1. Einleitung

Kampfflugzeug-Lobbyisten malen Terrorszenarien an die Wand, sollte es nicht demnächst einen Beschluss auf Ankauf von 24 Eurofightern der Marke Typhoon geben; militante Militärflugzeugs-Gegner werten hingegen bereits den Anflug einer Diskussion über Fragen der Landesverteidigung als aggressiven Akt. So unsicher der Ausgang des Entscheidungsprozesses über die Nachbeschaffung von Abfangjägern ist, eines ist sicher: Die Debatte darüber spaltet in Österreich derzeit die Gemüter – im Parlament genauso wie am Wirtshaustisch.

Die Argumente, die dabei ins Spiel gebracht werden, sind vielfältig:

  • Österreich sei in der Bundesverfassung zur Luftraumüberwachung verpflichtet.
  • Österreich könne nicht das einzige Land Europas sein, das seinen Luftraum nicht schützt.
  • Österreich solle seinen Luftraum nicht für Drogentransporte, Waffenschmuggel etc. freigeben.
  • Durch Kompensationsgeschäfte werde ein wirtschaftlicher Impuls ausgelöst.
  • Ohne Abfangjäger wären die bisherigen Investitionen in Milliardenhöhe umsonst.
  • Eine Luftwaffe von Grund auf neu aufzubauen wäre um vieles teurer als jetzt Abfangjäger zu kaufen, die sich auf bestehende Strukturen stützen könnten Contra:
  • In Mitteleuropa gäbe es weit und breit kein Bedrohungsbild, vor dem es sich zu schützen gilt.
  • Solange Österreich seine Sicherheitspolitik nicht genau definiert, mache es keinen Sinn, Unmengen von Budgetmitteln an Abfangjäger zu verschwenden.
  • Wenn es nur um Luftraumüberwachung geht, reiche die Goldhaube1 aus, vor Aggressoren böten auch Abfangjäger keinen Schutz.
  • Der Kauf von Abfangjägern sei wirtschaftspolitischer Schwachsinn und eine Verschwendung von Steuergeld.
  • Die mit dem Abfangjägerkauf verbundenen Gegengeschäfte brächten nicht den Nutzen, den sie versprechen, die diesbezüglichen Vereinbarungen seien intransparent.
  • Bei der Anschaffungspolitik des Bundesheeres würden falsche Prioritäten gesetzt, Transporthubschrauber würden viel dringender gebraucht.
Die Triftigkeit all dieser Argumente auszuloten, würde den Rahmen dieses Beitrags sprengen. Um nicht zu viel Sprengstoff in die Diskussion einzubringen, wollen wir uns auf verfassungs- und völkerrechtliche Aspekte beschränken. Beantwortet werden soll die Frage, ob aus Art 9a B-VG, dem BVG über die Neutralität Österreichs oder der Notifikation dieses BVG an 72 Staaten eine Verpflichtung Österreichs zur umfassenden Luftraumüberwachung resultiert und wenn ja, wie weit diese Verpflichtung geht. Dabei darf freilich nicht vergessen werden, dass die rechtliche Beurteilung der Situation (wenn überhaupt) nur eine Determinante im politischen Entscheidungsprozess sein kann. Sollte eine rechtliche Verpflichtung zum Abfangjägerkauf bestehen, ist noch nichts darüber gesagt, wie viele Flugzeuge welcher Type beschafft werden müssen. Umgekehrt heißt das Nichtbestehen einer rechtlichen Verpflichtung nicht, dass ein Abfangjägerkauf nicht aus außen-, sicherheits-, wirtschaftspolitischen oder anderen Gründen dennoch angebracht sein kann.2
Andererseits ist zu berücksichtigen, dass Argumente, die für politische oder gesamtgesellschaftliche Entscheidungsprozesse relevant sind, auch für die juristische Problemlösung eine Rolle spielen. Denn Recht und Rechtswissenschaft sind Konstrukte gesellschaftlicher Kommunikation; eine strikte Trennung zwischen Tatsachen und Normvorstellungen ist realitätsfremd. Die Geltung des Rechts ist eine soziale Tatsache. Rechtliche Probleme können daher nicht ohne Einbeziehung der sozialen Wirklichkeit gelöst werden.3

 

2. Der Einsatzbereich von Abfangjägern

Abfangjäger sind definiert als Jagdflugzeuge mit guten Steig- und Geschwindigkeitsleistungen zum Abfangen gegnerischer Flugzeuge. Das Einsatzspektrum des von der österreichischen Bundesregierung zum Kauf beschlossenen Eurofighters umfasst im Wesentlichen die Luftraumüberwachung, die Luftverteidigung, die Bekämpfung gegnerischer Luftstreitkräfte am Boden sowie die Unterstützung von Bodeneinsätzen aus der Luft.4 Doch wozu und in welchen Fällen benötigt ein Staat Flugzeuge mit diesem Potenzial?
Ein Element der territorialen Souveränität eines Staates ist die volle und ausschließliche Lufthoheit über seinem Hoheitsgebiet.5Grenzüberflüge ausländischer Flugzeuge sind daher nur mit österreichischer Genehmigung zulässig. Im Linienflugverkehr wird diese Genehmigung idR pauschal durch die Einräumung von Flugverkehrsrechten gewährt.6 Für andere Flüge ist eine individuelle Bewilligungerforderlich.7 Handelt es sich um ausländische Staatsluftfahrzeuge (das sind Luftfahrzeuge, die im Militär-, Zoll- oder Polizeidienst verwendet werden) ist eine sog „diplomatic clearance“ erforderlich.8 Wird diese erteilt, wird dem Halter des Luftfahrzeugs für diesen konkreten Flug ein (geheimer) Nummerncode bekannt gegeben. Nähert sich ein Flugzeug der österreichischen Grenze, nimmt die Flugsicherungsbehörde automatisch Funkkontakt mit diesem auf, um es durch den österreichischen Luftraum zu lotsen. Im Zuge dessen hat sich der Pilot durch Bekanntgabe der Flugnummer (bei Linienflügen) und des Codes zu identifizieren. Ist die Aufnahme von Funkkontakt – aus welchen Gründen immer – nicht möglich, kann durch Radar9 in vielen Fällen dennoch eine Identifikation vorgenommen werden. Ein Transponder an Bord des Flugzeugs sendet elektromagnetische Impulse (eine Art Antworttelegramm) aus, an Hand derer die Radarstation erkennen kann, um welche Art von Luftfahrzeug es sich handelt.
Nähert sich ein Flugzeug der österreichischen Grenze, das weder durch Funkkontakt noch durch Radar identifiziert werden kann10, ist anzunehmen, dass es unberechtigt in österreichischen Luftraum eindringen will. Das Gleiche gilt, wenn ein Flugzeug keine Einflugsgenehmigung besitzt und trotz Abmahnung durch die Flugsicherungsbehörde auf österreichischen Luftraum zusteuert. In diesen Fällen wird ein „Abfang“ eingeleitet, d.h. zwei Abfangjäger steigen auf, versuchen, das Flugzeug zu identifizieren und zur Grenze zu geleiten.11 Nur wenn dies nicht gelingt, wird das fremde Flugzeug zur Landung gezwungen.
Zur Abwehr einer größeren Zahl feindlicher Luftfahrzeuge, also zum Luftkrieg, eignen sich Abfangjäger (zumindest in der für Österreich diskutierten Größenordnung) hingegen nicht.12

 

3. Völkerrecht

Völkerrechtlich ist die Frage nach einer Notwendigkeit der Luftraumsicherung durch Abfangjäger an zwei Topoi festzumachen: Der staatlichen Souveränität und der dauernden Neutralität.

 

3.1. Souveränität

Das Staatsgebiet ist neben dem Vorhandensein einer Staatsgewalt und eines Staatsvolkes ein wesentliches Element für das Bestehen eines Staates. Der Staat übt auf seinem Territorium (wozu auch der Luftraum gehört) eine von anderen Staaten unabhängige Hoheitsgewalt aus; er ist in diesem Bereich souverän.

Folge der territorialen Souveränität ist, dass alle Individuen, die sich auf dem Gebiet eines Staates aufhalten, der Hoheitsgewalt dieses Staates unterworfen sind. Die Souveränität beinhaltet auch das Recht eines Staates, zu bestimmen, unter welchen Voraussetzungen Fremde sein Staatsgebiet betreten dürfen.13 Im gegebenen Zusammenhang bedeutet dies, dass der österreichische Staat das Recht hat, zu regeln, welche Flugzeuge in den österreichischen Luftraum einfliegen dürfen und wie sich fremde Flugzeuge in österreichischem Luftraum zu verhalten haben.

Davon zu unterscheiden ist die Möglichkeit des Staates, die von ihm gesetzten Regeln auch durchzusetzen. Oder anders gefragt: Führt die fehlende Sanktionierbarkeit von Verstößen ausländischer Flugzeuge gegen das österreichische Lufthoheitsregime zu einem Geltungsverlust dieser Regeln? Und weiter gefragt: Führt ein Geltungsverlust dieser Regeln zu einem partiellen Souveränitätsverlust? Und schließlich: Gibt es für einen Staat eine völkerrechtliche Verpflichtung, seine Staatlichkeit aufrecht zu erhalten?

Über die erste Frage lässt sich streiten. Geht man davon aus, dass die zwangsweise Durchsetzbarkeit ein konstitutives Merkmal des Rechtsbegriffes ist, müsste man sie bejahen und einen teilweisen Geltungsverlust annehmen. Es spricht jedoch vieles dafür, dass die Geltung des Rechts nicht vorwiegend auf Sanktionseffektivität (Androhung und Anwendung von Zwang), sondern auf Befolgung kraft Rechtsüberzeugung beruht.14 Das würde bedeuten, dass die Nichtsanktionierbarkeit der österreichischen Grenzüberflugsregeln nicht dazu führt, dass diese Regeln per se in Frage gestellt werden. Ein partieller Souveränitätsverlust wäre demnach erst dann gegeben, wenn andere Staaten nicht mehr davon überzeugt wären, dass das Beachten dieser Grenzüberflugsregeln geboten und richtig ist.
Die zweite Frage ist jedenfalls zu verneinen. Solange die Verletzung der österreichischen Lufthoheit als völkerrechtswidriger Akt gesehen wird, schließt der Grundsatz der Nichtanerkennung gewaltsamer Gebietsveränderungen einen Souveränitätsverlust Österreichs über seinen Luftraum aus.15
Auch die dritte Frage ist zu verneinen: Die Souveränität eines Staates über sein Hoheitsgebiet ist ein Element seiner Staatlichkeit; aus ihr lassen sich aber unmittelbar keine Pflichten ableiten. Die Souveränität ist (implizites oder explizites) Tatbestandsmerkmal der meisten völkerrechtlichen Normen; eine völkerrechtliche Regelung, die eine Pflicht zur Selbstverteidigung statuiert, existiert jedoch – im Gegensatz zum Selbstverteidigungsrecht16 – nicht.
Aus der Souveränität lässt sich somit für die Frage nach der Notwendigkeit einer Luftraumüberwachung nichts gewinnen.17

 

3.2. Neutralität

Die völkerrechtliche Verpflichtung Österreichs zu dauernder Neutralität resultiert aus der Notifikation des BVG vom 26. Oktober 1955 über die Neutralität Österreichs an über 70 Staaten und deren ausdrücklichen oder stillschweigenden Anerkennung.18

Art I Abs 1 des Neutralitäts-BVG lautet: „Zum Zwecke der dauernden Behauptung seiner Unabhängigkeit nach außen und zum Zwecke der Unverletzlichkeit seines Gebietes erklärt Österreich aus freien Stücken seine immerwährende Neutralität. Österreich wird diese mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln aufrechterhalten und verteidigen.“

Die immerwährende Neutralität ist ein völkerrechtlicher Status; das Neutralitätsgesetz verweist somit auf das Völkerrecht als der Rechtsordnung, die den Inhalt dieses Status bestimmt.19
Der Inhalt der völkerrechtlichen Neutralitätsregeln ergibt sich aus dem Haager Neutralitätsrecht und aus den Orientierungen, die sich dazu in der Schweizer Praxis entwickelt haben. Ein neutraler Staat darf demnach weder direkt an Kriegen teilnehmen noch Krieg führende Staaten militärisch unterstützen. Er darf sein Staatsgebiet nicht zu militärischen Zwecken zur Verfügung stellen und hat die Unverletzlichkeit desselben gegen Angriffe von außen zu verteidigen. Schließlich darf er keinem militärischen Bündnis beitreten.20
In Friedenszeiten ist ein dauernd neutraler Staat dazu verpflichtet, das Vertrauen anderer Staaten auf ein neutrales Verhalten im Kriegsfall – oder, mit anderen Worten, auf die allfällige Anwendung des im Kriegsfall geltenden Neutralitätsrechts – zu schützen.21
Eine Pflicht zur Luftraumsicherung könnte aus dem Gebot der Unverletzlichkeit des Hoheitsgebiets des Neutralen abzuleiten sein. Denn grundsätzlich darf der neutrale Staat nicht dulden, dass die Konfliktparteien militärische Aktionen irgendwelcher Art auf seinem Hoheitsgebiet oder von seinem Hoheitsgebiet aus durchführen.22 Jeder angrenzende Staat muss sicher sein, dass das neutrale Gebiet im Falle eines Krieges nicht in den Machtbereich des Gegners fällt. Dieses Gebot bezieht sich auch auf die Lufthoheit. Der Neutrale ist daher berechtigt und im Rahmen des Zumutbaren verpflichtet, Verletzungen seines Luftraums abzuwehren.23 Krieg führende Luftfahrzeuge, die neutralen Luftraum verletzen, sollten vom Neutralen (notfalls mit Gewalt) zur Landung gezwungen werden.24
Eine umfassende Luftraumsicherung erwies sich jedoch schon im Zweiten Weltkrieg als undurchführbar. Grund dafür waren die Erhöhung der Geschwindigkeit der Flugzeuge, die Verbesserung ihres Schutzes gegen Angriffe, ihr Auftreten in riesigen Geschwadern mit Jägerschutz sowie die im Verhältnis zu den Krieg Führenden unzulänglichen Mittel der Neutralen. Mit zunehmendem technischen Fortschritt hat sich die Situation noch weiter verschlechtert: Raketen oder Marschflugkörper (cruise missiles) zur Landung zu zwingen ist technisch unmöglich. Ihre Abhaltung und Vernichtung ist – aufgrund kurzer Vorwarnzeiten und kurzer Überflugszeiten – selbst mit entsprechenden Geräten praktisch unmöglich. Als 1990 während der Aktion der Vereinten Nationen gegen den Irak dieser SCUD-Raketen gegen Israel abfeuerte, hat niemand mehr erwartet, dass die überflogenen und in diesem Konflikt „neutralen“ Staaten Syrien und Jordanien die Raketen in der Luft zerstören könnten.25

Zemanek geht daher davon aus, dass durch die Erwartungsminderung eine Änderung des Völkergewohnheitsrechts der Luftneutralität eingetreten ist. Folgt man dieser Ansicht, so sind auch an die Verteidigungsfähigkeit des Luftraums geringere Ansprüche zu stellen.

Zu beachten ist außerdem, dass gerade das völkerrechtliche Neutralitätsrecht ein dynamisches Rechtsgebiet ist, das in hohem Maß gewohnheitsrechtlich geprägt ist. Die Schweiz und Österreich sind die einzigen Staaten in Europa, die sich zu dauernder Neutralität verpflichtet haben.26 Dementsprechendes Gewicht hat das Neutralitätsverständnis Österreichs für die Fortentwicklung des völkergewohnheitsrechtlichen Neutralitätsrechts.27 Die opinio iuris, also die Überzeugung darüber, was neutralitätsrechtlich geboten ist, hat sich in Österreich seit dem Abschluss des Staatsvertrages stark verändert.28 Die österreichische Neutralitätspolitik hat sich auch schon sehr früh vom expliziten Vorbild der Schweiz unterschieden.29 Ein Vergleich der österreichischen Verteidigungsanstrengungen mit denen der Schweiz ist daher wenig zielführend.30 Österreich sollte sich vielmehr bewusst sein, dass es in seinem Gestaltungsspielraum liegt, das Schwergewicht seiner Neutralitätspolitik auf die Übernahme friedensstiftender und -erhaltender Funktionen31 zu legen und so eine Entwicklung des Neutralitätsrechts in Richtung eines Unabhängigkeits- und Friedensrechts zu beeinflussen. Gerade neutrale Staaten scheinen heute dazu prädestiniert, die Förderung von Dialogbereitschaft sowie die Verrechtlichung internationaler Konfliktaustragung voranzutreiben.32

Zusammenfassend lässt sich daher sagen, dass Österreich neutralitätsrechtlich verpflichtet ist, die in seinem Rahmen zumutbaren Aktivitäten zur Verteidigung seines Luftraums zu setzen. Dass Abfangjäger im Falle des Eindringens fremder Kampfflugzeuggeschwader in österreichischen Luftraum irgendetwas ausrichten könnten, darf jedoch stark bezweifelt werden.

 

4. Verfassungsrecht

Das völkerrechtlich zur Neutralität Gesagte gilt, da das Neutralitäts-BVG auch (bzw. in erster Linie) eine Verfassungsrechtsquelle ist, gleichermaßen für die verfassungsrechtliche Beurteilung der Frage nach der Notwendigkeit einer Luftraumsicherung.33 Darüber hinaus ist innerstaatlich Art 9a Abs 1 B-VG zu beachten. Hier heißt es: „Österreich bekennt sich zur umfassenden Landesverteidigung. Ihre Aufgabe ist es, die Unabhängigkeit nach außen sowie die Unverletzlichkeit und Einheit des Bundesgebietes zu bewahren, insbesondere zur Aufrechterhaltung und Verteidigung der immerwährenden Neutralität. (...)“34 Bei Erlassung dieser Bestimmung war ein klares Bekenntnis zur Landesverteidigung auch außerhalb der einem neutralen Staat obliegenden Aufgaben für notwendig erachtet worden.35
Aus Art 9a B-VG folgt, dass militärisches Einschreiten grundsätzlich in folgenden Fällen geboten ist36:
  • wenn fremde Flugzeuge kriegerische Absichten gegen Österreich hegen,
  • wenn sich fremde Flugzeuge, die sich in österreichischem Luftraum befinden, nicht identifizieren lassen und nicht klar ist, ob es sich um Militärflugzeuge handelt,
  • wenn österreichischer Luftraum für kriegerische Kampf- oder Vorbereitungsmaßnahmen fremder Staaten missbraucht wird.

Andererseits lässt sich aus dem Bekenntnis zur umfassenden Landesverteidigung nicht die Pflicht ableiten, alles Denkmögliche zu unternehmen, um fremdes Eindringen in den österreichischen Luftraum zu verhindern. Art 9a B-VG steht als Staatszielbestimmung unter einem Zumutbarkeitsvorbehalt. Fraglich ist daher, welche Anstrengungen konkret eingegangen werden müssen, damit der österreichische Luftraum nicht zum Tummelplatz fremder Kampfflugzeuge wird. Zur Beantwortung dieser Frage kann ein Blick auf die empirischen Gegebenheiten hilfreich sein.

In den Jahren 1996–2001 wurden insgesamt 67 Einsätze mit Abfangjägern geflogen. Davon sind in 19 Fällen Rückfrageergebnisse erst nach dem Start eingetroffen, sodass der Flug meist vorzeitig beendet werden konnte. In den übrigen 48 Fällen kam es zu Identifizierungen der fremden Flugzeuge, wobei es in keinem Fall erforderlich war, ein Flugzeug, das den österreichischen Luftraum verletzt hat, zur Landung zu zwingen.37

Wie viele dieser Einsätze militärisch erforderlich waren und wie viele luftfahrtpolizeilichen Charakter hatten, lässt sich dem Zahlenmaterial nicht entnehmen. Verfassungsrechtlich relevant ist diese Unterscheidung insoweit, als es für die bloße Luftfahrtpolizei keinen Verfassungsauftrag gibt. Welcher Aufwand zur Gewährleistung der zivilen Rechtsbefolgung, also der „Verkehrssicherheit“ im Luftraum, betrieben wird, ist somit eine rein politische – und keine verfassungsrechtliche – Frage. Ob für die wenigen Fälle militärischen Einschreitens ein Aufwand in Höhe des kolportierten Kaufpreises von 1,8 Milliarden Euro für 24 Eurofighter zumutbar ist, ist jedenfalls diskutierbar.

 

5. Zusammenfassung

Zusammenfassend ist daher festzuhalten, dass es ein verfassungsrechtliches und völkerrechtliches Gebot zu einer angemessenen Luftraumverteidigung gibt. Wie eine angemessene Luftraumsicherung auszusehen hat, wird durch verschiedene Faktoren bestimmt, die sich in der Art eines beweglichen Systems wechselseitig beeinflussen. Zu diesen Faktoren gehören die außenpolitische Lage, die technischen Möglichkeiten, das militärstrategische Klima sowie die Budgetsituation. So wird es in Zeiten wirtschaftlicher Hochkonjunktur und instabiler Sicherheitslage schwerer zu rechtfertigen sein, keine aktive Luftraumüberwachung zu betreiben. Bewaffnete Konflikte, durch die Österreich betroffen sein könnte, sind allerdings derzeit sehr unwahrscheinlich.38
Zu beachten ist weiters, dass die Aufrechterhaltung äußerer Sicherheit nur eine von zahlreichen Staatsaufgaben ist. Die pathetische Formel „Sicherheit ist nicht alles, aber ohne Sicherheit ist alles nichts“39 lässt sich auch mit den Variablen Gesundheit, Umweltschutz oder Grundsicherung füllen. Dass der Staat die lückenlose und umfassende Bewältigung sämtlicher Aufgaben nicht garantieren kann, liegt auf der Hand. Die Entscheidung darüber, welcher Stellenwert den einzelnen Aufgaben zu einem bestimmten Zeitpunkt eingeräumt wird, ist letztlich Sache der Politik und sollte auch als solche deklariert werden. Der Bevölkerung die Notwendigkeit von Abfangjägern unter dem Deckmantel des verfassungsrechtlichen Erfordernisses zu verkaufen ist jedoch schlichtweg unseriös.
  • 1.  Das Radarsystem „Goldhaube“ besteht aus mehreren ortsfesten Großraumradarstationen und mobilen 3 D-Radarstationen, die ihre Beobachtungen und Informationen in eine durchgehend besetzte Einsatzzentrale einspeisen. „Goldhaube“ ist der passive Teil des Luftüberwachungssystems, die aktive Komponente wird derzeit durch die schwedischen Abfangjäger Saab 35 OE „Draken“ wahrgenommen. Dazu Näheres unter www.bmlv.gv.at.
  • 2.  Ein Verbot des Ankaufs von Abfangjägern aus der Bundesverfassung (insbes. aus dem Grundrecht auf Eigentum) abzuleiten ist jedenfalls reiner Populismus. Eine allfällige Fehlinvestition von Steuergeldern hat die Bundesregierung politisch zu verantworten und nicht vor den Höchstgerichten zu rechtfertigen (vgl Strejcek, Die Irrtümer des Herrn Z., Der Standard, 26. 8. 2002).
  • 3.  Zu diesem rechtstheoretischen Ansatz vgl Funk, Abbildungs- und Steuerungsleistungen der Rechtswissenschaft, in FS Adamovich (2002) 111; Funk, Rechtswissenschaft als Erkenntnis und kommunikatives Handeln, dargestellt anhand von Entwicklungen in der Staatsrechtslehre, JRP 2000, 65.
  • 4.  Vgl www.eads.com.
  • 5.  Diese ist sowohl völkergewohnheitsrechtlich verankert als auch in Art 1 des Chicagoer Abkommens (Abkommen über die Internationale Zivilluftfahrt BGBl 1949/97) kodifiziert.
  • 6.  § 3 BG über den zwischenstaatlichen Luftverkehr 1997 (BGBl I 1997/101).
  • 7.  Vgl § 8 Abs 2 Luftfahrtgesetz sowie die darauf beruhende Grenzüberflugsverordnung (BGBl 1987/249 idF 1992/103).
  • 8.  Diese auf diplomatischem Weg einzubringende Bewilligung wird von der Austro Control GmbH mit Zustimmung des BMLV (bei Militärflugzeugen) oder des BMI (bei anderen Staatsluftfahrzeugen) erteilt (§ 2 Grenzüberflugsverordnung).
  • 9.  Die Goldhaube erfasst Luftraumbewegungen bis 400 km vor der österreichischen Grenze. Das Argument, dass ein fremdes Flugzeug Österreich längst überflogen hätte, bevor Abfangjäger überhaupt in der Luft seien, ist somit unzutreffend.
  • 10.  Das Aussenden eines Transpondersignals lässt sich bewusst unterdrücken.
  • 11.  Die Ermächtigung hierzu bietet § 26 Militärbefugnisgesetz iVm § 145 LFG.
  • 12.  Es ist illusorisch, anzunehmen, ein Kleinstaat wie Österreich könnte in einem Luftkampf überhaupt bestehen. Vgl dazu Korkisch, Der Paradigmenwechsel im Luftkrieg (ÖMilZ 5/2002): „Im Luftkrieg dominiert, wer zur Offensive fähig ist. In der Defensive eingesetzte Jagdflugzeuge werden nicht mehr für den Ausgang der eigenen Luftoperation entscheidend. Die Aufrechterhaltung der Luftüberlegenheit gegenüber einem offensiven Gegner erfordert hohe Quantitäten; für den Verteidiger sind hohe Stückzahlen wichtiger als für den Angreifer, der heute durch eine leichte Überlegenheit der Angriffstechnologien gegenüber den Abwehrtechnologien bevorzugt wird.“
  • 13.  Ipsen, Völkerrecht4 (1999) § 23 Rz 4.
  • 14.  Funk in: FS Adamovich (2002) 117.
  • 15.  Vgl dazu Ipsen, Völkerrecht4 (1999) § 23 Rz 44.
  • 16.  6 Art 51 UN-Charta.
  • 17. Anderer Ansicht das BMLV (vgl www.bmlv.gv.at/abfangjaeger).
  • 18.  Insoweit herrscht in der Literatur weitgehend Einigkeit; vgl ausführlich Cede, Österreichs Neutralität und Sicherheitspolitik nach dem Beitritt zur Europäischen Union, ZfRV 1995, 142; vgl auch Schneider, Österreich, das neue Europa – und die Neutralität, in Krejci/Reiter/Schneider, Neutralität. Mythos und Wirklichkeit (1992) 53 (55 ff).
  • 19.  Wobei zu beachten ist, dass Art 9 Abs 1 B-VG das jeweils geltende Völkergewohnheitsrecht in die österreichische Rechtsordnung inkorporiert; vgl Loebenstein, Die allgemein anerkannten Regeln des Völkerrechtes und das staatliche Verfassungsrecht, in Mock/Schambeck, Verantwortung in unserer Zeit, FS Kirchschläger (1991) 143 (149); Zemanek, Ändert sich das völkerrechtliche Neutralitätsrecht und mit ihm die österreichische Neutralität? ÖJZ 1992, 177 (178).
  • 20.  Vgl Cede, ZfRV 1995, 142.
  • 21.  Türk, Die europäischen Neutralen und die Europäische Gemeinschaft, in FS Kirchschläger (1991) 221 (224 f); Zemanek, ÖJZ 1992, 177f mwH; Cede, Österreichs Neutralität und Sicherheitspolitik nach dem Beitritt zur Europäischen Union, ZfRV 1995, 142. In der früheren Literatur waren noch wesentlich umfassendere „Vorwirkungen“ dauernder Neutralität – iSv Rechtspflichten eines dauernd neutralen Staats in Friedenszeiten – angenommen worden; vgl z.B. Verosta, Die dauernde Neutralität, in: Verhandlungen des dritten Österreichischen Juristentages 1967, 66 ff; Schweitzer, Dauernde Neutralität und europäische Integration (1977) 137 ff.
  • 22.  Art 2–4 des V. Haager Abkommen betreffend die Rechte und Pflichten der neutralen Mächte und Personen im Falle eines Landkrieges.
  • 23.  Ipsen, Völkerrecht4 (1999) § 72, Rz 18 und 20.
  • 24.  Ansonsten dürfte der benachteiligte Staat Selbsthilfemaßnahmen ergreifen, die den neutralen Staat in einen Krieg verwickeln und damit seine Neutralität beenden könnten (Hummer, Der internationale Status Österreichs seit 1918, in Neuhold/Hummer/Schreuer, Österreichisches Handbuch des Völkerrechts3 (1997) Rz 2784).
  • 25.  Zemanek, ÖJZ 1992, 180.
  • 26.  Von der völkerrechtlich verbindlich erklärten dauernden Neutralität zu unterscheiden ist die Neutralität im politischen Sinne (oder faktische Neutralität). Sie stellt lediglich die Entschlossenheit eines Staates dar, sich in Zeiten politischer Spannungen keiner der streitenden Parteien anzuschließen, sondern sich die Freiheit seiner außenpolitischen Entscheidung zu bewahren. Faktisch neutral sind etwa Schweden und Finnland. Vgl dazu Gehler, Finis Neutralität? (www.zei.de).
  • 27.  Bezeichnend ist jedenfalls, dass gerade jene politischen Kräfte, die außenpolitisch immer für eine restriktive Interpretation der Neutralitätspflichten, also deren Reduktion auf den harten Kern (sog. Avocadotheorie) eingetreten sind, nun in der innenpolitischen Diskussion mit einem umfassenderen Neutralitätsbegriff argumentieren.
  • 28.  Als Beispiel seien genannt: der Auffassungswandel hinsichtlich der Vereinbarkeit eines EG-Beitritts mit der Neutralität, das Verhalten Österreichs im zweiten Golfkrieg 1991 (Österreich hat damals fremden Streitkräften auf der Grundlage von Resolutionen des Sicherheitsrates Überflugs-und Durchfuhrgenehmigungen erteilt) sowie die vorbehaltlose Mitwirkung an der Gemeinsamen Außen-und Sicherheitspolitik der EU durch Ratifizierung des Vertrags von Amsterdam. Vgl dazu die Darstellung bei Cede, ZfRV 1995, 142; Hummer in Neuhold/Hummer/Schreuer, Österreichisches Handbuch des Völkerrechts3 (1997) Rz 2798.
  • 29.  So ist Österreich bereits 1955 der UNO beigetreten, während die Schweiz einen UNO-Beitritt lange mit seiner Neutralität als unvereinbar erachtete und erst 2002 der UNO beitrat.
  • 30.  Die Verteidigungsanstrengungen Österreichs, die von Anfang an durch die Rüstungsbeschränkungen des Staatsvertrages limitiert waren, ließen sich von jeher weder absolut noch verhältnismäßig mit jenen der umliegenden Staaten vergleichen (Zemanek, ÖJZ 1992, 177).
  • 31.  ZB Vermittlung zwischen Krieg führenden Staaten, peace-keeping, Beherbergung von Internationalen Organisationen, Übernahme humanitärer Aufgaben; vgl dazu auch Türk in FS Kirchschläger (1991) 225.
  • 32.  Bader, Was bedeutet Neutralität? (www.univie.ac.at/dieuniversitaet/2001/wissen).
  • 33.  Bloß der Adressatenkreis ist ein anderer: Völkerrechtlich ist Österreich zur Einhaltung der sich aus dem Neutralitäts-BVG ergebenden Bindungen gegenüber anderen Staaten verpflichtet; innerstaatlich hingegen sind das Neutralitäts-BVG sowie Art 9a B-VG Staatszielbestimmungen (also Rechtsnormen grundsätzlichen Inhalts), aus denen Bindungen sowohl für die Gesetzgebung als auch für die Vollziehung abzuleiten sind, die aber keine subjektiven Rechte einräumen. (Adamovich/Funk/Holzinger, Österreichisches Staatsrecht, Band 1 (1997) Rz 03.020; Öhlinger, Verfassungsrecht 4 (1999) Rz 90).
  • 34.  4 Diese Bestimmung ist z.B. bei der Auslegung einschlägiger einfachgesetzlicher Regelungen zu berücksichtigen, vgl VfSlg 12.465/1990.
  • 35.  Wobei aber die sich aus dem Neutralitätsstatus Österreichs ergebenden Verpflichtungen besonders zu berücksichtigen sein sollten (RV 1461 BlgNR 13. GP).
  • 36.  Die einfachgesetzliche Befugnis zum militärischen Einschreiten ergibt sich in diesen Fällen aus § 26 MBG.
  • 37.  Diese Angaben stammen aus der Beantwortung einer dringlichen Anfrage durch den Bundesminister für Landesverteidigung, 1939/J-BR BR.
  • 38.  Eine existenzbedrohende Aggression gegen Österreich mit konventionellen Streitkräften ist nur im Falle einer grundlegenden strategischen Veränderung der politischen Lage in Europa denkbar; eine solche hätte nach derzeitigen militärstrategischen Beurteilungen eine Vorlaufzeit von sieben bis zehn Jahren. Vgl dazu die als „Sicherheits- und Verteidigungsdoktrin“ bezeichneten Entschließung AB 939 BlgNR 21. GP.
  • 39.  www.oevp.at.
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VAss. MMaga. Daniela Tomasovsky ist Assistentin am Institut für Staats- und Verwaltungsrecht der Universität Wien.