht schützt.
- Österreich solle seinen Luftraum nicht für Drogentransporte, Waffenschmuggel etc. freigeben.
- Durch Kompensationsgeschäfte werde ein wirtschaftlicher Impuls ausgelöst.
- Ohne Abfangjäger wären die bisherigen Investitionen in Milliardenhöhe umsonst.
- Eine Luftwaffe von Grund auf neu aufzubauen wäre um vieles teurer als jetzt Abfangjäger zu kaufen, die sich auf bestehende Strukturen stützen könnten Contra:
- In Mitteleuropa gäbe es weit und breit kein Bedrohungsbild, vor dem es sich zu schützen gilt.
- Solange Österreich seine Sicherheitspolitik nicht genau definiert, mache es keinen Sinn, Unmengen von Budgetmitteln an Abfangjäger zu verschwenden.
- Wenn es nur um Luftraumüberwachung geht, reiche die „Goldhaube“1 aus, vor Aggressoren böten auch Abfangjäger keinen Schutz.
- Der Kauf von Abfangjägern sei wirtschaftspolitischer Schwachsinn und eine Verschwendung von Steuergeld.
- Die mit dem Abfangjägerkauf verbundenen Gegengeschäfte brächten nicht den Nutzen, den sie versprechen, die diesbezüglichen Vereinbarungen seien intransparent.
- Bei der Anschaffungspolitik des Bundesheeres würden falsche Prioritäten gesetzt, Transporthubschrauber würden viel dringender gebraucht.
2. Der Einsatzbereich von Abfangjägern
3. Völkerrecht
Völkerrechtlich ist die Frage nach einer Notwendigkeit der Luftraumsicherung durch Abfangjäger an zwei Topoi festzumachen: Der staatlichen Souveränität und der dauernden Neutralität.
3.1. Souveränität
Das Staatsgebiet ist neben dem Vorhandensein einer Staatsgewalt und eines Staatsvolkes ein wesentliches Element für das Bestehen eines Staates. Der Staat übt auf seinem Territorium (wozu auch der Luftraum gehört) eine von anderen Staaten unabhängige Hoheitsgewalt aus; er ist in diesem Bereich souverän.
Davon zu unterscheiden ist die Möglichkeit des Staates, die von ihm gesetzten Regeln auch durchzusetzen. Oder anders gefragt: Führt die fehlende Sanktionierbarkeit von Verstößen ausländischer Flugzeuge gegen das österreichische Lufthoheitsregime zu einem Geltungsverlust dieser Regeln? Und weiter gefragt: Führt ein Geltungsverlust dieser Regeln zu einem partiellen Souveränitätsverlust? Und schließlich: Gibt es für einen Staat eine völkerrechtliche Verpflichtung, seine Staatlichkeit aufrecht zu erhalten?
3.2. Neutralität
Art I Abs 1 des Neutralitäts-BVG lautet: „Zum Zwecke der dauernden Behauptung seiner Unabhängigkeit nach außen und zum Zwecke der Unverletzlichkeit seines Gebietes erklärt Österreich aus freien Stücken seine immerwährende Neutralität. Österreich wird diese mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln aufrechterhalten und verteidigen.“
Zemanek geht daher davon aus, dass durch die Erwartungsminderung eine Änderung des Völkergewohnheitsrechts der Luftneutralität eingetreten ist. Folgt man dieser Ansicht, so sind auch an die Verteidigungsfähigkeit des Luftraums geringere Ansprüche zu stellen.
Zusammenfassend lässt sich daher sagen, dass Österreich neutralitätsrechtlich verpflichtet ist, die in seinem Rahmen zumutbaren Aktivitäten zur Verteidigung seines Luftraums zu setzen. Dass Abfangjäger im Falle des Eindringens fremder Kampfflugzeuggeschwader in österreichischen Luftraum irgendetwas ausrichten könnten, darf jedoch stark bezweifelt werden.
4. Verfassungsrecht
- wenn fremde Flugzeuge kriegerische Absichten gegen Österreich hegen,
- wenn sich fremde Flugzeuge, die sich in österreichischem Luftraum befinden, nicht identifizieren lassen und nicht klar ist, ob es sich um Militärflugzeuge handelt,
- wenn österreichischer Luftraum für kriegerische Kampf- oder Vorbereitungsmaßnahmen fremder Staaten missbraucht wird.
Andererseits lässt sich aus dem Bekenntnis zur umfassenden Landesverteidigung nicht die Pflicht ableiten, alles Denkmögliche zu unternehmen, um fremdes Eindringen in den österreichischen Luftraum zu verhindern. Art 9a B-VG steht als Staatszielbestimmung unter einem Zumutbarkeitsvorbehalt. Fraglich ist daher, welche Anstrengungen konkret eingegangen werden müssen, damit der österreichische Luftraum nicht zum Tummelplatz fremder Kampfflugzeuge wird. Zur Beantwortung dieser Frage kann ein Blick auf die empirischen Gegebenheiten hilfreich sein.
Wie viele dieser Einsätze militärisch erforderlich waren und wie viele luftfahrtpolizeilichen Charakter hatten, lässt sich dem Zahlenmaterial nicht entnehmen. Verfassungsrechtlich relevant ist diese Unterscheidung insoweit, als es für die bloße Luftfahrtpolizei keinen Verfassungsauftrag gibt. Welcher Aufwand zur Gewährleistung der zivilen Rechtsbefolgung, also der „Verkehrssicherheit“ im Luftraum, betrieben wird, ist somit eine rein politische – und keine verfassungsrechtliche – Frage. Ob für die wenigen Fälle militärischen Einschreitens ein Aufwand in Höhe des kolportierten Kaufpreises von 1,8 Milliarden Euro für 24 Eurofighter zumutbar ist, ist jedenfalls diskutierbar.
5. Zusammenfassung
- 1. Das Radarsystem „Goldhaube“ besteht aus mehreren ortsfesten Großraumradarstationen und mobilen 3 D-Radarstationen, die ihre Beobachtungen und Informationen in eine durchgehend besetzte Einsatzzentrale einspeisen. „Goldhaube“ ist der passive Teil des Luftüberwachungssystems, die aktive Komponente wird derzeit durch die schwedischen Abfangjäger Saab 35 OE „Draken“ wahrgenommen. Dazu Näheres unter www.bmlv.gv.at.
- 2. Ein Verbot des Ankaufs von Abfangjägern aus der Bundesverfassung (insbes. aus dem Grundrecht auf Eigentum) abzuleiten ist jedenfalls reiner Populismus. Eine allfällige Fehlinvestition von Steuergeldern hat die Bundesregierung politisch zu verantworten und nicht vor den Höchstgerichten zu rechtfertigen (vgl Strejcek, Die Irrtümer des Herrn Z., Der Standard, 26. 8. 2002).
- 3. Zu diesem rechtstheoretischen Ansatz vgl Funk, Abbildungs- und Steuerungsleistungen der Rechtswissenschaft, in FS Adamovich (2002) 111; Funk, Rechtswissenschaft als Erkenntnis und kommunikatives Handeln, dargestellt anhand von Entwicklungen in der Staatsrechtslehre, JRP 2000, 65.
- 4. Vgl www.eads.com.
- 5. Diese ist sowohl völkergewohnheitsrechtlich verankert als auch in Art 1 des Chicagoer Abkommens (Abkommen über die Internationale Zivilluftfahrt BGBl 1949/97) kodifiziert.
- 6. § 3 BG über den zwischenstaatlichen Luftverkehr 1997 (BGBl I 1997/101).
- 7. Vgl § 8 Abs 2 Luftfahrtgesetz sowie die darauf beruhende Grenzüberflugsverordnung (BGBl 1987/249 idF 1992/103).
- 8. Diese auf diplomatischem Weg einzubringende Bewilligung wird von der Austro Control GmbH mit Zustimmung des BMLV (bei Militärflugzeugen) oder des BMI (bei anderen Staatsluftfahrzeugen) erteilt (§ 2 Grenzüberflugsverordnung).
- 9. Die Goldhaube erfasst Luftraumbewegungen bis 400 km vor der österreichischen Grenze. Das Argument, dass ein fremdes Flugzeug Österreich längst überflogen hätte, bevor Abfangjäger überhaupt in der Luft seien, ist somit unzutreffend.
- 10. Das Aussenden eines Transpondersignals lässt sich bewusst unterdrücken.
- 11. Die Ermächtigung hierzu bietet § 26 Militärbefugnisgesetz iVm § 145 LFG.
- 12. Es ist illusorisch, anzunehmen, ein Kleinstaat wie Österreich könnte in einem Luftkampf überhaupt bestehen. Vgl dazu Korkisch, Der Paradigmenwechsel im Luftkrieg (ÖMilZ 5/2002): „Im Luftkrieg dominiert, wer zur Offensive fähig ist. In der Defensive eingesetzte Jagdflugzeuge werden nicht mehr für den Ausgang der eigenen Luftoperation entscheidend. Die Aufrechterhaltung der Luftüberlegenheit gegenüber einem offensiven Gegner erfordert hohe Quantitäten; für den Verteidiger sind hohe Stückzahlen wichtiger als für den Angreifer, der heute durch eine leichte Überlegenheit der Angriffstechnologien gegenüber den Abwehrtechnologien bevorzugt wird.“
- 13. Ipsen, Völkerrecht4 (1999) § 23 Rz 4.
- 14. Funk in: FS Adamovich (2002) 117.
- 15. Vgl dazu Ipsen, Völkerrecht4 (1999) § 23 Rz 44.
- 16. 6 Art 51 UN-Charta.
- 17. Anderer Ansicht das BMLV (vgl www.bmlv.gv.at/abfangjaeger).
- 18. Insoweit herrscht in der Literatur weitgehend Einigkeit; vgl ausführlich Cede, Österreichs Neutralität und Sicherheitspolitik nach dem Beitritt zur Europäischen Union, ZfRV 1995, 142; vgl auch Schneider, Österreich, das neue Europa – und die Neutralität, in Krejci/Reiter/Schneider, Neutralität. Mythos und Wirklichkeit (1992) 53 (55 ff).
- 19. Wobei zu beachten ist, dass Art 9 Abs 1 B-VG das jeweils geltende Völkergewohnheitsrecht in die österreichische Rechtsordnung inkorporiert; vgl Loebenstein, Die allgemein anerkannten Regeln des Völkerrechtes und das staatliche Verfassungsrecht, in Mock/Schambeck, Verantwortung in unserer Zeit, FS Kirchschläger (1991) 143 (149); Zemanek, Ändert sich das völkerrechtliche Neutralitätsrecht und mit ihm die österreichische Neutralität? ÖJZ 1992, 177 (178).
- 20. Vgl Cede, ZfRV 1995, 142.
- 21. Türk, Die europäischen Neutralen und die Europäische Gemeinschaft, in FS Kirchschläger (1991) 221 (224 f); Zemanek, ÖJZ 1992, 177f mwH; Cede, Österreichs Neutralität und Sicherheitspolitik nach dem Beitritt zur Europäischen Union, ZfRV 1995, 142. In der früheren Literatur waren noch wesentlich umfassendere „Vorwirkungen“ dauernder Neutralität – iSv Rechtspflichten eines dauernd neutralen Staats in Friedenszeiten – angenommen worden; vgl z.B. Verosta, Die dauernde Neutralität, in: Verhandlungen des dritten Österreichischen Juristentages 1967, 66 ff; Schweitzer, Dauernde Neutralität und europäische Integration (1977) 137 ff.
- 22. Art 2–4 des V. Haager Abkommen betreffend die Rechte und Pflichten der neutralen Mächte und Personen im Falle eines Landkrieges.
- 23. Ipsen, Völkerrecht4 (1999) § 72, Rz 18 und 20.
- 24. Ansonsten dürfte der benachteiligte Staat Selbsthilfemaßnahmen ergreifen, die den neutralen Staat in einen Krieg verwickeln und damit seine Neutralität beenden könnten (Hummer, Der internationale Status Österreichs seit 1918, in Neuhold/Hummer/Schreuer, Österreichisches Handbuch des Völkerrechts3 (1997) Rz 2784).
- 25. Zemanek, ÖJZ 1992, 180.
- 26. Von der völkerrechtlich verbindlich erklärten dauernden Neutralität zu unterscheiden ist die Neutralität im politischen Sinne (oder faktische Neutralität). Sie stellt lediglich die Entschlossenheit eines Staates dar, sich in Zeiten politischer Spannungen keiner der streitenden Parteien anzuschließen, sondern sich die Freiheit seiner außenpolitischen Entscheidung zu bewahren. Faktisch neutral sind etwa Schweden und Finnland. Vgl dazu Gehler, Finis Neutralität? (www.zei.de).
- 27. Bezeichnend ist jedenfalls, dass gerade jene politischen Kräfte, die außenpolitisch immer für eine restriktive Interpretation der Neutralitätspflichten, also deren Reduktion auf den harten Kern (sog. Avocadotheorie) eingetreten sind, nun in der innenpolitischen Diskussion mit einem umfassenderen Neutralitätsbegriff argumentieren.
- 28. Als Beispiel seien genannt: der Auffassungswandel hinsichtlich der Vereinbarkeit eines EG-Beitritts mit der Neutralität, das Verhalten Österreichs im zweiten Golfkrieg 1991 (Österreich hat damals fremden Streitkräften auf der Grundlage von Resolutionen des Sicherheitsrates Überflugs-und Durchfuhrgenehmigungen erteilt) sowie die vorbehaltlose Mitwirkung an der Gemeinsamen Außen-und Sicherheitspolitik der EU durch Ratifizierung des Vertrags von Amsterdam. Vgl dazu die Darstellung bei Cede, ZfRV 1995, 142; Hummer in Neuhold/Hummer/Schreuer, Österreichisches Handbuch des Völkerrechts3 (1997) Rz 2798.
- 29. So ist Österreich bereits 1955 der UNO beigetreten, während die Schweiz einen UNO-Beitritt lange mit seiner Neutralität als unvereinbar erachtete und erst 2002 der UNO beitrat.
- 30. Die Verteidigungsanstrengungen Österreichs, die von Anfang an durch die Rüstungsbeschränkungen des Staatsvertrages limitiert waren, ließen sich von jeher weder absolut noch verhältnismäßig mit jenen der umliegenden Staaten vergleichen (Zemanek, ÖJZ 1992, 177).
- 31. ZB Vermittlung zwischen Krieg führenden Staaten, peace-keeping, Beherbergung von Internationalen Organisationen, Übernahme humanitärer Aufgaben; vgl dazu auch Türk in FS Kirchschläger (1991) 225.
- 32. Bader, Was bedeutet Neutralität? (www.univie.ac.at/dieuniversitaet/2001/wissen).
- 33. Bloß der Adressatenkreis ist ein anderer: Völkerrechtlich ist Österreich zur Einhaltung der sich aus dem Neutralitäts-BVG ergebenden Bindungen gegenüber anderen Staaten verpflichtet; innerstaatlich hingegen sind das Neutralitäts-BVG sowie Art 9a B-VG Staatszielbestimmungen (also Rechtsnormen grundsätzlichen Inhalts), aus denen Bindungen sowohl für die Gesetzgebung als auch für die Vollziehung abzuleiten sind, die aber keine subjektiven Rechte einräumen. (Adamovich/Funk/Holzinger, Österreichisches Staatsrecht, Band 1 (1997) Rz 03.020; Öhlinger, Verfassungsrecht 4 (1999) Rz 90).
- 34. 4 Diese Bestimmung ist z.B. bei der Auslegung einschlägiger einfachgesetzlicher Regelungen zu berücksichtigen, vgl VfSlg 12.465/1990.
- 35. Wobei aber die sich aus dem Neutralitätsstatus Österreichs ergebenden Verpflichtungen besonders zu berücksichtigen sein sollten (RV 1461 BlgNR 13. GP).
- 36. Die einfachgesetzliche Befugnis zum militärischen Einschreiten ergibt sich in diesen Fällen aus § 26 MBG.
- 37. Diese Angaben stammen aus der Beantwortung einer dringlichen Anfrage durch den Bundesminister für Landesverteidigung, 1939/J-BR BR.
- 38. Eine existenzbedrohende Aggression gegen Österreich mit konventionellen Streitkräften ist nur im Falle einer grundlegenden strategischen Veränderung der politischen Lage in Europa denkbar; eine solche hätte nach derzeitigen militärstrategischen Beurteilungen eine Vorlaufzeit von sieben bis zehn Jahren. Vgl dazu die als „Sicherheits- und Verteidigungsdoktrin“ bezeichneten Entschließung AB 939 BlgNR 21. GP.
- 39. www.oevp.at.