"Wenn es wahr ist, dass Sprache zur allgemeinen Hure wird, dann gibt es wohl kaum zwei Begriffe, auf die das so zutrifft, wie die unseres Themas. Also lasst uns frei nach H eine die Trommel schlagen, und furchtlos die Markten der Interpretationen küssen. Am Anfang wird fast schon gewohnheitsmäßig der "tote Hund" Engels bemüht, der auf Hegel zurückgreifend 1, als Voraussetzung für freies Handeln, für Freiheit, die Einsicht in die Notwendigkeit erkannte, also dass Information, Erkenntnis und deren Verarbeitung notwendig sind, und dass Freiheit und Notwendigkeit in ihrem dialektischen Verhältnis zu sehen wären. Blicken wir zurück, bzw. nach oben, zu unseren Vorfahren, so leuchtet ein, dass es mit ihrer Einsicht und damit ihrer Freiheit nicht weit her gewesen sein dürfte. Immerhin, sie entwickelten ein Herdenbewusstsein, das in der Lage war, Notwendigkeiten zu erkennen, so erhielt sich ihre Art und ermöglichte die unsere. Keine falsche Überheblichkeit, ein auf menschlicher Ebene entwickeltes, ähnliches Kollektivbewusstsein gibt es heute noch, nämlich bei den Hopi-Indianern oder in den vietnamesischen Reisfelderkulturen 2, und deren Probleme wären im Vergleich zu den unseren marginal, hätte nicht der amerikanische Imperialismus unter ihnen gewütet. In der langen Entwicklung unserer Kultur kam es dann zu einem Auseinanderfallen des Kollektivbewusstseins, auch auf Grund der Einführung einer arbeitsteiligen Gesellschaft, die in Stände, Klassen, Schichten gespalten war, sich eines anderen Mittels bedienen musste, um die Verbindung zwischen Individuum und "Kollektiv" aufrechtzuerhalten: der Ideologie.
Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Die Gesellschaft als Abstraktum konnte natürlich keine Ideologie entwickeln und weitertragen, dazu bedurfte und bedarf es der jeweils herrschenden Schichten: Der Priester, Schamanen, Gurus, der gesalbten Kaiser, Könige und Fürsten, der Philosophen, Ideologen usw. und nicht zuletzt deren Vermittler vom Dorftrommler bis zum Mediengiganten. Ihnen entgegen standen und stehen die Gewaltunterworfenen, darunter in letzter Zeit die sich immer dringlicher zu Wort meldenden "Natur" oder "Umwelt". Um auf Freiheit und Notwendigkeit zurückzukommen: Diese (austauschbaren) Herrschaftseliten maßten und maßen sich an, Einsicht in die diversen Notwendigkeiten zu haben; bzw. sich und ihre Privilegien zu erhalten, galt und gilt es doch auf der anderen (der Gewaltunterworfenen) Seite naiven Arbeitswillen und devotes, herrschaftsgläubiges Verhalten zu erhalten. Und wenn man Ideologie richtigerweise als Herrschaftslegitimation begreift, so muss auch klar sein, dass derjenige, der Herrschaft ausübt, essentielles Interesse daran haben muss, den objektiven Charakter von Recht (= Herrschaft) dem Erkenntniszugriff der Masse weitgehend zu entziehen, und ihn auf ein historisch höchstmögliches metaphysisches Plateau zu heben. War es früher der liebe Herrgott oder ähnliche metaphysische Projektionen, die herhalten mussten, so ist es heute die "Vernunft", der "Sachverstand" oder ähnlich wenig aussagekräftiges. Dass letztlich handfeste Interessen ausschlaggebend sind, ist evident. (Wer bei dem Passus "Entzug des Erkenntniszugriffes" gleichsam automatisch an unsere Sozialpartnerschaft gedacht hat, den möchte ich besonders herzlich zur nächsten Redaktionssitzung einladen.) Kafka und Kasperltheater: Demokratie und Österreich. Und so lasst uns hinüberwechseln zum anderen, auch nicht mehr gerade jungfräulichen Begriff, dem der Demokratie. Dass auch sie eine Herrschaftsform ist, ist jedem klar, besonders denjenigen, die in Ausübung ihrer demokratischen Grundrechte schon intensiven Gummiknüppeleinsatz mit den in Ausübung ihrer demokratischen Pflichten befindlichen Organen hatten. Dass auch sie (die Demokratie) ihre eigenen Mythen hat, lässt einen leicht in Versuchung geraten, sich über die antike griechische Demokratie, über Perikles, Aischylos und wie sie alle heißen, auszulassen. Dass diese "Ur"-Demokratie nichts anderes als eine Sklavenhaltergesellschaft mit aggressiver Außen- wie Innenpolitik war, hat nicht nur Gottfried Benn in einem Essay festgehalten, es wurde auch im JURIDIKUM 5/89 kurz angerissen.
Back to life - back to reality: Auch hierzulande finden sich Experten, die ihr Scherflein zur Herrschaftslegitimation beitragen, so z. B. Gerlach und Co, deren Büchlein "Sozialpartnerschaft in der Krise" nicht nur prüfungsrelevant für das Freifach Politikwissenschaften ist, sondern es auch schafft, in der Kritik mystifizierend zu sein, und die Sozialpartnerschaft als Mittelding zwischen Kapitalismus und Sozialismus wähnt. Die anderen Ideologen an der Juridischen Fakultät lassen wir unerwähnt, man will ja Prüfungen auch noch bestehen. (Das zur Freiheit.) Ein Klatschspaltenkolumnist der bürgerlichen Boulevardpresse ließ unlängst in salbungsvollem Ton verlauten, dass wer die Demokratie suche, sie auch fände. Ob mehr Zyniker oder mehr Humorist ist, weiß ich nicht. Wenn das Folgende leicht ins Anekdotenhafte hinübergleitet, sei es verziehen, bei diesem Thema ist Mut zur Lücke besonders vonnöten. Anlässlich einer Podiumsdiskussion des VSStÖ zum Thema "Polizeistaat Österreich?" wurde wieder einmal besonders deutlich, was bei uns unter Transparenz und demokratischer Diskussionskultur verstanden wird: Neben dem Sekretär des Repressionsministers, Dr. Matzka, saß der Gottseibeiuns aller Linken, Michael Graff , sowie ein paar Vertreter des demokratischen Österreichs. Dieses (das SicherheitspolizeiG) wie alle österreichischen Gesetze sozialpartnerschaftlich ausgehandelte, ist, wie wir nicht müde werden aufzuzeigen, wohl das demokratiegefährdenste der II. Republik. Und es war auf Teufel komm raus nicht in Erfahrung zu bringen, welche Lobby für welchen Passus, welcher 'Verantwortliche' für was verantwortlich zu machen wäre. Wie ein mit Chloroform getränkter Wattebausch liegt dieses Herrschaftssystem über dem Land, von 'Demokratie' keine Spur, wessen Notwendigkeiten bedient werden nur erahnbar, was die Freiheit anbelangt, ist nur eines klar, dass diese nicht die unsere sein kann. Weiter mit den Notwendigkeiten, die mehr im Namen der Republik als für die Menschen des Landes demokratisch erkannt werden: Im Mittelpunkt steht bei uns der Mensch, trieft es von den Mündern der Heuchler: In einem Land, in dem es mehr Selbstmorde als Verkehrstote gibt, werden notwendigerweise die Müllmänner/-frauen der Gesellschaft rebellisch, wegen Arbeitsüberlastung: So die Psychiater, deren in der Geschichte des Landes einzigartiger Arbeitskampf natürlich so gut es ging vertuscht wurde - im Club2 vor Wochen konnte man/frau aus berufenem Munde erfahren, dass gerade 1 (in Zahlen ein) Prozent der Bevölkerung psychotherapeutisch behandelt werden kann, dass der Bedarf nach vorsichtigen Schätzungen um 10 % liegt. Und hier haben wir auch gleich etwas Wahrheit, die bekanntermaßen konkret ist, nämlich in Form des Budgeterweiterungsgesetzes von letzter Woche: Von insgesamt 737 zusätzlich bewilligten Planstellen sind 20 für ÄrztInnen vorgesehen, 101 für die Arbeitsmarktverwaltung, der Rest für die Exekutive. Das verdrängt völlig die Freude darüber, dass wir richtig analysiert haben, dass man gesellschaftliche Probleme bei uns polizeistaatlich zu lösen gedenkt, es ist nur heilsam ernüchternd, und schult das Demokratieverständnis.
Aber immer weiter mit den Notwendigkeiten: Dass wir bildungspolitisch Gefahr laufen, uns zu albanisieren, dass die Lösungsansätze über ein EG-Gewinsel nicht hinauskommen, soll uns lehren, dass die Herrschenden, wo es über das relativ einfache Dreinschlagen hinausgeht, wo man Kreativität, Eigenständigkeit und natürlich auch viel Geld bräuchte, ihrer Handlungsfähigkeit ein eindeutiges Zeugnis ausstellen. Notwendig und demokratisch ist es aber anscheinend, dem völlig sinnlosen Kasperltheater Bundesheer ein um 1,8 Milliarden aufgefettetes Budget zuzugestehen, während in Wien die Sandler und Junkies reihenweise auf der Straße krepieren. Auch wir JuristInnen sind Opfer ihrer Notwendigkeiten, ihrer Demokratie: Wenn 'angesehene' Bankinstitute dazu übergehen, voll ausgebildete JuristInnen als eine Art gehobene Schalterbeamte in Dienst zu nehmen, damit Börsenspekulanten und Schieber (oh, pardon - Privatkunden) nicht von irgendwem, sondern von Mag. N. N. in ihren Transaktionen beraten werden, dann ist das eine Notwendigkeit. Wenn die KollegInnen von den Arbeitsgerichten von 9 bis 1/2 6 durchprozessieren müssen, damit irgendein armer Teufel zumindest weiß, ob er zu Recht auf die Straße gesetzt (oh pardon - freigesetzt) wurde, ist das auch eine. Wenn im Verwaltungsverfahren bezüglich der Baubewilligung einer neuen Autobahn ganzen Ortschaften die Parteistellung verweigert wird und die Säuglingssterblichkeit in Folge in die Höhe schnellt, dann ist das Demokratie und die Schmiergelder der Baulobby und ihre Profite die Notwendigkeit. Wenn der 'freie' Konkurrenzkampf zwischen den Fluglinien zu einer enormen Steigerung der Flugtätigkeiten führt, ist das Demokratie - wenn unterhalb der Flugschneisen der Wald stirbt, Muren abgehen und Dörfer verschütten, ist das Notwendigkeit. Wenn innerhalb der Neuen Europäischen Ordnung ganzer Völkerschaften als Arbeitskraft-Manövriermasse herumgeschoben und entwurzelt werden, aus der daraus entspringenden AusländerInnenfeindlichkeit noch politisches Kapital geschlagen wird, so ist das eine der vier großen 'Freiheiten' der EG-'Demokratie'. Da jedeR von Euch diese Liste beliebig verlängern könnte, liegt es an Euch im täglichen Sprachgebrauch zu reflektieren, was man Wörtern antun kann, und wie hier im großen Stil gelogen wird.
Eine der großen Hoffnungen, die man/frau in die Demokratie setzt, ist, dass sie flexibel, veränderungs- und damit überlebensfähiger ist als andere Herrschaftsformen. Dass sich Herrschaft einer, wenn auch verhüllten, Ideologie bedienen muss, erscheint belegt. Dass im Feierabendstil der allgemeine Pluralismus ausgerufen wurde, ändert kein Jota an den unter den Fingernägeln brennenden Problemen. Dass es in einer polyperspektivisch zerborstenen Welt keine zwingende Zentralperspektive mehr geben kann und darf, scheint der letzte Dogmatiker begriffen zu haben. Dass es aber mit der Umstellung auf eigenverantwortliche, selbststeuernde und damit demokratische Ideologien noch völlig im Argen liegt, bedarf es einer umfassenden Demokratisierung und Politisierung des Volkes. Die einzelnen Ober-Ichs, kategorischen Imperative, Gewissen oder wie auch immer müssen eher gestern als heute angesprochen und motiviert werden. Die Ansprüche, die solch ein Unterfangen an die Herrschaftswissenschaft par Excellence - die Rechtswissenschaft stellt, sind gigantisch, und das ist noch untertrieben. Es ist an der Zeit, sich zu überlegen, ob die Ausbildung von JuristInnen sich damit begnügen kann, technisch versierte, auf Fortschritt und Wachstum getrimmte Apparate zu sein, oder ob nicht eine qualifizierte politische und gesellschaftliche Bildung und Sensibilisierung mit dazu gehören müsste. (Kritik einer Aussendung der Kultusgemeinde Wien zur geplanten zweijährigen Ausbildung zur Ausübung der Tätigkeit als BetreuungsassistentInnen im Kulturbereich: Wer spricht von einer qualifizierten Ausbildung, wenn nicht einmal der Umgang mit alten, kranken und behinderten Menschen gelernt werden kann?) Es ist an der Zeit, sich zu überlegen, ob das scheinbar ewige Wachstum und der technische Fortschritt uns weiterbringt, oder uns nicht vielmehr immer tiefer in die Scheiße reitet. Es ist an der Zeit, sich zu überlegen, ob nicht die permanenten Nebelkerzen, die von der herrschenden Klasse und den davon Lebenden abgebrannt werden, uns nicht schon genug die Sicht nehmen. Es ist an der Zeit, sich zu überlegen, ob die leeren Worte unserer PolitikerInnen, das parlamentarische Einmaleins der Lüge, uns nicht schon lange den Mund verschließen. Es ist an der Zeit, sich zu überlegen, ob wir nicht besser daran täten, die alten Fladen, die uns vorgesetzt werden, auch als solche zu erkennen, und unser eigenes Menü zu kochen. Mit dem Begriff "Demokratie" wie mit dem "Recht" ist es wohl ähnlich wie mit Gott: Man kann an ihn glauben oder nicht, die Frage ist nur, wieviel man sich davon erhofft. Und wie bei jeder Währung ist es die Menge der Umlaufenden, die den Wert bestimmt. Und die sprachliche Inflationierung der Begriffe wie Demokratie und Recht hat in unserem Kulturkreis schon schlimme Folgen gehabt: Wann endlich merken wir, dass die Praxis den Begriff negiert, und dass unsere sprachliche Inflationierung schon so weit fortgeschritten ist, dass wir die Begriffe für ihr Gegenteil halten. Demokratie - wie wir sie kennen, ist derartige Verarsche, dass es schon wieder den Glauben an sie erneuert. Sprachlich hat sie ihre Aufgabe jedenfalls schon erfüllt, wie sie mit dem Recht. Und so könnte die sprachliche Revolution ein erstes Signal für die notwendige soziale sein."