15. feministischer Juristinnentag

Vom 26.5. - 28.5.1989 fand in Hainburg der 15. feministische Juristinnentag statt. 250 Frauen aus der gesamten Bundesrepublik trafen sich zu einem Gedankenaustausch über ihre Studien-und Arbeitssituation als Juristinnen sowie zur Diskussion über aktuelle feministische Themen mit juristischem Bezug.
Am ersten Abend wurden die Themen "Ist das Prinzip des Geschlechtsquotensystems geeignet, die rechtliche Stellung von Frauen zu verbessern?" und "Kompensatorisches Recht, Frauen müssen Vorteile erhalten" behandelt.
Referentinnen waren: Kirsten Ketscher, Dozentin für Frauemecht (!!!) an der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Kopenhagen, sowie Agnete Weis-Benzon, als ehemalige Professorin für Rechtssoziologie die erste weibliche Professorin an einer rechtswissenschaftlichen Fakultät in Dänemark. Kirsten Ketscher stellte in Frage, ob Quotenregelungen, die formell geschlechtsneutral formuliert sind, "ein schnellerer Weg zum Sieg" in Richtung Gleichstellung von Frauen und Männern im Arbeitsleben sein könnte. Sie warnte die Frauen davor, sich "im Namen der Gleichstellung" am Maßstab der männlichen Arbeitsweise zu orientieren und durch diese Gleichstellungsstrategie letztlich einen Verlust von traditionellen Frauenrechten zu bewirken.
Sie zeigte die Risiken bestehender Quotensysteme auf und zweifelte an, ob überhaupt über Rechtssysteme, die generell dazu eingerichtet seien, "herrschende" Machtstrukturen zu stützen, ein Schritt in Richtung Gleichstellung von Frauen gemacht werden könne, solange die Machthaber sich in Wirklichkeit weigern, den Frauen ihren zustehenden Anteil an gesellschaftlicher und politischer Macht einzuräumen.
Agnete Weis-Benzon ging in ihrem Vortrag in eine ähnliche Richtung. Sie meinte, dass soziale und kulturelle Gegebenheiten nicht durch Gesetzgebung beeinflussbar wären und dass die Entwicklung zu sehr auf Gleichschaltung und zu wenig auf Gerechtigkeit hinziele. Sie bejahte, dass Frauen Sonderordnungen brauchen, damit eine reelle Gleichstellung erreicht werde, bezeichnete die vorhandenen Sonderregelungen aber als "niederdrückend, weil sie die Frauen zu Männern und Männer zu Frauen ändern wollen". Ihrer Ansicht nach müsse bei Sonderregelungen auf die typisch andere Interessenslage, Ansichten und Fertigkeiten von Frauen abgestellt werden. Die von den Referentinnen postulierten (und auch als solche bezeichneten) "Provokationen" verfehlten ihre Wirkung nicht und führten zu einer angeregten, äußerst kontroversiell geführten Diskussion.
Am zweiten Tag referierte Edith Lunnebach, die Verteidigerin von Ingrid Strobl, über das Verfahren gegen diese, sowie über die Geschichte und politischen Hintergründe von § 129a BRD-StGB-Verfahren überhaupt.
Eine weitere Referentin war Heike Gall-Alberth, eine der Vertreterinnen von Frauen, die in den "Memminger Prozessen" wegen Verstoßes gegen §218 BRD-StGB zu Geldstrafen verurteilt wurden.
Als Themen in den Arbeitsgruppen wurden diskutiert:
Mittelbare Diskriminierung von Frauen im Arbeitsrecht.
Tatsächliche und rechtliche Situation von·Ausländerinnen am Beispiel "Frauenhandel".
Lesben im Recht.
Arbeitssituation in Rechtsanwältinnenbüros.
Frauen im Jusstudium.
Türkisches Unterhaltsrecht.
Erfahrungsaustausch zu Verfahren. Wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern.
Am dritten Tag wurden im Schlussplenum die Ergebnisse der Arbeitsgruppen zusammengefasst und folgende Resolutionen formuliert:

Zum Verfahren gegen Ingrid Strobl
"Die Teilnehmerinnen des 15. feministischen Juristinnentages fordern ebenso wie die Verteidigung den Freispruch von Ingrid Strobl.
Die Argumentation im Verfahren selbst ist juristisch unhaltbar und soll nur der Bestrafung der politischen Gesinnung von Ingrid Strobl dienen. Dies darf nicht zu einer Verurteilung führen.
Insbesondere als Juristinnen sind wir empört, über die Mutmaßungen und Unterstellungen der Bundesanwaltschaft, die zu einer Anklage geführt haben. § 129a StOB ist eine unbestimmte, im Vorfeld von Straftaten anzuwendende, Norm. Ohne Einführung dieses umstrittenen, sehr unkonkret gefassten Straftatbestandes wäre ein Strafverfahren gegen Ingrid Strobl nicht denkbar gewesen.
Aus Anlass dieses Prozesses fordert der 15. feministische Juristinnentag erneut die Abschaffung des § 129a StGB."

Zu den Memminger Prozessen
"Die Memminger Abtreibungsprozesse haben mit aller Deutlichkeit gezeigt, dass Strafrecht kein geeignetes Mittel ist, der Realität des Schwangerschaftsabbruches zu begegnen. In den Strafurteilen gegen Frauen und den Arzt haben sich Richter nach rechtlich bedenklicher Ausforschung der Lebensumstände der Frauen angemaßt, im Nachhinein das Bestehen von Notlagen zu verneinen, obwohl diese nach ärztlicher Erkenntnis vorgelegen hatten. Dieses Vorgehen bedeutet das Ende des durch die Reform des§ 218 gefundenen Abbruchkompromisses: die den Ärzten und Ärztinnen vom Gesetzgeber übertragene Zuständigkeit für die Feststellung einer Indikation wurde in Frage gestellt und ersetzt.
Die überwiegende Zahl der Frauen, gegen die wegen eines teilweise Jahre zurückliegenden Schwangerschaftsabbruches Strafbefehle erlassen wurden, waren nicht in der Lage sich dagegen zu wehren und zu verteidigen. Das Aufrühren der damaligen Konfliktsituation, die Rücksichtnahme auf die Familie und die Angst vor Diskriminierung bei Bekanntwerden der Vorwürfe machten ihnen dies unmöglich, sodass eindeutig rechtswidrige Verurteilungen erfolgt sind. Auf diesem Weg wurde eine Gruppe rechtlos gestellter Frauen kriminalisiert.
Die zutiefst frauenverachtende Art und Weise, in der die Memminger Justiz mit Frauen und deren Schicksalen umgegangen ist, fordert insbesondere die Solidarität der feministischen Juristinnen heraus.
Wir fordern eine grundlegende gesellschaftliche Diskussion über den Schwangerschaftsabbruch mit dem erklärten Ziel der Abschaffung des §218 und aller Zwangsberatungen."

Zur Situation der Jus-Studentinnen
"Die Teilnehmerinnen des 15. feministischen Juristinnentages fordern mehr weibliche Lehrkräfte in allen juristischen Fachbereichen. Wir protestieren gegen die Einführung von Zulassungsbeschränkungen zum juristischen Studium und die damit verbundene mittelbare Diskriminierung von Frauen durch die Vergabe von Bonuspunkten an Zivildiener und Wehrdienstleistende."

Zur Situation von Ausländerinnen
"Anlässlich einer Arbeitsgruppe zum Thema fordern die Teilnehmerinnen des 15. feministischen Juristinnentages ein eigenständiges Aufenthaltsrecht und eine Arbeitserlaubnis für die in der BRD und Westberlin lebenden Ausländerinnen, insbesondere für die vom Frauenhandel betroffenen Frauen. Die Ausübung von Prostitution und/oder Sozialhilfebedürftigkeit darf für Ausländerinnen kein Ausweisungsgrund mehr sein."

Zum Thema "Lesben und Recht"
"Anlässlich der bevorstehenden Verabschiedung des Vereinsförderungsgesetzes durch den deutschen Bundestag im Juni 1989 unterstützt der feministische Juristinnentag die Forderung nach Anerkennung der Gemeinnützigkeit von Lesbenvereinen durch die Aufnahme einer entsprechenden Ergänzung des §52 Abgabenordnung."