Individuelle Namensnennung bei der Aufarbeitung der NS-Zeit am Beispiel der Historikerkommission

1. Einleitung „Sofern es die Quellen erlauben, haben wir die Namen der Ariseure, Entzieher, Rückstellungswerber und der politischen Akteure genannt. Entziehung und Rückstellung haben ein Gesicht und tragen einen Namen.“1 – „Die Antragsteller in Rkv 21/48 erhielten von ihrem (jüdischen) Vater vier Liegenschaften geschenkt ... Um eine Zwangsversteigerung zu vermeiden, verkauften sie an den Antragsgegner.“2 Diese beiden Zitate zeigen grundverschiedene Möglichkeiten, wie die Nennung von Namen in der zeitgeschichtlichen Forschung gehandhabt wird. Je nach beruflicher Sozialisation und fachlicher Zugehörigkeit wird die eine oder die andere Version vertrauter sein. Für Historiker ist die Darstellung von persönlichen Schicksalen in der Personen- und Behördengeschichte Bestandteil ihrer Arbeit3. Für Juristen ist es geradezu eine Selbstverständlichkeit, dass persönliche Informationen nur zur Sprache kommen, soweit sie entscheidungsrelevant sind4. Gerade bei der Beschäftigung mit der NS-Vergangenheit tritt die Namensnennung zunehmend in den Vordergrund. Während das jahrzehntelange Verschweigen individueller Verantwortlichkeit als geradezu typisch für die österreichische (Nicht)Aufarbeitung gesehen wird, ist die Nennung von Namen heute so gut wie ein Programm. Die rechtliche und ethische Brisanz ergibt sich dabei aus dem Zusammenhang der Namensnennung, wenn Personen etwa als „Ariseure“ und Profiteure oder auch als rassische Opfer bezeichnet oder geschildert werden5. Im Folgenden soll anhand der Historikerkommission der Frage nachgegangen werden, welcher rechtliche Rahmen für die Namensnennung in der zeitgeschichtlichen Forschung besteht.   2. Rechtlicher Rahmen für die Namensnennung Ein ausdrücklicher Schutz des Namens ist in der österreichischen Verfassung nicht zu finden. Er ist aber als Teil des der Rechtsordnung immanenten Persönlichkeitsschutzes zu betrachten und äußert sich im gegebenen Zusammenhang in einem grundsätzlichen Recht auf Namensanonymität6. Die Namensnennung steht dabei in einem Spannungsverhältnis verschiedener Grundrechte, die mitunter gegensätzliche Interessen schützen. Auf der einen Seite sind die Privatsphäre des Art 8 EMRK und das Grundrecht auf Datenschutz zu nennen. Dem stehen bei der zeitgeschichtlichen Forschung die Wissenschaftsfreiheit, die allgemeine Meinungsäußerungsfreiheit und die Informationsfreiheit, die sich in einem Recht auf Zugang zur eigenen Geschichte äußert, entgegen. Die Namensnennung ist damit ein klassischer Fall einer Grundrechtskollision, bei dem kein Grundrecht „einen grundsätzlichen Vorrang beanspruchen kann“7. Dies hat zur Folge, dass schon die gesetzlichen Regelungen, aber immer auch die Entscheidung, ob ein Name im Einzelfall genannt werden darf, einer sorgsamen Interessenabwägung bedarf. Konkret sind mehrere Regelungskreise zu berücksichtigen: das Archiv- und das Datenschutzrecht sowie der Persönlichkeitsschutz. Die ersten beiden setzen schon beim Zugang und der Bearbeitung persönlicher Information an. Der letztere betrifft erst die Veröffentlichung, also die eigentliche Namensnennung.   2.1. Archivrechtlicher Rahmen Geschichte liegt im Archiv. Die staatlichen Akten aus der NS- und Nachkriegszeit lagern zum größten Teil in öffentlichen Archiven, insbesondere im Österreichischen Staatsarchiv. Damit richtet sich die Frage der Nennung von Namen zunächst nach den archivrechtlichen Bestimmungen8. Das BundesarchivG etwa enthält eine ausdrückliche Bestimmung über die Veröffentlichung von personenbezogenen Daten in Werken, die unter Nutzung des Archivgutes des Bundes verfasst wurden. Sofern keine Zustimmung des Betroffenen vorliegt, ist eine Veröffentlichung erst 10 Jahre nach seinem Tod zulässig. Ausnahmsweise ist eine Namensnennung noch zu Lebzeiten möglich, wenn daran ein überwiegendes öffentliches Interesse besteht (§ 11 BundesarchivG). Der Frage der Veröffentlichung vorgelagert und für diese de facto ausschlaggebend ist die Frage des Zugangs zum Archivmaterial9. Die Archivrecherche ist – gleich wie die Veröffentlichung von aus Archivgut gewonnenen Forschungsergebnissen – vom Grundrecht auf Wissenschaftsfreiheit umfasst. Der Staat würde die Wissenschaftsfreiheit verletzen, wenn er Wissenschaftler daran hinderte, „ihre Objekte zu suchen, ihnen nachzugehen, sie zu untersuchen usw.“10. Das Interesse an einem ungehinderten Zugang zu Archivgut steht allerdings in einem Spannungsverhältnis zum Interesse an der Geheimhaltung der darin enthaltenen personenbezogenen Informationen. Der Archivgesetzgeber ist bei der Abwägung dieser Interessen aus archivtechnischen Gründen auf eine pauschalierende Vorgangsweise angewiesen11. Diese erfolgt in Form eines abgestuften Systems von Schutzfristen, nach deren Ablauf jedermann das Recht hat, für wissenschaftliche und publizistische Zwecke Einsicht zu nehmen (§ 8 BundesarchivG). Die Schutzfrist beträgt grundsätzlich 30 Jahre, für wissenschaftliche Forschungen kann sie auf bis zu 20 Jahre verkürzt werden. Personenbezogenes Archivgut – also Akten, die personenbezogene Daten enthalten – darf grundsätzlich erst nach 50 Jahren eingesehen werden. Bei überwiegendem öffentlichem Interesse kann diese Frist im Einzelfall auf bis zu 20 Jahre herabgesetzt werden.   2.2. Datenschutzrechtliche Bestimmungen Der zweite relevante Regelungskreis ist das Datenschutzrecht12. Nach der Verfassungsbestimmung des § 1 Abs 1 DSG 2000 hat jedermann einen Anspruch auf Geheimhaltung der ihn betreffenden personenbezogenen Daten, soweit ein schutzwürdiges Interesse daran besteht. Zu den personenbezogenen Daten gehört jedenfalls der Name. Damit ist allerdings noch nicht gesagt, dass die Vorschriften des DSG 2000 bei der historischen Forschung überhaupt zur Anwendung gelangen.   2.2.1. Zur Anwendbarkeit des Datenschutzgesetzes Das Grundrecht auf Datenschutz steht nach der Lehre nur lebenden Personen zu13. Geschützt wird die informationelle Selbstbestimmung und nicht das Andenken oder die Ehre. Mit zunehmender zeitlicher Distanz verliert damit das Datenschutzrecht bei der Erforschung der NS- und Nachkriegszeit an Bedeutung. Allerdings kann sich im Interesse der Angehörigen oder zum Schutz eines unverfälschten Andenkens aus Art 8 EMRK im Einzelfall ein Geheimhaltungsinteresse ergeben, das über den Tod hinausgeht. Die Verwendung von personenbezogenen Daten ist jedenfalls dann zulässig, wenn ihr der Betroffene zustimmt (vgl. § 1 Abs 2 DSG 2000). Bei Forschungsarbeiten über einzelne Personen ist das eine reale Option; bei breiten empirischen Forschungen, wie sie etwa die Historikerkommission vorgenommen hat, ist die Einholung der Zustimmung aller Betroffenen jedoch in der Regel nicht möglich. Nach der ausdrücklichen Anordnung des § 1 Abs 1 DSG 2000 ist ein schutzwürdiges Interesse an der Geheimhaltung a priori ausgeschlossen, wenn Daten allgemein verfügbar sind. Dazu zählen jedenfalls Daten, die auf Grund anderer gesetzlicher Bestimmungen zulässiger Weise veröffentlicht wurden und zugänglich sind, wie etwa das Grundbuch oder das Firmenbuch14. Nichts anderes kann für die Archive des Bundes und der Länder gelten, soweit deren Archivgut gesetzlich zur Nutzung freigegeben ist. Die Nennung von Namen aus öffentlichem Archivgut ist daher nach den archivrechtlichen Bestimmungen zu beurteilen15. Bei Material, das nicht unter die Archivgesetze fällt, besteht ein schutzwürdiges Interesse, das die Bestimmungen des DSG 2000 zur Anwendung bringt; dies gilt etwa für Material aus Privatarchiven. Insoweit erfasst das DSG 2000 den gesamten Prozess der historischen Forschung, von der Einsichtnahme über die Verarbeitung der Daten bis hin zur Veröffentlichung.   2.2.2. Das datenschutzrechtliche Wissenschaftsprivileg Für die wissenschaftliche Forschung enthält das DSG 2000 in § 46 eine besondere Regelung. Diese unterscheidet danach, ob wissenschaftliche Untersuchungen personenbezogene Ergebnisse zum Ziel haben oder nicht. Wird ohne Personenbezug geforscht, also etwa eine bloß quantitative Untersuchung erstellt, dürfen alle Daten verwendet werden, die öffentlich zugänglich sind oder die der Auftraggeber zulässigerweise ermittelt hat (§ 46 Abs 1). Die meisten zeitgeschichtlichen Forschungen haben jedoch personenbezogene Ergebnisse zum Ziel, sollen etwa über namentlich genannte Personen berichten. In diesem Fall bedarf die Verwendung (und Veröffentlichung) von Namen und anderen personenbezogenen Daten grundsätzlich der Genehmigung der Datenschutzkommission. Dies gilt allerdings nur, wenn diese Daten nicht „öffentlich zugänglich“ sind (§ 46 Abs 2), womit die archivarische Forschung oder Forschungen, die sich auf öffentliche Bibliotheken beschränken, nicht genehmigungsbedürftig sind16. Eine solche Genehmigung hat die Datenschutzkommission (DSK) zu erteilen, wenn die Zustimmung der Betroffenen nicht möglich oder unverhältnismäßig ist, der Antragsteller eine fachliche Eignung17 glaubhaft macht und ein öffentliches Interesse an der Verwendung besteht (§ 46 Abs 3). Für die Erforschung und objektive Aufarbeitung der NS-Zeit nimmt die DSK ein solches öffentliches Interesse von vornherein als gegeben an18. Wenn sie dies allerdings damit begründet, dass die Erforschung dieses Zeitraums „dem Ansehen Österreichs nützlich sein wird“, so erscheint dieses Argument wegen seiner Ambivalenz fragwürdig. Diese Auslegung unterstellt dem Gesetz eine Art Zensurfunktion. Das öffentliche Interesse darf sich nicht nach bestimmten Gegenständen, Methoden oder Zielen von Forschungsvorhaben bestimmen. Das wäre in Hinblick auf die vorbehaltlos gewährleistete Wissenschaftsfreiheit des Art 17 StGG unzulässig19. Ausreichend ist, wenn ein beliebiger Gegenstand nach als wissenschaftlich zu beschreibenden Methoden erforscht werden soll20. Soweit ersichtlich hat die DSK bisher nur von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, die Erfassung und Bearbeitung von Daten vorab zu genehmigen. Die Veröffentlichung der Forschungsergebnisse in personenbezogener Form ist in diesen Fällen daher nur zulässig, wenn sie den Bestimmungen des DSG 2000 über die Datenübermittlung entspricht. Die §§ 6 ff DSG 2000 sehen dafür ein kompliziertes Abwägungssystem vor, wobei für sensible Daten strengere Bestimmungen gelten als für nicht-sensible. Zu den sensiblen Daten zählen jedenfalls Angaben über die rassische und ethnische Herkunft, die politische Meinung und die religiöse oder philosophische Überzeugung (§ 4 Z 2 DSG 2000).   2.3. Persönlichkeitsrechtliche Grenzen der Namensnennung Schließlich wird aus den Persönlichkeitsrechten und dem verfassungsrechtlichen Schutz der Privatsphäre ein Recht auf Namensanonymität abgeleitet. Eine besondere, auf die Veröffentlichung bezogene Ausformung dieses Persönlichkeitsschutzes findet sich darüber hinaus im Medienrecht21. Diese Rechte gelten im Rahmen des postmortalen Persönlichkeitsschutzes auch für Verstorbene22. Das Recht auf Namensanonymität besteht jedoch nicht absolut, sondern ist mit dem Informationsinteresse der Allgemeinheit abzuwägen23. Ob durch eine Namensnennung die Persönlichkeitsrechte des § 16 ABGB verletzt werden, hängt wesentlich vom Inhalt der mit der Namensnennung verbundenen Aussage sowie von ihrem Informationszweck ab. Intime, bloßstellende Berichte über das Schicksal von NS-Opfern sind demnach unzulässig24. Auch Täter haben Anspruch auf Schutz ihrer Persönlichkeitssphäre, soweit Eingriffe nicht aus Gründen der Wahrheitsfindung unerlässlich sind. Weiters stellt sich die Frage, inwiefern über strafrechtliche Verurteilungen namentlich berichtet werden darf. Sofern eine Person einer strafbaren Handlung verdächtig war, aber niemals verurteilt wurde, wird die Unschuldsvermutung des Art 6 EMRK in aller Regel einer Nennung im Zusammenhang mit einer strafbaren Handlung entgegenstehen. Im Fall einer Verurteilung wird die Namensnennung grundsätzlich für zulässig erachtet. Das kann jedoch nicht unbegrenzt gelten. Das öffentliche Informationsinteresse wird zunehmend dem öffentlichen Interesse an der Resozialisierung des Verurteilten weichen. Als zeitliche Orientierung kann in dieser Abwägungsfrage auf das strafrechtliche Tilgungsgesetz zurückgegriffen werden. Schließlich ist der Verurteilte mit der Tilgung rechtlich unbescholten25.   3. Namensnennung durch die Historikerkommission Auch die Historikerkommission stand vor der Frage, ob sie in den von ihr herausgegebenen Forschungsberichten Namen veröffentlichen sollte oder nicht. Die Kommission wurde von der Bundesregierung und dem Parlament mit dem Mandat eingesetzt, „den gesamten Komplex Vermögensentzug auf dem Gebiet der Republik Österreich während der NS-Zeit sowie Rückstellungen bzw. Entschädigungen (sowie wirtschaftliche und soziale Leistungen) der Republik Österreich ab 1945 zu erforschen und darüber zu berichten.“ Die Kommission hatte von ihrem Mandat her also einen reinen Forschungsauftrag, an dem sie auch nach ihrem Selbstverständnis festzuhalten suchte, wenn ihr auch im gesellschaftlichen Umfeld „eine Art Gerichtsfunktion“ zugeschrieben wurde26. Für die Namensnennung enthält das Mandat keine ausdrücklichen Vorgaben. Die Kommission hatte sich daher an den allgemeinen gesetzlichen Bestimmungen zu orientieren, die – wie dargestellt – einen nicht unbeträchtlichen Spielraum offen lassen. Wie sie diese Vorgaben umgesetzt hat, hat sie allerdings nicht offen gelegt. Anders ihr Schweizer Pendant. Die so genannte Bergier-Kommission folgte grundsätzlich der Regel, „dass nur wenn ernsthafte Einwände gegen eine Nennung von Namen vorgebracht werden können, anonymisiert wird.“ Generell nicht anonymisiert wurden Namen leitender Angestellter oder Kader von Unternehmen und von Funktionsträgern in staatlichen Verwaltungen und Behörden. Ebenso wenig wurden Kunden von Schweizer Börsen anonymisiert, die mit geraubten Aktien handelten. Bei den vom NS-Regime ermordeten Kunden Schweizer Banken wurden keine Namen genannt, weil nicht eine hypothetische Zustimmung angenommen werden sollte. Die Identität von Flüchtlingen, die in oder über die Schweiz Zuflucht suchten, wurde sichtbar gemacht, sofern sie das wünschten.27 Die österreichische Historikerkommission verfolgte hingegen ein Konzept der methodischen Vielfalt28. Dies wirkte sich bei der Namensnennung in den einzelnen Forschungsberichten, wie eingangs gezeigt29, in ganz unterschiedlicher Form aus. Den Forschern war von der Kommission lediglich die Einhaltung der bestehenden rechtlichen Regelungen aufgetragen worden. In der Redaktion der Forschungsberichte wurden – soweit nachvollziehbar – die Vorgaben des Datenschutzrechtes von der Kommission wie folgt gehandhabt: Die Namen der Opfer konnten genannt werden, die Namen der anderen Beteiligten, der „Ariseure“, Profiteure, Politiker oder öffentlichen Funktionäre wurden anonymisiert, wenn sie noch leben. Die Namen verurteilter Nationalsozialisten wurden weit gehend anonymisiert.   3.1. Bewertung der Namensnennung bei einzelnen Personengruppen Die Opfer werden in den Forschungsberichten durchwegs namentlich genannt. Eine Darstellung persönlicher Schicksale vermag die Allgegenwärtigkeit und den Schrecken der Verfolgung gewiss zu veranschaulichen. Trotzdem bleibt sie eine Vereinnahmung, die auch aus datenschutzrechtlichen Gründen bedenklich ist. Diese Personen wurden wegen ihrer rassischen Zugehörigkeit, religiösen oder politischen Überzeugung zu Opfern des Nationalsozialismus; dabei handelt es sich um sensible Daten, für deren Verwendung besonders strenge Maßstäbe gelten30. Eine wissenschaftliche Verwendung ist zwar ein möglicher aber noch kein hinreichender Grund für ihre Veröffentlichung. Die Schweizer Historikerkommission tat wohl gut daran, für die NS-Opfer keine hypothetische Zustimmung zu einer namentlichen Nennung annehmen zu wollen. Ein besonderes Problem wirft die Anonymisierung jener Nationalsozialisten auf, die nach 1945 aufgrund der NS-Gesetzgebung (NS-Gesetz, KriegsverbrecherG) verurteilt wurden. Gleichzeitig werden nämlich jene namentlich genannt, die ebenfalls am Vermögensraub beteiligt waren, ohne dass sie dafür aber strafgerichtlich verurteilt wurden. Dadurch entsteht die schiefe Optik, dass „Mitläufer“ genannt, „große Nazis“ jedoch gedeckt werden. Die Kommission befand sich hier freilich in einer schwierigen Situation. Diese Verurteilungen liegen immerhin ein halbes Jahrhundert zurück. Die Anonymisierung noch lebender Täter erscheint durchaus im Einklang mit den rechtlichen Grundgedanken, die der Tilgung zu Grunde liegen. Eine Sonderfrage ergibt sich auch im Zusammenhang mit der Nennung von Beamten. Im Besonderen betrifft dies österreichische Beamte, die an Rückstellungsverfahren beteiligt waren und über die teils in wertender Stellungnahme berichtet wird31. Nach § 8 Abs 3 Z 6 DSG 2000 besteht kein schutzwürdiges Interesse auf Geheimhaltung, wenn die Verwendung der Daten „ausschließlich die Ausübung einer öffentlichen Funktion durch den Betroffenen zum Gegenstand hat“. Es könnten damit „public figures“ iSd Art 8 EMRK gemeint sein, also Personen, die im Blickpunkt der Öffentlichkeit stehen32. Näher liegt die Annahme, dass diese Bestimmung nur Personen erfasst, die staatliche Aufgaben erfüllen33. Die namentliche Nennung von Beamten wird daher datenschutzrechtlich zulässig sein, soweit sie im ausschließlichen Zusammenhang mit ihrer beruflichen Tätigkeit steht. Die Zuweisung von historischer Verantwortung an namentlich genannte Beamte sollte sich freilich an ihrer konkreten Gestaltungsmöglichkeit im Rahmen der hierarchischen Verwaltungsorganisation orientieren. Dem Grundsatz nach macht die Namensnennung aber gerade in der staatlichen Verwaltung (und der Gerichtsbarkeit) Sinn. Hier kommt dem Durchbrechen der Anonymität, die in der Aufgabenbesorgung durch „Organe“ liegt, eine besondere präventive Wirkung zu.   4. Schlussbemerkungen Für die Frage der Namensnennung bei zeitgeschichtlicher Forschung gibt es keine einfachen Antworten. Es besteht ein höchst komplexes und unübersichtliches Geflecht von Rechtsvorschriften. Das hat auch zur Folge, dass diese Bestimmungen im Forschungsalltag durchwegs unbeachtet bleiben. Letztlich liegt es daher an den Forschern und ihrem Selbstverständnis, welche Standards sich bei der Namensnennung herausbilden. Für den konkreten Fall der Historikerkommission ist zu bedenken, dass sie ein rein wissenschaftliches Mandat hatte. In dieser Hinsicht unterscheidet sie sich von so genannten Wahrheits- und Versöhnungskommissionen, die in staatlichen Umbruchsituationen zur Bewältigung der Verbrechen autoritärer Regime eingesetzt werden. Dort hat die Nennung von Namen sehr wohl die Funktion einer Sanktion, mit der Verantwortung für begangenes Unrecht geschaffen werden soll34. Ein „Telefonbuch der Ariseure“, wie es verschiedentlich gefordert wurde, konnte die Kommission schon aus rechtsstaatlichen Gründen nicht erstellen. Dafür wäre ein eindeutiger politischer Auftrag durch den Gesetzgeber notwendig gewesen. Ob es die Historikerkommission dann überhaupt gegeben hätte, sei freilich dahingestellt.

  • 1.  Historikerkommission (Hrsg.): Böhmer/Faber, Die österreichische Finanzverwaltung und die Restitution entzogener Vermögen 1945 bis 1960. Die Finanzprokuratur (2002) 7.
  • 2.  Historikerkommission (Hrsg.): Meissel/Olechowski/Gnant, Die Verfahren vor den österreichischen Rückstellungskommissionen. Untersuchungen zur Praxis der Verfahren vor den Rückstellungskommissionen (2002) 25.
  • 3.  Siehe etwa den selbstredenden Titel von Huemer, Sektionschef Robert Hecht und die Zerstörung der Demokratie in Österreich (1975).
  • 4.  Siehe nur § 15 Abs 4 OGHG und § 48a GOG, wonach gerichtliche Entscheidungen für die Veröffentlichung umfassend zu anonymisieren sind.
  • 5.  Siehe etwa Walzer/Templ, Unser Wien. „Arisierung“ auf österreichisch (2001) insb. 110 ff, die mit der rückhaltlosen Nennung der Profiteure werben. Für eine Nennung der Namen in den Fallgeschichten über „Arisierungen“ entscheidet sich auch Etzersdorfer, Arisiert. Eine Spurensuche im gesellschaftlichen Untergrund der Republik (1995) 32; sie nimmt allerdings eine Abwägung vor.
  • 6.  OGH SZ 59/182.
  • 7.  Raschauer, Namensrecht (1978) 297.
  • 8.  BundesarchivG, BGBl I 1999/162. Für Landesarchive bestehen mit dem BundesarchivG weitgehend übereinstimmende Regelungen im Wr Arhivgesetz, LGBl 2000/55, und im Krnt Landesarchivgesetz, LGBl 1997/40. In den anderen Bundesländern bestehen weiterhin sog Benutzungsordnungen.
  • 9.  Der Frage des Zugangs zum Archivgut vorgelagert ist wiederum die Frage, was wann als Archivgut archiviert wird; siehe dazu Schöggl-Ernst, Justizaktenbewertung – Der Archivar im Spannungsfeld zwischen Justizverwaltung und Forschung, Mitt des Steirischen Landesarchivs 1999, 153.
  • 10.  Welan, Wissenschaftsfreiheit und Zugang zu gerichtlichen Rechtsmittelentscheidungen, ÖJZ 1986, 641 (643).
  • 11.  Siehe dazu aus grundrechtsdogmatischer Sicht Manegold, Archivrecht: Die Archivierungspflicht öffentlicher Stellen und das Archivzugangsrecht des historischen Forschers im Lichte der Forschungsfreiheitsverbürgung des Art. 5 Abs. 3 GG (2002) 119 ff.
  • 12.  DatenschutzG 2000 – DSG 2000, BGBl I 1999/165.
  • 13.  Potacs, Wissenschaftsfreiheit und Grundrecht auf Datenschutz, ZfV 1986, 6 (12).
  • 14.  Dohr/Pollirer/Weiss, DSG2 (2002) § 1 Anm 8; Duschanek/Rosenmayer-Klemenz, Datenschutzgesetz 2000 (2000) 185.
  • 15.  So für die deutsche Rechtslage dem Grundsatz nach auch Manegold, Archivrecht 318 f. Siehe zur Veröffentlichung nach § 11 BundesarchivG oben 2.1.
  • 16.  Siehe Dohr/Pollirer/Weiss, DSG § 46 Anm. 3, 7 und die Ausführungen zu allgemein verfügbaren Daten oben 2.2.1.
  • 17.  Dies darf keinesfalls so ausgelegt werden, dass zeithistorische Forschung auf Personen mit einer akademischen Qualifikation beschränkt wird.
  • 18.  DSK 25. 2. 2000, 202.001/3-DSK/00 (Zwangsarbeit); 25. 2. 2000, 202.002/2-DSK/00 (Historikerkommission); 24. 4. 2001, 202.010/2-DSK/01 (Medizin im Nationalsozialismus).
  • 19.  Siehe Berka, Die Grundrechte. Grundfreiheiten und Menschenrechte in Österreich (1999) Rz 594: Ein datenschutzrechtliches Verbot der Gewinnung wissenschaftlicher Informationen unterwirft die Wissenschaft einer inhaltlichen Fremdbestimmung. Ein solches Verbot ist als ein intentionaler Eingriff zu werten und daher unzulässig.
  • 20.  Vgl. Potacs, ZfV 1986, 6 ff.
  • 21.  Siehe insb. §§ 6–8a MedienG, BGBl 1981/314 idgF. Äußerste Grenze für die Inhalte zeitgeschichtlicher Publikationen bilden schließlich die Ehrenbeleidigungsdelikte des Strafrechts (§§ 111 bis 117 StGB) sowie die Verleumdung nach § 297 StGB.
  • 22.  Der OGH und die hL gehen davon aus, dass sich aus § 16 ABGB ein postmortales Persönlichkeitsrecht des Verstorbenen ergibt; OGH 29. 8. 2002, 6 Ob 283/01p = JBl 2003, 114; Aicher in Rummel I3 (2000) § 16 Rz 28 mwN.
  • 23.  Siehe dazu Raschauer, Namensrecht 292 ff; Aicher in Rummel I3 (2000) § 43 Rz 11 f mwN; vgl jüngst EGMR in ÖJZ 2003, 155.
  • 24.  Vgl. zu Verbrechensopfern OLG Wien in MR 1986/5, 9.
  • 25.  Das wird auch für Verurteilungen nach dem NS-Gesetz gelten, weil diese von der Tilgung nicht ausgenommen waren.
  • 26.  Jabloner et al, Vermögensentzug während der NS-Zeit sowie Rückstellungen und Entschädigungen seit 1945 in Österreich. Forschungsbericht der Historikerkommission der Republik Österreich. Schlussbericht. Zusammenfassungen und Einschätzungen (2003) 12.
  • 27.  Unabhängige Expertenkommission Schweiz – Zweiter Weltkrieg, Die Schweiz, der Nationalsozialismus und der Zweite Weltkrieg. Schlussbericht (2002) 45; abrufbar unter http://www.uek.ch/de/index.htm.
  • 28.  Jabloner et al, Schlussbericht 19.
  • 29.  Siehe die Zitate in der Einleitung.
  • 30.  Hingegen kann nationalsozialistische Überzeugung in der antifaschistischen Verfassungsordnung der Zweiten Republik nicht als schutzwürdige politische Überzeugung iSd DSG 2000 gelten.
  • 31.  Siehe etwa Böhmer/Faber, Finanzprokuratur 206, die hinsichtlich eines leitenden Beamten der Finanzprokuratur zu dem Ergebnis kommen, dass seine Grundhaltung „rückstellungsfeindlich“ war.
  • 32.  So Dohr/Pollirer/Weiss, DSG § 8 Anm. 17.
  • 33.  Vgl. die Amtsverschwiegenheit nach Art 20 Abs 3 B-VG („ausschließlich aus ihrer amtlichen Tätigkeit bekannt gewordene Tatsachen“). Nach dieser Deutung wäre § 8 Abs 3 Z 6 DSG 2000 also insb. für die parlamentarische Interpellation von Bedeutung.
  • 34.  Siehe statt vieler Hayner, Unspeakable truth: confronting state terror and atrocity (2001) 107 ff.
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Univ.-Ass. Maga. Iris Eisenberger, MSc. (LSE) und Mag. Ronald Faber, LL. M. (Yale) sind MitherausgeberInnen des juridikum.