In Abschnitt 2. wurde herausgearbeitet, dass der Kern der Auseinandersetzung zwischen marxistischer und positivistischer Rechtstheorie darin liegt, dass erstere wissenschaftliche Erkenntnis aus dem Gesamtzusammenhang, letztere aber durch Segmentierung in Einzeldisziplinen anstrebt. Gegen das positivistische Konzept wurden folgende Argumente vorgebracht:
1.) Die Reine Rechtslehre begründet nicht, warum die - unbestrittene - formallogische Unableitbarkeit von Sollens- aus Seinssätzen den zentralen Stellenwert in der Rechtswissenschaft haben soll.
2.) Eine strikte Trennung zwischen Seins- und Sollenssätzen entspricht nicht dem realen Erkenntnisprozess, in dem erkennende und wertende Elemente aufs Engste verknüpft sind und beide Elemente durch das gesellschaftliche Umfeld letztlich determiniert werden.
3.) Durch die Selbstbeschränkung der Reinen Rechtslehre blendet diese wesentliche Zusammenhänge aus, wodurch z.B. die Entstehung der Gesetze zum Mysterium wird. Zerlegt man die gesellschaftliche Totalität in isolierte Untersuchungsgegenstände, dann ergibt eben auch die Aneinanderreihung der so gewonnenen Ergebnisse kein vollständiges Bild der Wirklichkeit.
4.) Die Vorgehensweise der Reinen Rechtslehre ist auch deshalb inadäquat, weil in klassengesellschaftlichen Gesellschaften das Recht selbst die ihm zugrunde liegenden gesellschaftlichen Verhältnisse in verklärter und entstellter Weise widerspiegelt (vgl. Abschnitt 3).