Am Montag, den 17. September dieses Jahres, wurden die 16 Mitarbeiterinnen des Instituts für Sozio-ökonomische Entwicklungsforschung (ISEF) an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) von ihrem Arbeitsplatz ausgesperrt. Die Schlösser waren ausgetauscht, und ein Zettel mit der Unterschrift des Akademiepräsidenten machte klar: Man verzichte bis auf Weiteres auf ihre Mitarbeit. Mühseliges Nachfragen brachte zu Tage, es hätte "Veruntreuungen in großem Stile" gegeben, wahrscheinlich "bis in Millionenhöhe". Hatte der Direktor etwas mit seiner Privatfirma ESRI getrickst, die er anlässlich seines Amtsantritts aufgegeben haben soll? Hatte er sich vielleicht gar übers Wochenende am Institut umgebracht? Nichts von alledem. Er selbst hatte die Dinge ins Rollen gebracht: Man hätte an seinen Millionen-DM-Programmen manipuliert. Die Mitarbeiter seien auch noch weiterhin in der Lage, über das (seit Monaten defekte) Modem zwecks Vertuschung dieser Delikte in die Instituts-EDV einzudringen, hätten dies gar in der Nacht von Freitag auf Samstag bereits erfolgreich versucht, und es bestünde daher insgesamt Gefahr im Verzug. Mit einem gleichlautenden Gutachten eines selbsternannten "Computerexperten" überzeugte Direktor Wolf-Dieter Grossmann den Präsidenten der Akademie. Die Stecker der EDV wurden gezogen, und der brisante Kram wurde ins Hauptgebäude der Akademie verbracht. Zu diesem Zeitpunkt schaltete sich der Betriebsrat ein und verlangte, bei der Untersuchung beigezogen zu werden. Zudem seien als "privat" gekennzeichnete Dokumente auch als solche zu respektieren (es wurde auf Briefgeheimnis und DSG verwiesen) bzw. nur in Anwesenheit der Besitzer zu öffnen. Mit diesem ungehörigen Ansinnen wurde er zunächst strengstens in die Ecke verwiesen; immerhin wurde dann jedoch gnadenhalber das Beisein eines Betriebsrats bei der "Öffnung" der Geräte gestattet. (Später wurde er ausgleichshalber für die Eskalation der Ereignisse verantwortlich gemacht!)
In der Akademie waren inzwischen eilends herbeigerufene akademieeigene EDV-Experten nicht in der Lage, einen Drucker anzuschließen, sodass man dazu überging, verdächtige Dateien mittels Polaroid-Kamera vom Bildschirm abzulichten. Nach einigen Dutzend Fotos wurde festgestellt, dass man vergessen hatte, die Bezeichnungen der Dateien zu protokollieren, worauf Direktor Grossmann endlich mit einem Stapel von Kopien zu Hilfe kam, die er ohnehin bereits früher in heimlicher Nachtarbeit ausgedruckt hatte. Der verdächtige Inhalt: "Dokumente mit Flugblatt- und Aufrufcharakter, z.T. in mehreren Sprachen und mit Impressum (sic!) von Parteien und Vereinigungen"! Nichts mehr von Manipulationen, aber möglicherweise waren die Flugblätter ja auf dem Institutskopierer kopiert worden, vielleicht sogar 1000 Stück je Vorlage, und Grossmann hatte ja immerhin 120 Seiten ausgedruckt... (der Kopiererstand für 1990 beläuft sich allerdings nur auf 90000 Kopien, die alle durch Projektberichte und Aussendungen belegbar sind). Oder hatten die 120 Seiten die EDV-Benutzung des ISEF so behindert, dass keine Institutsarbeit mehr möglich war? (Tatsächlich stellt der entsprechende Speicherbedarf etwa ein halbes Promille der am Institut verfügbaren Festplattenkapazität dar.) Was schließlich übrig blieb, war die verdächtige Tatsache, dass einige Dokumente - gerade die in mehreren Sprachen verfassten - das Impressum der "Grünen" im 4., 5. und 6. Bezirk trugen, in deren Lokal zahlreiche Ausländerinitiativen ihren Unterschlupf gefunden haben. Und dann noch der Brief eines Kollegen an das ZK der KPO, aus dem man messerscharf auf dessen Parteimitgliedschaft schloss.
Umgehend griff man zum Einschreibebrief und entließ beide Mitarbeiter fristlos. In der darauffolgenden Nacht vergaß man in der Eile, den Raum mit dem belastenden Material zu versperren, und erklärte dies am nächsten Morgen kurzerhand zum Einbruch. Sämtliche Türen und Schlösser waren jedoch unversehrt, der Einbruchsverdacht samt dazugehörigem Polizeieinsatz musste abgeblasen werden. Dafür räumte die Staatspolizei auf Anweisung des inzwischen für seine individuelle Rechtsauslegung einschlägig bekannten Journalrichters Peter Seda die Büros des noch immer versperrt vor sich hin träumenden ISEF; Begründung: Gefahr im Verzug! Die Mitarbeiterinnen hatten nämlich das Ansinnen geäußert, wenigstens ihre privaten Dinge (z.B. Adresskarteien, Bausparverträge, ...) und die für termingebundene Projekte notwendigen Unterlagen abzuholen. (Welche ausländische Uni rechnet schon damit, dass bei den Projektpartnern die StaPo dauernd alles wegführt?) Dem wurde die Akademieleitung jedoch rasch durch eine Strafanzeige zuvorgekommen. Seitdem sind nicht nur die Computer weg, sondern auch die Abrechnungen, private Kontoauszüge, die Betriebsratskorrespondenz, etc.
Was war wirklich geschehen? Da ist ein Institut, das in der 17-jährigen Zeit seines Bestehens immer aus der Reihe getanzt ist: Gesellschaftspolitische Anliegen an einer ansonsten "wertfrei" vor sich hin forschenden ÖAW. Der Stellung des Betriebsratsvorsitzenden, der in schöner Regelmäßigkeit, bereit sein einmal Streit mit einem von außen vorgesetzten Direktor... Da ist ein neuer Direktor - von Seiten der Mitarbeiterinnen nach erfolgreich durchgestandenem Konflikt mit seinem Vorgänger mit einigen Vorschusslorbeeren bedacht - der zunächst die Beteiligung des "Mitarbeiterinnen-Wunschkandidaten" und Institutsgründers Peter Fleissner an der Institutsleitung versprochen hatte und dies dann ebenso schnell wieder vergaß, wie er es versprochen hatte. Auch seine wissenschaftliche Arbeit reißt niemanden so recht vom Hocker, und hinsichtlich seiner eher esoterischen Auslandsreisen fühlt er sich erst recht missverstanden. Seinen Groll über die ganze ihm zugefügte Verkennung äußert er aber nie in den institutsinternen Gremien - im Gegenteil; er lobt die Institutsarbeiten und die Mitarbeiterinnen über den grünen Klee - sondern nur gegenüber der Raumpflegerin und der Personalreferentin. Als Mitarbeiterinnenliebling Fleissner - nach einigem Hin und Her mit dem von ihm angefeindeten Kurt Waldheim - endlich sein Ordinariat an der TU Wien antreten kann und so die Geldmittel für drei weitere Festanstellungen am Institut frei werden (2/3 der Mitarbeiterinnen werden über projektgebundene Werkverträge in prekären Arbeitsverhältnissen gehalten), sieht Grossmann die Chance seines Lebens gekommen und rennt zum Kadi. Er wünscht sich gefügigere Untergebene.
Ein ältlicher amerikanischer Professor, Biologe und selbsternannter Computerexperte (Spezialgebiete: Satanismus, Zusammenhang von Fertilität und Romantik), dem mangels Kenntnis des Textprogramms ständig die Texte verloren gehen (dies die Begründung für den Verdacht der Sabotage an den Programmen des Direktors, für die sich leider nie wer interessiert hat!), spielt den Kronzeugen...
Die ÖAW-Leitung beobachtet diese Entwicklung mit Wohlgefallen. Flugs wird eine Strafanzeige gebastelt und durch einen privaten Anwalt eingebracht. (Er musste sich übrigens später aufgrund massiver Kritik seitens des Bundesministeriums für Wissenschaft und Forschung und erst im Nachhinein durch die eigentlich zuständige Finanzprokuratur in seiner Vorgehensweise legitimieren lassen.) Die Strafanzeige wiederum gliedert sich nach den Inhalten der sichergestellten EDV-Dokumente in einzelne Kapitel; das erste davon ist mit "KPÖ und Grüne" übertitelt, was - auch nach Auffassung des Journalrichters - umgehend die StaPo auf den Plan rufen muss!
Dass die ganze Angelegenheit auf Direktor Grossmann zurückfallen müsste - er hat nachweislich immer davon gewusst, dass die Mitarbeiterinnen die Instituts-EDV und das Kopiergerät auch privat verwenden, und hat dies auch mehrfach angesichts der zeitweisen Arbeitsbelastung, flexiblen Zeiteinteilung und der Tatsache, dass auch private PCs für die Arbeit eingesetzt wurden, gutgeheißen - stört wenig, ja kann sogar nützlich sein: Direktor Grossmann ist ja nur leitender Angestellter, seine Auslegungen der Institutsordnung sind für die ÖAW-Leitung ohnehin nicht bindend, und die kann dann ja entlassen, wen sie will! Überhaupt zeigt sich die ÖAW von den Ereignissen getroffen wieder Hase vom Schrot: Sie sei nur nach bestem (Ge)wissen vorgegangen; die StaPo sei nur aufgrund des nächtlichen "Einbruchs" auf den Plan getreten; und überhaupt sei der Akademieleitung das alles recht unangenehm, aber schließlich hätte der Betriebsrat die Untersuchungen behindert, und so müssten jetzt die Gerichte alles klären, worauf die ÖAW wiederum keinen Einfluss mehr habe...
Die StaPo ihrerseits - sie heißt übrigens seit einiger Zeit korrekterweise "Abteilung I" (d.h. es gibt sie genaugenommen gar nicht!) - hat ihrerseits ein gefundenes Fressen: Einer der fristlos entlassenen Mitarbeiter war als Mitglied des "Siebener-Rates" der Hausgemeinschaft Aegidi/Spalo an den Verhandlungen mit der Gemeinde Wien beteiligt gewesen, hatte im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales AMV 1(u.a. auch dieser Gruppe beraten), hatte zahlreiche Kundgebungen von Ausländerinnen angemeldet (Themen: Ausländerinnen-Wahlrecht, Polinnen-Visum, etc.), war Mitinitiator der Aktion Grenzenlos, und, und... Natürlich wird da eine Behörde mit Ermittlungen beauftragt, die ohnehin schon ermittelt. Und in ein Akademie-Institut kommt man ja sonst nicht so leicht hinein. (Seinen "StaPo-Akt" hat der Betroffene übrigens trotz Urgenz noch nicht bekommen!)
Eigentlich hätte man das Institut ja am liebsten gleich geschlossen. Solidarischer Protest zahlreicher Universitätsprofessorinnen, Assistentinnen, Betriebsräte, Forschungseinrichtungen, aber auch des Bundesministeriums für Wissenschaft und Forschung sowie des AK-Präsidenten, ja sogar eine einigermaßen massive Protestdemonstration vor dem Akademie-Hauptgebäude (sowas hatte der ehrwürdige Gelehrtentempel noch nie erlebt; zum Schutz der Angestellten vor Terrorakten wurde bereits ab 14.00 Uhr dienstfrei gegeben!) verhinderte zunächst das Schlimmste. Seither setzt man auf Salamitaktik. Bis zum 31. März 1991 darf das ISEF weiterbestehen - aber:
- Es dürfen keine weiteren Aufträge angenommen werden - schlimm für die auf Projekte angestellten Mitarbeiterinnen: Einer ist inzwischen gekündigt worden, weil "sein Vertrag ausläuft", einem weiteren steht das selbe bevor. (Mangels Nachbesetzung der flexen Posten sind nur mehr drei Mitarbeiter fest angestellt.)
- Es ist "unerwünscht", dass die Mitarbeiterinnen private PCs am Arbeitsplatz verwenden. Die StaPo spielt zwar weiter mit der Instituts-EDV ("der Gegner ist immer einen Schritt voraus. Die Spezialisierung nimmt zu. Man kann zum Beispiel nicht eine Hausdurchsuchung vornehmen und dort einen Computer vorfinden, in den man nicht hineinkann." Zitat: Der neue StaPo-Chef und EBT2-Ehemalige Oswald Kessler zum Standard), am ISEF ist dagegen Daumendrehen angesagt. Oder Beschäftigungstherapie. Die Arbeit des Instituts soll objektiv evaluiert werden. Ein negatives Gutachten hat die ÖAW schon; die Mitarbeiterinnen sollen dafür neue Forschungskonzepte für die Sozialwissenschaften an der ÖAW konzipieren, die dann in einer Beerdigungsenquete diskutiert werden können. Das ÖAW-Präsidium beobachtet die verbliebenen 10 kleinen Wissenschaftlerinnen weiterhin mit Wohlgefallen.