Man mach/es sich leicht. Man zeigt sie an bei den Sicherheitsbehörden und wartet, bis sie abgeschoben werden ins Gefängnis. Sie sind stigmatisiert. Resozialisierung ist nur mehr schwer möglich. Man wäscht sich die Hände in Unschuld. Wo ist die Alternative? Die Verbrechensstatistik des Jahres 1988 für Wien wurde vom ORF kürzlich frei Haus geliefert. Die Quintessenz: ein Ansteigen der Zahl der Verbrechen einerseits, ein Sinken der Aufklärungsrate andererseits. Um nach solchen "Schreckensmeldungen" keine Panik in der Bevölkerung aufkommen zu lassen, sind auch die Schuldigen schnell gefunden. Es sind "die Ausländer". Hauptsächlich sie bewirkten das Ansteigen der Verbrechenszahl. Ein Argument für Ausländerfeindlichkeit wollte man allerdings nicht mitliefern, und so betonte der ORF auch in einem nächsten Satz, dass die Ausländer zwar den Anstieg der Verbrechensrate erklären, nicht aber die sinkende Aufklärungsquote. Diese liegt im Bereich der Polizei, und da sind nun einmal keine Ausländer beschäftigt, die man verantwortlich machen könnte. Die Ursache für die sinkende Aufklärungsquote ist beinahe "höhere Gewalt", nämlich der Personalmangel der Wiener Polizei. Um die Bevölkerung nochmals zu beruhigen wird abschließend betont, dass Wien im internationalen Vergleich noch immer sehr gut rangiert, was die Sicherheit betrifft1. Gut im internationalen Vergleich rangiert Österreich und das nicht zuletzt durch die extensive Inhaftierungspraxis in Wien, wie sich weiter unten zeigen wird, was die "Folgen" der Verbrechen, die Strafpraxis betrifft. Österreich hat die zweithöchste Gefangenenrate pro 100.000 Einwohner von allen Mitgliedsstaaten des Europarats, nämlich 97,5 (Stand vom 1. September 1987). Eine höhere Gefangenenrate weist lediglich die Türkei mit 99,5 auf. Niedrig dagegen ist die Gefangenenrate in den Nieder landen (37,0), in Griechenland(40,9) sowie in Norwegen(46,0) und Schweden (51,0).2 Wie setzt sich diese hohe Gefangenenrate in Österreich zusammen? Im Jahr 1985 wurden 184.753 Tatverdächtige ermittelt, von denen 84.096 (46%) verurteilt wurden. 9258 dieser Personen wurden zu einer unbedingten Freiheitsstrafe verurteilt. Die Wahrscheinlichkeit, dass in Österreich im Falle einer Verurteilung eine Tat mit unbedingter Freiheitsstrafe sanktioniert wird, beträgt somit 11 %. Unterteilt man die strafbaren Handlungen in verschiedene Kategorien, so ergibt sich folgendes Bild: Strafbare Handlungen gegen Leib und Leben führen bei fünf Prozent der Verurteilungen zu einer unbedingten Freiheitsstrafe. Bei strafbaren Handlungen gegen fremdes Vermögen sind es 16%, gegen die Freiheit ebenfalls 16%, gegen die Sittlichkeit 33% und bei sonstigen strafbaren Handlungen (gegen die Staatsgewalt, Urkundendelikte, Verstöße gegen das Lebensmittelgesetz etc.) 15%, die zu einer unbedingten Freiheitsstrafe verurteilt werden. Unterteilt man die Zahl der 9258 zu einer unbedingten Freiheitsstrafe Verurteilten nach denselben Kriterien, so setzt sich diese Zahl zusammen aus 18,2% Verurteilten aufgrund einer Straftat gegen Leib und Leben, 51,6% gegen fremdes Vermögen, 5,5% gegen die Freiheit, 2,5% gegen die Sittlichkeit und 22,2% aufgrund sonstiger strafbarer Handlungen nach dem StGB.3 Gibt es Alternativen zu dieser Strafpraxis? Bevor ich auf diese Frage näher eingehe, möchte ich voranstellen, dass die Sanktionen in Österreich regional sehr verschieden verhängt werden. So gliederten sich diese beim OLG-Sprengel Innsbruck in 71 % bedingte und 23% unbedingte Geldstrafen. In Wien hingegen wurde die bedingte Geldstrafe nur in 2% der Fälle ausgesprochen, die unbedingte aber in 76% der Fälle. Die Vermutung eines Sanktionsgefälles zwischen Ost- und Westösterreich wird noch verstärkt, sieht man sich die Vorhaft an. Die Wahrscheinlichkeit in Untersuchungs- oder Verwahrungshaft genommen zu werden, beträgt in Wien 19%, in Innsbruck nur 8%. Die Haftantrittsrate beläuft sich in Wien auf 15%, die durchschnittliche Anhaltung auf 60 Tage. Letztere ist in Innsbruck mit 67 Tagen zwar etwas höher, doch die Haftantrittsrate beträgt dort nur 7,5%. Man kommt zu dem Schluss, dass die mildeste Strafpraxis in Innsbruck vorherrscht, die härteste dagegen in Wien. Der Modellversuch "Konfliktregelung" Dieses Modell soll als eine Alternative zum Strafvollzug dargestellt werden. Der Modellversuch "Konfliktregelung" wurde 1985 an drei für Jugendstraftaten zuständigen Gerichten, begrenzt auf einen Zeitraum von zirka zwei Jahren, begonnen. Dabei geht es ausschließlich um jugendliche Straftäter zwischen dem 14. und dem 18. Lebensjahr. Das Ziel des Versuches war, außergerichtlich einen Ausgleich zwischen Täter und Geschädigtem herzustellen. Der Konflikt soll auf Alltagsebene besprochen werden und darüber hinaus soll ein Einverständnis zwischen Täter und Geschädigtem erzielt werden, was zur Konfliktlösung zu geschehen habe. Es geht also nicht um ein Urteil im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens, sondern um die Herstellung von Konsens zwischen Täter und Geschädigtem. Art und Höhe der Wiedergutmachung des angerichteten Schadens werden ausschließlich zwischen Täter und Geschädigtem vereinbart. Sie werden nicht seitens des Gerichts oder der Staatsanwaltschaft angeordnet. Gänzlich "staatsfrei" ist die Konfliktregelung allerdings nicht, obwohl es auf den ersten Blick so scheinen mag. Die jugendlichen Täter werden zunächst genauso bei der Sicherheitsbehörde angezeigt, von dieser ausgeforscht und erst wenn das Verfahren bei der Staatsanwaltschaft ist, kann die Konfliktregelung einsetzen. Dabei entscheidet die Staatsanwaltschaft, ob diese versucht werden soll. Dadurch ist die Konfliktregelung auch nicht frei von der Komponente der Bestrafung, sieht man diesen Begriff in einem weiteren Sinn. Der Täter wird durch die Prozedur der Anzeige und polizeilichen Vernehmung beeinflusst. Es soll ja auch erreicht werden, dass er in Hinkunft derartige Handlungen unterlässt. Allerdings soll dieser Effekt nicht über die Auseinandersetzung mit der Schuld des Täters erzielt werden, sondern durch die Verhandlung über Art und Höhe der Wiedergutmachung. Die Delikte, die der Konfliktregelung zugeführt wurden, sind breit gestreut. Sie reichen von Eigentumsdelikten mit teilweise beträchtlichem Schaden (über 30.000,- öS) über Körperverletzungsdelikte im Zusammenhang mit Verkehrsunfällen oder Raufereien bis zu falscher Zeugenaussage und Widerstand gegen die Staatsgewalt. Der organisatorische Ablauf der Konfliktregelung stellt sich folgendermaßen dar: Die Entscheidung, ob ein Fall konfliktgeregelt wird, liegt, wie schon oben erwähnt, bei der Staatsanwaltschaft. Als Konfliktregler werden hauptamtliche BewährungshelferInnen eingesetzt. Beim ersten Gespräch mit dem Jugendlichen informiert der Konfliktregler diesen über das Modell und dessen Ablauf. Ist ein entsprechender Wiedergutmachungsplan entworfen, kontaktiert der Konfliktregler den Geschädigten und, sofern dieser mit der Konfliktregelung einverstanden ist, wird ein Termin zwischen ihm und dem Jugendlichen im Büro des/der Bewährungshelfer/s/in vereinbart. Wie der Modellversuch zeigte, sind die Geschädigten in der Mehrzahl der Fälle durchaus bereit, sich auf die Konfliktregelung einzulassen, und auch hinsichtlich ihrer materiellen Forderungen sind sie oft entgegenkommend. Ein wesentliches Kriterium bei der Konfliktregelung ist die Konfrontation des Täters mit dem Geschädigten. Der Täter hat dabei die Möglichkeit, über sich selbst zu berichten. Er kann Erklärungen darüber anbieten, wie es zur Tat gekommen ist. Der Geschädigte erfährt die Tat aus der Sicht des Täters. Dasselbe ist natürlich umgekehrt der Fall. Der Täter erfährt die Sicht des Geschädigten. Dies kann ihn beeinflussen, Leistungen anzubieten, um den Schaden wieder gut zu machen. Das ist in einem ordentlichen Verfahren kaum möglich. Es ist klar, dass hier ein Idealzustand beschrieben wird. Es soll nicht unerwähnt bleiben, dass der Geschädigte den Täter auch unter Druck setzen kann, indem er seine "soziale Überlegenheit" ausspielt. Dasselbe ist auch umgekehrt möglich, wenn anstelle der Konfliktlösung einfach Macht missbraucht wird. Insofern wäre es wichtig, Wiedergutmachungsleistungen den Billigkeitsgesichtspunkten folgen zu lassen. Leistungen, die mit physischer oder psychischer Gefährdung des Leistenden verbunden wären, sind demnach ausgeschlossen. Konfliktregelung fand bisher nur bei Jugendlichen Anwendung. Doch die Anwendung wäre genauso im Erwachsenenstrafrecht möglich. Als Beispiel sei Wiedergutmachung bei Straßenverkehrsdelikten angeführt. Ein Sinken der zu hohen Haftrate wäre jedenfalls die Folge. Hätte man in jenen Fällen Konflikte geregelt, die mit einer Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr sanktioniert wurden, so wären lediglich 10% der Gefangenen weiterhin in den Justizanstalten. Das eingesparte Geld könnte somit zur Finanzierung der Konfliktregelung verwendet werden. Es wäre nur eine Umschichtung, doch ein Schritt in Richtung gefängnislose Gesellschaft.
Modellversuch
Weitere Details zum Artikel:
1 Vgl. ORF, "Wien heute" vom 22.05.1989, 19.00 Uhr, FS2.
2 Vgl. W. Stangl, "Wege in eine gefängnislose Gesellschaft. Über Verstaatlichung und Entstaatlichung der Strafjustiz", Wien 1988, S. l47.
3 Vgl. ebd., S. 137.