Anfang dieses Monats, voraussichtlich am 6. Juni, wird das neue Psychotherapiegesetz im Nationalrat beschlossen. Damit wird diese Materie nach 20 Jahren der Auseinandersetzung einer legislativen Lösung zugeführt. Nach der bisherigen Rechtslage war die Psychotherapie ausschließlich den Ärzten vorbehalten. Dieses Behandlungsprivileg der Ärzte war nicht nur durch das Ärztegesetz, sondern auch durch den gerichtlich strafbaren Tatbestand der Kurpfuscherei abgesichert. Dieser Umstand führte zu der paradoxen Situation, dass gut ausgebildete "Psychotherapeuten", die nicht gleichzeitig auch Ärzte waren, zwar teilweise Ärzte psychotherapeutisch ausbildeten, selbst aber keine Psychotherapien durchführen durften – ihre "Lehrbuben", also die in Ausbildung stehenden Ärzte, aber schon. Von der Möglichkeit, Psychotherapien anzubieten, haben nur sehr wenige Ärzte Gebrauch gemacht, ein Umstand, der zu einem krassen Mangel an psychotherapeutischer Versorgung geführt hat.
In diese Marktlücke konnten auch zahlreiche schlecht ausgebildete und durchaus unseriöse Anbieter von "Workshops" und "Lebensberatung" stoßen. Diese Möglichkeit stand im Rahmen des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf freie Berufswahl jedem offen, solange das nicht unter dem Titel "Psychotherapie" geschah. Es ist evident, dass dieser Zustand sowohl für gut (und kostenintensiv) ausgebildete Therapeuten als auch für die Konsumenten, die bei der Suche nach sachgemäßer psychotherapeutischer Behandlung überfordert waren, zusehends problematisch wurde.
Dem entgegenzuwirken, ist das Hauptanliegen des neuen Gesetzes. Gesetzestechnisch wird dabei folgendermaßen vorgegangen: Es wird die Berufsbezeichnung "Psychotherapeut" geschaffen. Diesen Titel dürfen in Zukunft nur Personen gebrauchen, die eine im Gesetz festgelegte qualitativ hochstehende und langdauernde Ausbildung abgeschlossen haben. Tut das jemand anders und wird dadurch nicht ein gerichtlich strafbarer Tatbestand erfüllt, so ist dafür als Sanktion eine Verwaltungsstrafe bis zu 50.000,- öS vorgesehen. Um den Konsumenten vor missbräuchlicher Anwendung psychotherapeutischer Techniken zu schützen, sieht das Gesetz einen umfassenden Katalog von Berufspflichten vor. Eine Verletzung dieser Pflichten kann sowohl zivil- als auch strafrechtlich relevant werden und ist subsidiär mit einer Verwaltungsstrafe bedroht.
Der Weg der Ausbildung ist vom Gesetz genau vorgezeichnet. Das erste, sehr umstrittene Problem in diesem Zusammenhang betrifft den Zugang zur Ausbildung. Anhand der Geschichte der Diskussion um diese Quellenberufe lässt sich gut erkennen, dass die Ärztekammer einen Abwehrkampf zur Rettung gesicherter Einkommen der Ärzteschaft geführt hat. Ursprünglich sollten nur Mediziner und Psychologen zu dieser Ausbildung zugelassen werden, nach deren Absolvierung es sich gut verdienen lässt. Nach verschiedenen Vorschlägen über die "Quellenberufe" bekennen sich die letzten Entwürfe zu einer prinzipiell "offenen Lösung", das heißt, die Eigenberechtigung und die Reifeprüfung oder eine Ausbildung im Krankenpflegefachdienst sollen als Vorbildung zum Eintritt in die Ausbildung genügen. Für diejenigen, die diese Vorbildung nicht nachweisen können, besteht noch immer die Möglichkeit über eine "Genieklausel" nach bescheidmäßiger Anerkennung durch den Bundeskanzler wegen besonderer Eignung zum ersten Teil der Ausbildung zugelassen zu werden.
Dieser erste Teil der Ausbildung, das "psychotherapeutische Propädeutikum", beinhaltet eine Einführung in Theorie (mindestens 765 Stunden) und Praxis (mindestens 550 Stunden) der Psychotherapie. Die Eingangstür zum zweiten Teil der Ausbildung, dem "psychotherapeutischen Fachspezifikum", ist für einfache Maturanten schon zu eng. Um mit dem Fachspezifikum beginnen zu können, bedarf es einer abgeschlossenen Ausbildung der Sozialakademie, eines Universitätsstudiums, namentlich der Medizin, der Pädagogik, der Philosophie, der Psychologie, der Publizistik, der Theologie oder eines Lehramtsstudiums. Für jene, die keine dieser Vorbildungen aufweisen, bleibt wieder nur die bescheidmäßige Anerkennung wegen besonderer Eignung.
Der theoretische Teil dieses Fachspezifikums wird mindestens 300 Stunden umfassen, der praktische Teil, der unter anderem eine Lehrtherapie, ein Praktikum und Praktikumssupervision vorsieht, wird 1600 Stunden in Anspruch nehmen. Erst nach der Absolvierung dieser beiden Ausbildungsteile kann die Eintragung in die beim Bundeskanzler geführte Psychotherapeutenliste erfolgen. Diese in Qualität und Umfang einem Studium durchaus vergleichbare Ausbildung wird also mindestens insgesamt 3200 Stunden betragen. Offen bleibt die Frage: Wer soll das alles zahlen?
Das Psychotherapiegesetz wird darauf keine Antwort geben, mit anderen Worten, die Kosten der Ausbildung werden vorerst von den Auszubildenden selbst zu tragen sein. Das bedeutet für sozial Schwache, dass sie eine solche Ausbildung nur mit außerordentlicher Kraftanstrengung absolvieren können. Das Gesetz bestimmt auch nicht, welche Einrichtungen die Ausbildung durchführen dürfen. Diese wird vielmehr erst durch Bescheid des Bundeskanzlers für jede einzelne Einrichtung festgelegt. Der Bundeskanzler wird dabei von einem "Psychotherapiebeirat" beraten. Dieser Beirat wird wahrscheinlich im Wesentlichen die formell vom Bundeskanzler durchgeführte Bescheiderlassung determinieren. Es ist daher sehr wichtig, auf die Besetzung des Beirates zu achten. Indem dem jetzigen Entwurf vorangegangenen Entwurf war der Beirat ausschließlich mit psychotherapeutischen Vereinigungen besetzt, die Sozialpartner und die Ärztekammer waren also nicht vertreten. Das hat sich beim neuesten Entwurf geändert. Die Sozialpartner, die Ärztekammer und der Hauptverband der Sozialversicherungsträger sind jetzt diejenigen, die das "Beraten" und somit auch das Sagen haben. Das besprochene Gesetz wird viele positive Effekte zeigen. Es ist aber erst ein erster Schritt zur Gesamtlösung der psychosozialen Versorgung. Viele vorsorgende Maßnahmen im Bereich des öffentlichen Gesundheitswesens und eine Förderung des Zugangs zur Psychotherapie mit öffentlichen Mitteln werden durch dieses Berufsbezeichnungs- und Ausbildungsgesetz nicht angesprochen.