Neue Polizeimethode: Die Eingeschlossenen
Wien. Freitag, 5. Oktober 1990. Sechshundert Menschen haben sich vor der Oper versammelt, um gegen Fremdenhass und den wiederaufkommenden Faschismus zu demonstrieren. In- und Ausländerinnen, vereint. Sehr viele junge Leute, Schüler, Lehrlinge, die zum ersten Mal zu einer Demonstration gekommen sind.
Ihre friedliche Kundgebung wird von der Polizei auseinandergeknüppelt. Österreich am Ende des Wahlkampfes, in dem rechte Demagogen ungestraft Fremdenhass schüren.
Sie waren zur Oper gekommen, in der Erwartung, zu einer legalen, angemeldeten Kundgebung zu gehen. Die Sozialistische Jugend hätte den Demonstrationszug anmelden sollen, von der Oper zum Denkmal der Opfer des Naziterrors am Morzinplatz. So war es vereinbart gewesen. Aber es war nicht so geschehen. Angeblich waren die SJ-Funktionäre nicht entscheidungsbefugt gewesen. Was hinter den Kulissen geschehen ist, wird noch gründlich zu klären sein.
Also wurde die Demonstration für illegal erklärt. Die Polizei zog auf, mit Schlagstöcken, Helm und Visier und Schild, einige Hundertschaften, unter dem Befehl des Staatspolizisten Zander. Etwa die Hälfte der Demonstranten wurde auf dem Platz vor der Oper zusammengetrieben und von den Polizisten eingekreist. Keiner von ihnen hatte Gewalt angewendet, keiner etwas Verbotenes getan. Sie wurden über Lautsprecher aufgefordert, sich einzeln zu legitimieren. Eine Zumutung, die jeder Rechtsgrundlage entbehrt. Das Sicherheitspolizeigesetz, das sie vorhaben für nach der Wahl. Das aber noch nicht beschlossen ist. Und das gerade in diesen Dingen den Menschenrechten Hohn spricht.
Die Eingeschlossenen waren auf engstem Raum zusammengedrängt. Die Polizei drückte mit ihren Schildern immer mehr zur Mitte. Einzeln griffen sie heraus. Prügelten sie. Die Frauen wurden wüst beschimpft. Alle wurden auf offener Straße durchsucht. Manche bekamen Platzangst, versuchten wegzulaufen. Sie wurden zusammengeschlagen und abgeführt. Siebenunddreißig wurden festgenommen nach letztem Stand. Viele wurden verletzt; zwei davon schwer: Einen hatten sie am Hals so gewürgt, dass der Kehlkopf geprellt war. Er konnte nachher kaum noch sprechen. Ein kurdischer Arbeiter erlitt einen Sehnenriss.
Die Siebenunddreißig wurden wieder auf freiem Fuß gesetzt. Aber sie sollen angezeigt werden wegen angeblichen Widerstandes gegen die Staatsgewalt (der in ihrer Lage, im Kessel, überhaupt nicht möglich war); einige auch wegen sogenannten Waffenbesitzes: Sie waren mit Stöcken ausgerüstet gewesen, um die Demonstration gegen Überfälle der Nazis zu schützen. Nun hatte die Polizei die Arbeit der Nazis gemacht ...
Es war das erste Mal in der Zweiten Republik, dass die Polizei Demonstranten eingekesselt hat. In Deutschland ist es vorgekommen, und deutsche Zustände wollen sie auch bei uns. Aber selbst dort drüben ist diese Methode durch das Höchstgericht für illegal erklärt worden, weil sie das Grundrecht auf persönliche Freiheit verletzt. Dies wird auch in Österreich zu judizieren sein. Genauso wie das Recht jedes verantwortungsbewussten Demonstrationsleiters, die Demonstration gegen Naziüberfälle zu schützen. Unter Einsatz aller zweckdienlichen Mittel. Sonst wäre das Grundrecht der Demonstrationsfreiheit abgeschafft.
Es war eine Fortsetzung der Kollaboration Polizei-Neonazis vom letzten Opernball. Nur dass die Nazis diesmal gar nicht kommen brauchten. Und es war der bisherige Höhepunkt einer ganzen Serie von Provokationen der Löschnak-Administration: Opernball, Fremdenpolizeigesetz, Sicherheitspolizeigesetzentwurf, Bundesheereinsatz gegen Flüchtlinge ... Eine Serie von Maßnahmen zum Abbau der Demokratie. Sie wollen den starken, den autoritären Staat, der den aufkeimenden Widerstand gegen die Festung Europa im Keim erstickt. Aber sie irren sich. Sie selbst rufen durch ihre unbesonnenen Übergriffe Widerstand hervor ...