Minister Böhmdorfer verfolgt seine Justizpolitik mit Engagement. Das ist gut so, führt mitunter aber zu Konflikten. So geschehen mit der Universität Wien, in der Person des Strafrechtlers Frank Höpfel: „Ich höre, dass Sie in den Vorlesungen manchmal als unsachlich und unnötig empfundene herabsetzende Äußerungen über die FPÖ und vor allem über meine Person machen und dabei auch die Justizpolitik in dieser Art und Weise kritisieren.“ Er „erwarte“ sich, in einer Lehrveranstaltung auftreten zu können (profil, 7. April 2003, 15). Hintergrund des Böhmdorfer-Briefes ist Kritik, die Höpfel an dessen Plänen zur Auflösung des Wiener Jugendgerichtshofes geübt hatte.
Höpfel löste die Malaise medienwirksam: Er verlas Böhmdorfers Brief im Ö1-Morgenjournal und überließ ihn damit dem Urteil der Öffentlichkeit. Danach lud er den Justizminister in seine Lehrveranstaltung ein. – Böhmdorfer bekam also, was er gefordert hatte; wem die ministerielle Selbsteinladung nicht gefiel, konnte sich still über den gelungenen Konter Höpfels freuen. Warum die Geschichte also aufwärmen?
Weil es um eine prinzipielle Frage des Verhältnisses von Universität und Politik geht. Lassen wir den weinerlichen Vorwurf beiseite, Höpfel habe sich in unsachlicher und herabsetzender Weise gegen die FPÖ und den Justizminister persönlich gewandt; das hätten sich die Beiden zwischen Beleidigungsrecht und Meinungsfreiheit privat auszumachen. Hier soll es um den Vorwurf einer solchen Kritik an der Justizpolitik und die Selbsteinladung in eine Lehrveranstaltung gehen, denn das betrifft die Wissenschaftsfreiheit.
Wenn Höpfel in seiner Lehrveranstaltung Kritik an einem justizpolitischen Vorhaben übt, das mittlerweile Gesetz geworden ist, tut er das im Rahmen der wissenschaftlichen Lehrfreiheit. Denn er hat als habilitierter Universitätslehrer zum Jugendgerichtshof wissenschaftlich geforscht und die Ergebnisse seiner Forschung mit zum Inhalt seiner Lehrveranstaltung gemacht; damit erfüllt er aber auch die konservativsten Vorstellungen von der Wissenschaftsfreiheit nach Art. 17 Staatsgrundgesetz.
Soll dem Minister nicht unterstellt werden, er wollte Höpfel in der Lehrfreiheit beschränken, muss dieser schon seine akademische Freiheit missbraucht haben. Worin die Verfehlung allerdings bestanden haben soll, lässt sich nicht so leicht festmachen: Nicht Böhmdorfer selbst, dafür nicht näher genannte Zuträger hätten die Kritik als unsachlich und unnötig herabsetzend empfunden (wobei sich, nebenbei gesagt, das Konzept einer notwendigen, und damit offenbar zulässigen Herabsetzung nicht unmittelbar erschließt).
Dieser nebulose Vorwurf entpuppt sich als der Versuch der Einflussnahme auf den Inhalt universitärer Lehre: Der Universitätslehrer Höpfel ist dem Minister Böhmdorfer Rechenschaft schuldig, wenn er Kritik an Reformen in der Justiz übt. Dafür fordert der Justizminister als Forum einen Auftritt in einer universitären Lehrveranstaltung, womit er schlicht über deren Inhalt disponieren will. Das ist ein Eingriff in die vorbehaltlos gewährleistete Wissenschaftsfreiheit: „Im Bereich der akademischen Lehre garantiert das Grundrecht die eigenverantwortliche Entscheidung des Universitätslehrers über Inhalte und Methoden seiner Lehre.“ (Berka, Die Grundrechte. Grundfreiheiten und Menschenrechte in Österreich [1999] Rz 591).
Neben dieser rechtlichen Dimension sollte der Brief des Justizministers noch in anderer Hinsicht zu denken geben. Böhmdorfers Intervention zieht Kritik in der Sache auf eine persönliche Ebene. Das tut weder der Justizpolitik gut, um die es beiden Seiten glaubhaft geht, noch hat eine solche Personalisierung in der Wissenschaft etwas zu suchen. Würde man Böhmdorfers Empfindlichkeit zum Maßstab machen, müssten in Zukunft in jede Vorlesung das Parlament, zu jedem Judikaturseminar die RichterInnen etc. eingeladen und „gehört“ werden. Denn es stünde wohl zu befürchten, dass manche der dort vorgetragenen Meinungen als „unsachlich und unnötig“ empfunden werden. Wenn man nämlich dafür auf einen nicht näher greifbaren Personenkreis abstellt („ich höre“ ... „empfundene Äußerungen“), ist das eine omnipräsente Gefahr.
Höpfel war in der glücklichen Position, gelassen und großzügig auf den ministeriellen Übergriff zu antworten. Als ordentlicher Universitätsprofessor steht er am Höhepunkt seiner Laufbahn und ist so unabhängig, wie es kaum ein Richter ist. Junge Universitätslehrende, für die berufliche Sicherheit in weiter Ferne liegt, werden sich schwerer tun, alle und auch ihre kontroversiellen Meinungen in den Lehrsaal zu tragen, wenn sie mit Post aus dem Justizministerium rechnen müssen. Es wäre wohl besser gewesen, Böhmdorfer einen Auftritt in der Lehrveranstaltung aus prinzipiellen Gründen zu verwehren und ihm stattdessen eine öffentliche Diskussion anzubieten. Damit wäre der Übergriff als solcher identifiziert worden, ohne dabei das Gespräch zu verweigern.
Die Wissenschaft und ihre Lehre ist frei. Ein Minister, der sich in eine Lehrveranstaltung hineinreklamiert, weil ihm ihr Inhalt nicht passt, lässt die notwendige Sensibilität für dieses Grundrecht vermissen. Ein Professor, der leichtfertig auf dieses Recht verzichtet, hat ein unglückliches Präjudiz ermöglicht. Verloren haben dabei alle.