Reproduktionstechnologien

Auf der ganzen Welt werden bereits Retortenbabys "gemacht". Allerdings bewegen sich die Ärzte dabei zumeist noch im gesetzesfreien Raum. Inhalt und Umfang gesetzlicher Regelungen werden noch diskutiert. Die Autorin macht sich in ihrem Beitrag Gedanken darüber, was da eigentlich diskutiert wird.
Das erste Retortenbaby der Welt ist zehn Jahre alt und hat auch schon ein gesundes Retortengeschwisterchen, und die "Väter" - die Ärzte Edwards und Steptoe - stellten sich zu den Geburtstagen stolz mit Blumen ein. Sie haben auch etwas, worauf sie stolz sein können: das Prestige, als erste eine Empfängnis außerhalb des Körpers einer Frau zustande gebracht zu haben.
Seither haben die Reproduktionstechnologien - unter anderem künstliche Befruchtung und In-Vitro-Fertilisation - in allen Industrieländern einen festen Platz in der Sterilitätsbehandlung von Frauen. Die Ärzte, die diese Technologien praktizieren, preisen sie als Chance für Frauen an, die sich ihren Kinderwunsch bisher aus medizinischen Gründen nicht erfüllen konnten. Die Weiterentwicklung der Techniken und der Einfallsreichtum der Anwender haben uns aber auch ziemlich erschreckende Probleme gebracht: Mietmütter und Tiefkühlembryos sind nicht mehr nur Visionen der Science-Fiction, sondern bereits Realität.
Die juristische Diskussion um die Reproduktionstechnologien begann erst als das Kind schon produziert war. Nach einer Enquete des Familienministeriums über "Familienpolitik und künstliche Fortpflanzung" 1985 wurde eine Expertenkommission der Rektorenkonferenz eingesetzt, die ein Gutachten über Zulässigkeit und Grenzen künstlicher Fortpflanzung erstattete. Auch die erste Ministerkonferenz des Europarates über Menschenrechte 1985 in Wien verabschiedete eine Resolution über diesen Problemkreis. Darin regte sie an, dass gesetzgeberische Maßnahmen nur nach reiflicher Überlegung und unter Berücksichtigung der in der MRK festgelegten Menschenrechte getroffen werden sollten.
Das Gutachten der Rektorenkonferenz und auch die Ministerratsresolution gehen davon aus, dass man, da es die Techniken nun einmal gibt, nur noch die Durchführung administrieren und gewisse Grenzen für die Anwendbarkeit festlegen kann. Mit den Problemen, die in jedem Fall auf uns zukommen (was soll denn wirklich mit den tiefgekühlten Embryos geschehen?) müssen die nationalen Gesetzgeber nun im Rahmen der MRK fertig werden. Den Anfang machte Schweden mit einem Gesetz über Zulässigkeit und Folgen von künstlicher Befruchtung.
Weitgehend unbestritten ist, dass homologe Insemination (Befruchtung einer Frau mit dem Samen ihres Mannes oder Lebensgefährten) unproblematisch ist. Biologische und soziale Elternschaft können dabei nicht, wie bei anderen Techniken, auseinanderfallen. Ihre Anwendung soll daher auch keinen besonderen Kautelen unterstellt werden. Dieses Auseinanderfallen von biologischer und Sozialer Elternschaft ist im Übrigen das Problem, das Juristen und Ethiker bei der heterologen lnsemination (dabei verwendet der Arzt Spendersamen, eventuell sogar aus einer Tiefkühlsamenbank) am meisten beschäftigt. Das Kind hat also zwei Väter, einen, der es aufzieht, und einen, der ihm die Gene spendet. An dieser Stelle beginnen sich die Meinungen zu teilen: Die Frage, ob der Samenspender anonym bleiben soll oder nicht, scheidet die Gemüter. Und an dieser Kontroverse kann man sehen, dass der Gesetzgeber wohl keine Lösung schaffen können wird, die allen Interessen gerecht zu werden vermag. Zwischen den Fragen, was schwerer wiegt, das Recht des Kindes auf Kennen aller seiner Eltern oder das Recht des Spenders, seine Privatsphäre vor Zugriffen (die ja möglicherweise erst Jahre später erfolgen können) zu schützen, das Recht des Kindes auf Unterhalt gegen jeden an seiner Erzeugung Beteiligten oder das Recht des Spenders auf "Folgenlosigkeit" seines Tuns, kann es wohl keinen ausgewogenen Kompromiss geben.
Die juristische Diskussion in Österreich ist gemäß ihrem konservativen Grundton dafür, alle Aspekte der Reproduktionstechnologien abzulehnen, die den traditionellen Familienbegriff in Frage stellen könnten. In der Enquete 1985 wurden zur Beurteilung der Gründe und Folgen der anonymen Samenspende zum Teil eher spaßige Aussagen gemacht, die alles in allem auf eine Ablehnung der Anonymität hinausliefen. So behauptete der Referent zum Thema "Rechtliche Fragen der künstlichen Befruchtung", dass allein die Kenntnis des (Ehe)mannes, dass nicht er der "natürliche" Vater des Kindes sei, das in seinem Hause heranwächst und für das er zu sorgen habe, so an seiner Psyche zerren werde, dass er gar nicht anders könne, als dieses Kind abzulehnen. Die Folgerungen, die sich daraus ergeben, sind allerdings weniger spaßig: der Referent leitet aus diesen seinen Vorstellungen ab, dass, auch wenn der (Ehe)mann seine Einwilligung zur homologen Insemination gegeben hat, das Gericht dennoch einer Ehelichkeitsbestreitungsklage stattgeben sollte (und er befindet sich dabei in Übereinstimmung mit dem deutschen Bundesgerichtshof in Karlsruhe)1.
Hier dient eine (unterstellte) hysterische Reaktion eines Beteiligten, diesen von allen Folgen seiner Handlung (der Zustimmung) zu befreien und ihn aus der Verantwortung zu entlassen. Auch bei alleinstehenden Frauen, die sich - aus welchen Gründen auch immer - einer der Reproduktionstechnologien bedienen wollen, werden Hysterie oder andere neurotische Tendenzen unterstellt Allerdings, um sie von vorneherein vom Zugang auszuschließen. Loebenstein spricht an einer Stelle vom "hysterischen Kinderwunsch" alleinstehender Frauen, dem mit Rücksicht auf das Wohl des Kindes, das von alleinstehenden Müttern nicht im vollen Umfang gewährleistet werden könne, nicht entsprochen werden solle2.
Viele der Diskussionsbeiträge und auch der juristischen Argumentationen zeigen die Hilflosigkeit des Denkens in traditionellen Modellen gegenüberneuen Technologien. Sie zeigen aber kritischen BetrachterInnen auch, dass (zum Teil alte und tiefverwurzelte) patriarchalische Vorstellungen die Interessenslage und den Diskurs um die Reproduktionstechnologien prägen. (Ehe)männer sollen sich nicht mit einem "Kuckucksei" im Hause abfinden müssen (auch wenn es mit ihrer Zustimmung dorthin gekommen ist). Es liefe schließlich der langen Tradition des patriarchalen Erb- und Familienrechts zuwider, das vom Mann und Oberhaupt der Familie erworbene Gut beziehungsweise Arbeitseinkommen an ein Kind weiterzugeben, dessen leiblicher Vater er nicht ist. Ein guter Teil der jahrtausendelangen Unterdrückung und Entrechtung der Frau dient vor allem dazu, die Abstammung vom Vater erkennbar zu machen und sicherzustellen, dass Hab und Gut in der männlichen Linie vererbt werden konnte3. Patriarchalische Gesellschaften, also die herrschenden Männer, haben eine Menge Einfallsreichtum bewiesen, um ihren Besitz nur an ihre eigenen Söhne weitergeben zu können und um dieses Können auch rechtlich zu legitimieren. Aus genau den gleichen Gründen muss in patriarchalischen Gesellschaften auch sichergestellt werden, dass Frauen keine Möglichkeit haben, ein Kind von einem anderen Mann als ihrem "eigenen" zu bekommen, dass sie dieses aber dann auch sicher zur Welt bringen.
Es entspricht daher durchaus der inneren Logikunserer Gesellschaft, Bedrohungen der patrilinearen Erbfolge möglichst abzuwehren.
Eine weitgehend unbewusste und sehr tiefsitzende Angst scheint sich jedoch in den Abwehrhaltungen der heterologen Insemination gegenüber auch noch zu manifestieren. Und zwar die Angst vor der unabhängigen Frau, die nicht einmal zum Kindermachen mehr einen Mann braucht Gena Corea4 hat darauf hingewiesen, dass bei Männern (besonders Gynäkologen) Abwehrhaltungen und fast ritualisiertes Verhalten beobachtet werden, die auf eine tiefe Angst und Scheu der Männer vor der Gebärfähigkeit und dem Geburtsakt schließen lassen. Ist es unzulässig, das Wirken dieser (unbewussten) Schranken auch in den Argumentationen der Juristen zu so heiklen Themen wie Empfängnis und Geburt zu behaupten?
Dieser Beitrag wird im nächsten JURIDIKUM fortgesetzt.
1 Enquete des Bundesministeriums für Familie, Jugend und Konsumentenschutz, Wien 1985, Seite 52 ff.
2 E. Loebenstein, Die Zukunft der Grundrechte im Lichte der künstlichen Fortpflanzung, JBL 1987, Seite 694 ff.
3 vgl. Lore Toman, Die andere Hälfte des Himmels, Wien 1986.
4 Gena Corea, Mutter Maschine, Von der künstlichen Befruchtung zur künstlichen Gebärmutter, Berlin 1985.